Die in dem Ausmass nicht erwartete Dominanz der Young Boys prägt den Schweizer Fussballherbst. Zurzeit besteht keine Hoffnung, dass der Kampf um den Meistertitel im Frühling spannend werden könnte.
Eher wird man nur der Frage Spannung abgewinnen können, wie viele Liga-Rekorde, vornehmlich solche des FC Basel, die Young Boys werden brechen können.
Drei Beispiele: Basel wurde 2012 mit 20 Punkten Vorsprung (auf Luzern) Meister. YB hat allein in diesem Herbst eine Reserve von 19 Punkten herausgeholt. 86 Punkte totalisierte Basel in der Meistersaison 2016/17. YB steht nach der Hälfte der Saison bei 49. Um für die höchste Anzahl erzielter Tore (Basel mit 90 Toren in der Saison 2009/10) auf Kurs zu bleiben, müssten die Berner bis hierhin 45 Tore erzielt haben. Sie haben jedoch schon 57 Mal getroffen haben. Die 57 Tore wiederum sind seit letztem Wochenende der Rekord für eine Herbstrunde der 2003/04 begonnenen Super League.
Gegner mit Ehrfurcht vor YB
Das 4:1 in Neuenburg am letzten Spieltag der Vorrunde führte die Diskrepanz in den Leistungsvermögen zwischen den Young Boys und der Konkurrenz auf fast schon übertriebene Weise vor Augen. Etwas übertrieben war sicher, was Xamax' Goalgetter Raphael Nuzzolo, der langjährige YB-Spieler, nach dem Match sagte: YB sei vier oder fünf Klassen besser als Xamax. In ähnlicher Weise äusserte sich der Neuenburger Trainer Michel Decastel: «Spielerisch können wir mit allen Mannschaften mithalten, ausser mit den Young Boys natürlich.»
Auf der Maladière erzielten die Berner alle vier Tore aus dem Spiel heraus mit scheinbarer Leichtigkeit. Das 1:0 schoss Guillaume Hoarau ohne ersichtliche Anstrengung im Auslaufen nach einem kurzen Zwischenspurt – und mit langem Bein lässig in der Manier von Zinédine Zidane. Tatsächlich traten die Unterschiede zwischen zwei Super-League-Mannschaften kaum je derart deutlich zutage wie in diesem Match.
Am 23. September war ein Ergebnis der 7. Runde schier schockierend gewesen: YB - Basel 7:1. Es war das deutlichste Zeichen dafür, dass die Hierarchie im Schweizer Klubfussball in nur anderthalb Jahren eine ganz andere geworden war. Der FC Basel wurde auf eine Weise gedemütigt, wie er selber während vieler Jahre die ganze Konkurrenz gedemütigt hatte. Dass in diesem von vielen Erfolgen verwöhnten Verein Unruhe und Unzufriedenheit aufkommen, dass Präsident, Sportchef und Trainer im Turnus hinterfragt werden, ist eine natürliche Folge der ungewohnten Rollenverteilung in der Super League.
Dass die Differenz zwischen YB und dem von Basel angeführten Rest 19 und mehr Punkte beträgt - mehr als je zuvor bei Saisonhälfte – ist nicht nur der Mannschaft von Trainer Gerardo Seoane zuzuschreiben, sondern auch den Gegnern, die sich zerfleischen. Es gibt relativ viele Unentschieden. Jedes Remis bedeutet für beide Mannschaften eine Zweidrittelniederlage. Keiner Mannschaft ausser YB (neun Siege, aktuell schon wieder sieben Siege) ist eine erwähnenswerte Siegesserie geglückt. Jeder Versuch ist im Keim erstickt. Nur Sion brachte es einmal auf – immerhin – drei Siege am Stück, alle anderen auf höchstens zwei.
