Andres Ambühl bestreitet ab dem Wochenende in Riga seine 16. Eishockey-WM. Damit egalisiert er den Weltrekord seines langjährigen Nati-Weggefährten Mathias Seger. Dabei muss es nicht bleiben.
Nein, Mathias Seger habe noch nicht angerufen und sich darüber beschwert, dass er ihm nun seinen WM-Weltrekord streitig mache, sagt der Bündner. Denn noch sei es ja nicht so weit. Und überhaupt findet er, «so eine grosse Sache ist das jetzt auch wieder nicht». Das ist typisch Andres Ambühl. Und wohl ein Hauptgrund, weshalb er für eine grandiose Sportler-Karriere mit einer unfassbaren Konstanz sorgt. Bescheidenheit und Demut unbedingt, aber bloss kein Aufsehen um die eigene Person und schon gar keinen Sonderstatus.
Obwohl Ambühl diesen eigentlich längst besitzt. 267 Länderspiele für die Schweiz, damit ist er die Nummer 3 hinter Seger (305) und Ivo Rüthemann (270). 107 WM-Spiele, womit ist er die Nummer 4 auf der Welt hinter Udo Kiessling (De, 119), Alexander Maltsew (Russ, 110) und Jiri Holik (Tsch, 109) ist. Wenn alles normal läuft, wird er Holik und Maltsew bereits nächste Woche überholt haben und nur noch Kiessling vor ihm liegen. Und nun also auch noch der bevorstehende Weltrekord mit den meisten WM-Teilnahmen.
«Es gibt Wichtigeres im Leben als die Anzahl gespielter Weltmeisterschaften»
Ein Rekord, den Seger und Ambühl vorerst gemeinsam teilen werden. Wobei Seger diesen bereits loswürde und Ambühl zum alleinigen Rekordhalter, wenn Corona nicht dazwischen gekommen wäre und 2020 zur Absage der Heim-WM in Zürich und Lausanne geführt hätte. Der Stürmer des HC Davos dazu: «Was gewesen wäre, ist nicht besonders interessant. Ändern kann man es ohnehin nicht und es gibt auch wichtigere Sachen im Leben, als ob man jetzt die 14. oder 15. oder die erste WM spielt.»
In der Leichtathletik lassen sich die Weltrekordler mit der jeweiligen Rekordzahl jeweils stolz und mit dem Daumen nach oben gerichtet fotografieren. Solche Fotos von Ambühl und der 16 wird es dagegen kaum geben. Denn es ist etwas anderes, das ihn antreibt als Rekorde. Es ist die Leidenschaft für diesen Sport, für das Spiel mit Stock und Puck und dafür, gemeinsam mit 20 Kollegen zu versuchen, ein Eishockeymatch zu gewinnen. Immer wieder aufs Neue.
Alles begann 2004 in Prag
Der sechsfache Meister (fünfmal mit Davos, einmal mit den ZSC Lions) ist keiner, der in Erinnerungen schwelgt, sondern stets im Hier und Jetzt lebt und dabei neue Ziele ins Visier nimmt. Aktuell das WM-Startspiel der Schweiz am Samstag gegen Tschechien. Trotzdem kann er sich an seine erste WM 2004 noch sehr gut erinnern. «Diese werde ich für immer in Erinnerung behalten. Es war in Prag, ich war damals 20 und erhielt schon viel Verantwortung.» Das Highlight war für ihn natürlich die WM-Silbermedaille 2013 in Stockholm, aber auch jene 2008 in Québec empfand er als cool. «Aber natürlich ist es jeweils am besten, wenn man Erfolg hat.» Als die schlimmste WM bezeichnet er jene von 2014 in Minsk, als die Nati sogar gegen den Abstieg spielen musste: «Das war nicht so lässig.»
Verpasst hat der Bauernsohn aus dem Sertigtal in all den Jahren nur eine einzige WM. Ausgerechnet 2018, als die Nati in Kopenhagen für das zweite Silberwunder sorgte, fehlte er verletzungsbedingt. «Ich wäre da sicher gerne dabei gewesen, das ist keine Frage. Aber ich habe mich für jene gefreut, die dabei waren und Silber gewinnen konnten.» Als «Glück» bezeichnet Ambühl, dass er abgesehen von 2018 von gröberen Verletzungen verschont geblieben sei, «es ist mir bewusst, dass es nicht normal ist, dass ich schon an so vielen Weltmeisterschaften dabei sein konnte».
Mit 37 Jahren eine persönliche Rekordsaison
38 wird Andres Ambühl am 14. September. Aber bei ihm sieht es so aus, als könne er die Zeit anhalten und damit verhindern, dass die innere Uhr tickt. Gerade hat er die statistisch beste Saison seiner Karriere gespielt, 44 Skorerpunkte realisierte er aus 45 Spielen für den HCD – ein Wahnsinnswert! Er selbst findet dazu, ganz Ambühl like: «Skorerlisten sagen jeweils nicht alles aus. Ich selbst habe das Gefühl, dass ich auch schon bessere Saisons gespielt habe als diese, aber am Ende weniger Skorerpunkte auf dem Konto hatte.»
Beeindruckt sind Freund und Feind auch immer wieder von seinem Energielevel, das von ihm noch immer mit scheinbar vollem Tank in die Waagschale geworfen wird, und seiner Schnelligkeit, von der er auch im Herbst seiner Karriere absolut nichts eingebüsst hat. Er mache nichts Spezielles dafür, «vermutlich habe ich das Glück, dass mein Körper diese Voraussetzungen von Natur aus mitbringt. Mein Körper fühlt sich allgemein weiterhin relativ gut an. Deshalb geniesse ich es, solange es so ist».
Immerhin gesteht «Büehli», wie Ambühl von allen genannt wird, dann aber doch noch ein, dass er der Regeneration inzwischen mehr Augenmerk schenke als früher. Was irgendwie doch beruhigend ist. Denn es gibt die Gewissheit, dass auch Ambühl letztlich nur ein Mensch ist.
Ein Mensch, der aber weiterhin keinen Gedanken daran verschwendet, seine Nati-Karriere zu beenden. Diese werde dann vorbei sein, wenn er kein Aufgebot mehr erhalte. «Dann wird es sich von selber erledigt haben, aber den Rücktritt aus der Nationalmannschaft wird es von mir nie geben. Ich spiele einfach gerne Hockey und für die Nati sowieso.» Mathias Seger wird sich mit dem Gedanken anfreunden müssen, dass er seinen WM-Rekord 2022 ganz verlieren könnte.