Kommentar Darum ist es nicht so schlimm, dass der Nati ein Weltklasse-Stürmer fehlt

Kommentar: Patrick Lämmle

18.6.2018

Laut «transfermarkt.ch» gibt es an der WM 366 Spieler, die wertvoller sind als Haris Seferovic.
Laut «transfermarkt.ch» gibt es an der WM 366 Spieler, die wertvoller sind als Haris Seferovic.
Bild: Getty Images

Immer wenn das FIFA-Ranking veröffentlich wird, lacht ein Grossteil der Fussball-Fans darüber, dass die Schweiz so gut klassiert ist (aktuell Rang 6). Warum dies so ist – und weshalb es nicht so sein dürfte. Ein Kommentar.

In der Wahrnehmung vieler Nörgler und Kritiker gewinnt die Schweiz nur Spiele gegen Lettland, Ungarn, Andorra und die Faröer. Und der 2:0-Sieg gegen Portugal zum Auftakt der WM-Quali? Nur weil Ronaldo nicht gespielt hat. Das 1:1 im Testspiel gegen Spanien? Das war eben nur ein Testspiel. Das 1:1 gegen Brasilien? Nur Glück, Brasilien war einfach noch nicht in Topform. Und sowieso gewinnt die Schweiz keinen Blumentopf, wenn es wirklich zählt. In etwa so hört sich das jeweils an.

Dabei gehört unsere Nati zu den konstantesten Nationalteams der letzten Jahre! Sie ist defensiv gereift, unglaublich stabil und funktioniert im Kollektiv hervorragend. Und die Spieler haben diese Winner-Mentalität tief in den Köpfen verankert. Jeder einzelne glaubt an sich und vielleicht noch wichtiger, an das Team. Es werden nicht nur grosse Töne gespuckt, es wird auch abgeliefert.

Dass die Schweiz dennoch für viele nicht zu den grossen Fussball-Nationen zählt, dürfte vor allem daran liegen, dass ein überragender Angreifer fehlt, der der gesamten Mannschaft Glanz verleiht.

Haris Seferovic ist kein Weltstar, doch am Einsatz mangelt es nicht.
Haris Seferovic ist kein Weltstar, doch am Einsatz mangelt es nicht.
Bild: Keystone

Tatsächlich ist das grösste Manko der Schweiz, dass ein Angreifer von Weltklasse-Format fehlt, ein echter Knipser, den man nur schwer ausrechnen kann und der deshalb in jedem Spiel seine Torchance bekommt. Polen hat Lewandowski, Portugal Ronaldo, Senegal Mané, Kroatien Mandzukic, Ägypten Salah, England Kane, Uruguay Suarez, Argentinien Agüero, Brasilien Neymar, Belgien Lukaku, Spanien Costa und die Franzosen Griezmann.

Bei den Topteams sind die genannten Spieler nur Platzhalter, man könnte dort gut und gerne noch drei, vier weitere Angreifer von Weltklasse-Format obendrauf rechnen. Und die Schweiz? Wir haben in der Startelf meistens Haris Seferovic! Ein Mann, der sich fürs Team aufopfert, der aber die gegnerische Abwehr nicht in Angst und Schrecken versetzen kann. Wenn er am Ball ist, dann herrscht beim Gegner nicht Alarmstufe Rot, dann fixiert sich nicht die gesamte Abwehr auf ihn – was dann auch Platz schaffen würde für seine Mitspieler.

Das Fehlen eines echten Torjägers hat nicht nur Nachteile

Dass der Schweiz diese individuelle Klasse in der Offensive abgeht, hat nicht nur Nachteile. Der Erfolg der Mannschaft ist nicht davon abhängig, ob Seferovic trifft oder nicht. Bei anderen Nationen schwebt diese Gefahr immer mit. Ausserdem ist die Schweiz dank diesem Manko für die Gegner noch schwerer auszurechnen. Denn während bei Polen beispielsweise fast immer Lewandowski gesucht wird, versuchen die Schweizer immer wieder neue Lösungsansätze zu finden. Aber schon klar, auch wir würden nicht «nein» sagen, wenn wir in der Spitze einen Lewandowski aufstellen könnten. Denn Spieler, die jederzeit den Unterschied ausmachen können, sind natürlich trotzdem ungemein wertvoll.

Wie könnte das «Problem» entschärft werden?

Eine System-Anpassung könnte der Schweiz im Sturmzentrum zu mehr Durschlagskraft verhelfen. Dann nämlich, wenn Petkovic zwei Stürmer auflaufen liesse. Allerdings würde dann die Gefahr drohen, dass man an defensiver Stabilität einbüsst, da es im Mittelfeld mehr Räume für die Gegner gibt. Und genau dieses massive Bollwerk im Zentrum ist der Schlüssel zum Erfolg in dem von Petkovic bevorzugten 4:2:3:1-System. Und die Resultate geben dem Coach recht! Eine Systemumstellung wird nur dann Sinn machen, wenn die Schweiz einen Rückstand auf Biegen und Brechen aufholen muss.

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