Die Dampfwalze
Gegnerische Trainer heben nicht selten die physische Verfassung hervor, wenn sie von YB reden. Die regelmässig starken Auftritte der Berner in der zweiten Halbzeit bestätigen die Ansicht der Konkurrenz. YB erzielte 31 seiner 57 Tore in der letzten halben Stunde, 19 davon sogar erst in der «YB-Viertelstunde». Wenn dem Gegner allmählich der Schnauf ausgeht, stellen die Young Boys auf den Modus Dampfwalze um. Dabei waren sie jeweils in der ersten Spielstunde keineswegs untätig. In dieser Zeit erzielten sie 26 Tore - mehr als über die ganzen 90 Minuten die Grasshoppers (21), gleich viele wie Zürich, Lugano und Neuchâtel Xamax und nur etwas weniger als St. Gallen (27), Sion (28) und Luzern (29).
Drei Trainerwechsel
Die Zahl der Trainerwechsel im Herbst entsprach ungefähr jener früherer Jahre. Nebst dem obligatorischen Wechsel in Sitten – von Maurizio Jacobacci zu Murat Yakin – ergriff man auch in Basel (früh in der Saison von Raphael Wicky zu Marcel Koller) und Lugano (von Guillermo Abascal zu Fabio Celestini) zu der häufigen Massnahme. Derzeit fährt die Liga in ruhigen Gewässern. Weitere Wechsel sind nicht abzusehen.
YB mit bestem Kalenderjahr
Mit ihrer überzeugenden Rückrunde der letzten Saison und der starken ersten Hälfte der laufenden Saison haben die Young Boys einen alten Rekord des FC Basel gebrochen. Die Berner lieferten mit dem Durchschnitt von 2,66 Punkten das beste Kalenderjahr seit der Gründung der Super League 2003 ab. Basel hatte es vor 15 Jahren auf den fast gleichen Schnitt (2,65 Punkte) gebracht. 2003 wurde das Frühlingspensum noch nach dem alten Modus mit Qualifikation und Finalrunde ausgetragen. In der damaligen Finalrunde bestritten die Basler 14 Spiele.
Die Young Boys waren schon einmal - 2009 - Jahresbester. Sie wurden aber in keiner der betreffenden Saisons Meister. Einmal mussten sie Zürich den Vortritt lassen, das andere Mal Basel. Der FC Zürich wiederum war nur 2006 der Beste des Kalenderjahres, wurde aber 2006, 2007 und 2009 Meister.
Nach der landläufigen Meinung sind die Klubs mit Kunstrasen im Heimstadion im Vorteil gegenüber den Klubs mit Naturrasen. Auch der eine oder andere Cheftrainer in der Super League hat sich in der Vergangenheit so geäussert.
Vorteil Kunstrasen?
Gibt es diesen Vorteil der etablierten Kunstrasen-Fraktion Thun/YB tatsächlich? Und nutzen die Kunsträseler den Vorteil über Gebühr? Die Zahlen aus den letzten anderthalb Jahren, seit Beginn der Saison 2017/18, bestätigen dies in keiner Weise.
Der FC Thun belegt in der Wertung aller Spiele auf Naturrasen den 8. Platz unter den elf Mannschaften, die in dieser Periode in der Super League gespielt haben. Mit dem Durchschnitt von 1,17 Punkten pro Spiel auf Naturrasen sind die Berner Oberländer nahe an den vor ihnen liegenden St. Gallen, Sion und Lugano - und vor den Grasshoppers. Dabei muss man berücksichtigen, dass jedes Naturrasen-Spiel für Thun automatisch ein Auswärtsspiel ist.
Die Young Boys sind in der ausgewerteten Periode auf beiden Unterlagen die mit Abstand beste Mannschaft. Auch hier gilt: YB spielt nur in fremden Stadien auf Naturrasen. Dennoch haben die Berner mit 2,39 Punkten pro Naturrasen-Match sogar den ersten Rivalen FC Basel (1,93) klar auf Distanz gehalten. In diesem Herbst hat YB auf Naturrasen zwei Punkte abgegeben, auf Kunstrasen dagegen drei.
Seit dieser Saison ist eine dritte Mannschaft mit Kunstrasen in der Super League vertreten, Neuchâtel Xamax. Auch bei den Neuenburgern deutet nichts darauf hin, dass die künstliche Unterlage ein Vorteil wäre. Im Gegenteil. Auf Kunstrasen holten sie 0,63 Punkte pro Match, als Naturrasen 0,85 Punkte.