Die Zeit von Joe Zinnbauer beim FC St.Gallen war nicht von Erfolg geprägt. Beim marokkanischen Spitzenklub Raja Casablanca schaut es anders aus. Er greift nach dem Double und steht vor einer Saison ohne Niederlage.
Keine Zeit? blue Sport fasst für dich zusammen
- Joe Zinnbauer ist seit Juni 2023 Trainer bei Raja Casablanca. In der laufenden Saison ist der ehemalige FCSG-Coach noch ungeschlagen. In Marokko steht er vor dem Gewinn des Doubles.
- Mit blue Sport spricht Zinnbauer über seinen Höhenflug in Marokko und über seine Zeit beim FC St.Gallen. Er herzt allem voran die Fans – sowohl in Nordafrika als auch in der Ostschweiz.
- Ob für Zinnbauer eine Rückkehr nach Europa in Frage kommt? «Es sind viele Vereine gerade dran, mich zu kontaktieren.» Er möchte sich nun aber auf die finale Phase in der Meisterschaft konzentrieren.
Joe Zinnbauer reitet in Marokko auf einer grossen Erfolgswelle. Seit seiner Ankunft im Juni 2023 hat sich beim marokkanischen Spitzenklub Raja Casablanca einiges getan. Kein Stein ist auf dem anderen geblieben. Ein Grossteil der Mannschaft wurde auf die neue Saison hin ausgetauscht. Mit Erfolg.
Zinnbauer ist mit Raja seit 32 Spielen ohne Niederlage und in der laufenden Saison somit noch ungeschlagen. Zum Vergleich: Shooting-Star Xabi Alonso kassierte mit Leverkusen in der abgelaufenen Saison eine einzige Niederlage. Am kommenden Freitag steht für Zinnbauer in der Liga das alles entscheidende Spiel um den Meistertitel an, auch im Cup greift er nach der Trophäe.
Mit blue Sport spricht Zinnbauer über das «fussballverrückte» Marokko, die Zeit in St.Gallen, die ein «negatives» Ende nahm und Gerüchte aus Fussball-Europa.
Von Deutschland, über die Schweiz, Südafrika und Russland nach Marokko zu Raja Casablanca – was hat Sie für ein Engagement bei Raja überzeugt?
Joe Zinnbauer: Da gibt es verschiedene Gründe. A habe ich mit Orlando Pirates (Südafrika, d.Red.) im Viertelfinal gegen Raja gespielt und wusste natürlich viel über den Verein, die Fans, die Stadt und dieses verrückte positive Gefühl, das in Casablanca herrscht. Der zweite Punkt war natürlich auch die Historie vom Verein. Ein ganz alter, traditioneller Klub. In Sachen Titel ist in den letzten Jahren nicht viel passiert. Das war der Reiz für mich (nach dem Engagement bei Lok Moskau, d.Red.) wieder zurück nach Afrika zu gehen.
Wie lebt es sich in Marokko?
Es ist natürlich ein anderes Leben. Aber Marokko ist ein bisschen europäischer angehaucht als die meisten afrikanischen Länder oder Städte. Die Pünktlichkeit lässt zwar manchmal zu Wünschen übrig. Du machst Termine aus und dann kommen sie halt ein bisschen später. Aber das gehört zum Leben hier. Aber sonst ist es der ganz normale Alltag hier. Wir haben hervorragendes Trainingscenter, das ist nagelneu. Und die Menschen in Marokko sind alle fussballverrückt.
Eine fussballverrückte Nation also. Wie ist die Stimmung in den Stadien?
Wenn wir ein Heimspiel haben und es geht um ein bisschen was, dann sind hier knapp 60'000 Zuschauer im Stadion. Das ist ohne Übertreibung zu sagen, dass es mit die besten Fans der Welt sind. Ich durfte in Dortmund, in München, beim HSV spielen. Ich habe in Südafrika vor mehr als 100'000 Zuschauern gespielt. Das war auch schon enorm, was da für ein Feeling entstanden ist. Aber jetzt bei Raja, das toppt nochmals alles, was ich bisher erlebt habe. Das ist unglaublich, man hat 90 Minuten Gänsehaut, man versteht sein eigenes Wort nicht mehr.
«Die Stimmung bei Raja toppt nochmals alles, was ich bisher erlebt habe.»
Gänsehaut pur also. Was sind die Unterschiede zwischen der marokkanischen Liga und der Schweizer Super League?
Die Schweizer sind viel besser ausgebildet im Basic-Wissen, weil die Spieler durch Jugendleistungszentren laufen oder sehr gut ausgebildete Trainer haben. In Marokko tut sich aber einiges in Sachen Fussball. Die Individualität der Spieler hier ist fantastisch. Sie haben Einzelspieler, die wirklich noch kreativ sind, die ein Eins-gegen-eins suchen, die offensiv spielen wollen, die auch wirklich Spiele gewinnen wollen. Weil sie halt auch auf der Strasse sozusagen aufwachsen. Hier hat man auch Strassenkicker, das muss man in Europa immer ein bisschen suchen.
Wie blicken Sie auf die Zeit beim FC St.Gallen zurück?
