Borussia Dortmund gewinnt das neunte Spiel in Serie und liegt punktgleich mit den Bayern an der Tabellenspitze der Bundesliga. Der Schweizer BVB-Keeper erklärt, weshalb das so ist, und was eine Spitzenmannschaft auszeichnet.
Torhüter Gregor Kobel riss energisch die Arme hoch, seine Kollegen umarmten sich ausgiebig. Eigentlich war es für Borussia Dortmund nur ein Pflichtsieg bei einem Abstiegskandidaten, aber die ausgelassene Freude verdeutlichte: Immer mehr glauben die BVB-Profis daran, dass sie im Titelkampf noch lange dabei sein werden. «Weinen tut keiner», sagte Marius Wolf lächelnd, als er nach der Stimmung beim neuen Spitzenreiter in der Kabine gefragt wurde.
Mit dem 1:0 bei Hoffenheim feierten die Dortmunder am Samstag den siebten Sieg im siebten Spiel 2023 in der Bundesliga und sind punktgleich mit den Bayern an der Tabellenspitze. «Wir haben neun von neun Spielen gewonnen. Das ist genau der Lauf, den wir uns vorgenommen haben», findet der erneut überragende Kobel und freut sich auch über die Art und Weise: «Wir haben in den letzten Wochen immer wieder mal auch knappe Spiele gewonnen. Das zeichnet eine Spitzenmannschaft aus. Deswegen stehen wir da, wo wir stehen, weil wir diese Spiele gewinnen.»
Und aus dieser Position gäbe es nur eine Zielvorgabe. «Wir sind ganz oben. Was drin ist? Ist ja klar: Wir spielen um die Meisterschaft mit», sagt Kobel. «Wenn man da oben steht, muss man nicht sagen, dass man auf etwas anderes guckt.» Jeder seiner Mitspieler sei «aus einem Grund bei der Borussia, weil wir alle Spiele gewinnen wollen. Im Moment machen wir das». Und so sei «alles drin», findet der Schweizer Nati-Goalie: «Am Ende werden wir sehen, wofür es reicht. Wir müssen uns reinbeissen und alles geben.»
Torschütze Julian Brandt erklärte die grosse Freude nach dem Abpfiff: «Es war kein einfaches Spiel, wir haben das Glück ein bisschen strapaziert. Das ist jetzt eine sehr, sehr starke Momentaufnahme – man kann sich das aber schnell auch wieder kaputt machen.» Zumal am Freitag mit RB Leipzig ein Titelrivale nach Dortmund kommt.
Die BVB-Fans sangen schon vom Titel – und Terzic dimmte die Begeisterung erst gar nicht herunter, sondern philosophierte bei der Pressekonferenz: «Nicht nur die Fans, sondern jeder Mensch sollte träumen. Weder die Mannschaft noch ich werden fürs Träumen bezahlt. Träumen wird uns nicht helfen, ins nächste Spiel zu gehen und zu gewinnen. Trotzdem werden wir niemandem auf dieser Welt verbieten zu träumen.»
«Wir sind natürlich sehr, sehr froh über den Sieg heute, aber wir sind noch lange nicht fertig», kündigte Terzic noch an. Eine Titelansage angesichts des Dortmunder Höhenflugs hatte BVB-Sportdirektor Sebastian Kehl schon vor dem Anpfiff verweigert – «weil wir wissen, wo wir herkommen», sagte er im Sky-Interview. «Wenn es irgendwann so weit ist, werden wir uns auch mit dem Thema beschäftigen. Aber noch ist es zu früh.»
Bayern München mit Signal an sich selbst
Beim Blick auf die Tabelle war die Welt des FC Bayern auch für Oliver Kahn nach dem deutlich demonstrierten Führungsanspruch im Topspiel gegen Union Berlin wieder in Ordnung. Der Vorstandschef sprach nach dem 3:0 am Sonntagabend von einem «wichtigen Moment» in dieser Saison. «Dortmund hatte sich für 24 Stunden auf Platz eins gespielt. Und es ist wichtig, dass wir auf Platz eins bleiben – für alle», sagte Kahn.
Der frühere Bayern-Kapitän ahnt längst, dass der Weg zum elften Meistertitel hintereinander für den Münchner Serien-Champion steinig wird. «Das wird aller Voraussicht nach nicht eine Saison, wie es die letzten Jahre immer war, dass wir einen gewissen Abstand hatten und zum Schluss relativ klar deutscher Meister geworden sind. Dieses Jahr ist es enger», sagte Kahn.