Immer positiv, auch wenn der Abgang sicherlich negativ war. Ich wollte vielleicht zu lange an den Zügeln ziehen. Wir hatten das Ziel intern ausgegeben, Jugendspieler aufzubauen. Das haben wir auch gemacht. Wir konnten da Strukturen schaffen und haben viel bewegt. Für uns war nicht das Ziel, nach Europa zu gehen. Und das hat natürlich das Publikum dann nicht hören und sehen wollen, dass wir uns mehr auf die Jugend als auf Titel konzentrieren. Die Fans in St.Gallen sind fantastisch. Das sind mit die besten, wenn nicht sogar die besten Fans, für mich vom Herzen her. Das war toll zu sehen, wie die Fans da zusammenhalten. Ich habe eine schöne Zeit gehabt.
«Die Fans in St.Gallen sind die besten – vom Herzen her.»
Wie beurteilen Sie die Entwicklung des FC St.Gallen seit der letzten Jahre?
Sehr positiv. Peter Zeidler hat einen hervorragenden Job gemacht. Auch Alain Sutter hat einen tollen Job gemacht. Er hat eben auch eine andere Philosophie mit den neuen Vorständen kreiert. Sie wollten nicht nur die Jugend aufbauen, sie wollten erfolgreicher Fussball spielen. Es ging um Tabellenplätze. Das haben die Verantwortlichen hervorragend umgesetzt. Ich glaube, dass der FC St.Gallen auf dem richtigen Weg ist. St.Gallen kann in der Zukunft sicherlich auch ein Wörtchen um Platz 1 und Platz 2 mitsprechen.
Peter Zeidler verlässt die Ostschweiz nach sechs Jahren in Richtung Bochum. Wie beurteilen Sie den neuen FCSG-Coach Enrico Maassen?
Ich kenne ihn überhaupt nicht und habe ihn nur in der Bundesliga in Augsburg verfolgen dürfen, aber ansonsten kann ich mir kein Urteil erlauben. In Augsburg hat er einen schweren Job übernommen. Ich glaube, als junger Trainer haben nicht so viele an ihn geglaubt. Der FC Augsburg hat an ihn geglaubt. Und ich glaube, das war der richtige Schritt für den FC Augsburg, denn er hat auch die Mannschaft weiterentwickeln können. Und wenn Maassen die Erfahrungen mit nach St.Gallen bringt, sein System umsetzen kann und die Menschen ihm auch vertrauen, glaube ich, wird er Erfolg haben.
Erfolg haben Sie zurzeit mit Raja. Sie sind seit 32 Spielen ungeschlagen und somit das einzige Profi-Team, das in der laufenden Saison noch ohne Niederlage ist. Wie wichtig ist Ihnen diese Serie?
Wir hatten letztes Jahr ein sehr schweres Jahr. Ich habe ja nur vier Spieler aus der alten Saison mitnehmen dürfen. Die Mannschaft hatte einen kompletten Umbruch. Wir haben gewusst, dass es wahrscheinlich schwer wird. Das Ziel mit Raja war eigentlich Platz 3. Wir haben dann lange Zeit auf Platz 2 gestanden und haben es Gott sei Dank geschafft jetzt auf Platz 1 zu stehen. Die Serie ist natürlich schön, aber sie ist für uns nicht wichtig. Wir wollen am Freitag den Meistertitel holen und am besten dann noch den Cup. Da stehen wir im Halbfinale.
Wie ist Ihre Gefühlslage in der entscheidenden Phase der Saison?
Ich muss immer fairerweise dazu sagen: Ich bin überhaupt nicht nervös bei solchen Spielen. Natürlich kitzelt es ein bisschen, aber wenn ich unter Stress und Druck stehe, bin ich bereit, noch mehr Leistung zu bringen. Ich bin heiss, ich würde am liebsten heute schon spielen. Wir müssen aber jetzt noch warten bis Freitag. Wir haben nicht viele Spieler im Kader, die schon mal einen Meistertitel gewonnen haben. Die Spieler müssen jetzt zeigen, dass sie mental auch stark sind.
«Es sind viele Vereine gerade dran, mich zu kontaktieren.»
Ihre Trainer-Leistung bleibt in Europa sicherlich nicht unbemerkt. Ist es für Sie eine Option, eines Tages wieder in die Bundesliga zurückzukehren?
Ja, es kommt ja immer darauf an, ob auch die Bundesliga Interesse an mir hat. Im Moment fokussiere ich mich hier auf das Freitagsspiel. Es gibt einige Gerüchte. Es sind viele Vereine (auch ausserhalb Deutschlands, d.Red.) gerade dran, mich zu kontaktieren. Aber ich habe erstmal Abstand davon genommen. Ich bin hier bei Raja Casablanca gerade und möchte mich darauf konzentrieren. Ich finde es nicht gut, wenn man jetzt noch anderweitig Verhandlungen führt, um dann vielleicht noch die Meisterschaft zu riskieren. Das will ich nicht. Ich möchte mich jetzt auf Freitag konzentrieren und dann werden wir sehen, was kommt.