Und die 2023 von Sieg zu Sieg eilenden und inzwischen punktgleichen Dortmunder schätzt der 53-Jährige unter den zahlreichen Bayern-Jägern am gefährlichsten ein. «Im Moment spricht sehr viel dafür», antwortete Kahn auf die Frage, ob der BVB der Hauptrivale sei. «Sie haben jedes Spiel gewonnen. Sie sind gut drauf, wir sind gewarnt.»
Der Auftritt gegen Union war aber auch ein Zeichen der in der Liga in diesem Jahr bislang so verwundbaren Bayern. «Wir haben gezeigt, wie wir spielen können, das war schon mal ein Signal an uns selbst. Das ist mir wichtiger als ein Signal an die Liga», sagte Thomas Müller, der zwei der drei Tore von Eric Maxim Choupo-Moting, Kingsley Coman und Jamal Musiala vorbereitet hatte. «Wir haben gezeigt, dass wir da sind, wenn wir zur Stelle sein müssen.»
Julian Nagelsmann verliess eine Woche nach seiner heftigen Schiedsrichter-Schelte im Anschluss an die Niederlage in Mönchengladbach die Allianz-Arena diesmal als glücklicher Trainer. «Wir wollten zeigen, was unser Anspruch an uns selbst ist», sagte der 35-Jährige. Das gelang. «Genauso müssen wir spielen, diese Dominanz, diese Präsenz, diese Zweikampfstärke, diese Mentalität wollen wir haben», sagte Sportvorstand Hasan Salihamidzic.
Offenbar hatte auch ein Team-Abend vor dem Topspiel etwas Positives bewirkt. «Solche Momente sind wichtig, dass man sich mal im Mannschaftskreis die Meinung sagt, Dinge auch ausräumen kann», bemerkte der ehemalige Nationaltorhüter Kahn. «Das sind kleine, aber wichtige Momente, die am Ende immer ein Mosaikstein für den Erfolg sein können.»
Yann Sommer im Bayern-Tor musste gegen Union bloss einen Schuss abwehren und sagte im Anschluss an die Partie zu «20 Minuten»: «Union hatte sozusagen keine Chance.» Der Torhüter erklärte zudem, weshalb das Spiel gegen die Berliner so wichtig war: «Man konnte selber etwas mitfühlen, was da im Verein los war in der Woche nach der Niederlage gegen Gladbach. Wir haben gegen Union eine sehr gute Leistung gezeigt und es war auch wichtig, wie wir aufgetreten sind.»
Einfache Analyse für Urs Fischer
Zum Fazit «keine Chance» kam auch ein anderer Schweizer – allerdings auf der Seite von Union Berlin. Trainer Urs Fischer machte mit einer sehr prägnanten Kurz-Analyse einen Haken unter die erste Niederlage von Union Berlin in diesem Jahr. Der Schweizer sprach von einem «hochverdienten Sieg» des FC Bayern München. «Die Analyse ist einfach. Wir hatten keine Chance. Bayern war um zwei, drei Klassen besser als wir», sagte der 57-Jährige.
«Bis zum 1:0 ging es noch. Was mich ein bisschen genervt hat, waren die Gegentore zwei und drei vor der Pause. Die waren nicht zwingend. Bayern hat dann in der zweiten Hälfte einen Gang runtergeschaltet», kommentierte Fischer. Sein Team kam drei Tage nach dem kräftezehrenden 3:2 gegen Ajax Amsterdam in der Europa League nicht ans Leistungslimit.
«Der Gegner hat uns immer wieder gepresst und gestresst», meinte Fischer, der resümierte: «Diese Niederlage kann man gut analysieren, da werden wir viele Dinge für uns herausnehmen, an denen wir noch viel arbeiten.»
Fischer gratulierte seinem Münchner Trainer-Kollegen Julian Nagelsmann nicht nur zum Sieg. Er wünschte dem 35-Jährigen mit dem FC Bayern auch viel Glück für das Achtelfinal-Rückspiel in der Champions League gegen Paris Saint-Germain. «Da werde ich euch sicherlich die Daumen drücken», sagte Fischer in der gemeinsamen Pressekonferenz mit Nagelsmann in der Allianz Arena. Die Bayern gehen mit einem 1:0 aus dem Hinspiel in Paris in die zweite Achtelfinal-Partie am 8. März.