Das Coronavirus dürfte drastische Auswirkungen auf den Fussball-Transfermarkt haben. Der Mercato wird im Sommer wohl sehr klein ausfallen. Die Frage: Gibt es noch Megatransfers? Und wenn ja, wann?
Neymar darf sich in seiner komfortablen Isolation in Brasilien freuen. Der Superstar der «Seleção», der 2017 für die Wahnsinnssumme von 222 Millionen Euro von Barcelona zu Paris Saint-Germain wechselte, wird noch für lange Zeit der teuerste Spieler der Fussballgeschichte bleiben. Anderseits tendieren auch die Chancen, dass er wie gewünscht zurück zu Barça wechseln könnte, gleich null. Denn in diesem Sommer, da sind sich fast alle Experten einigen, wird es die ganz grossen Transfers nicht geben. Mit Auswirkungen auf allen Ebenen des Mercato.
Manche sind über dieses Innehalten nicht unglücklich. «Die Höhe der Löhne und Transfersummen haben schon seit Langem eine ungesunde Höhe erreicht», schrieb zum Beispiel Karl-Heinz Rummenigge, Vorstandschef des deutschen Rekordmeisters Bayern München, in einem Artikel im Klub-Magazin. «Die Krise, die durch das Coronavirus ausgelöst wurde, führt zumindest dazu, dieses 'immer mehr, immer teurer, immer schneller' zu stoppen.»
Millionen für Fussballer nicht mehr vertretbar
Dass der Transfermarkt einen deutlichen Einbruch erleben wird, hat sowohl finanzielle als auch moralische Gründe. Gemäss der Beraterfirma KPMG würde ein Abbruch der aktuell unterbrochenen Saison alleine in den fünf grossen Ligen Europas Verluste von 3,5 bis 4 Milliarden Euro verursachen. Hauptgrund dafür wären die versiegenden Fernseh-Gelder. Wegen der Financial-Fairplay-Regeln der UEFA können die ausbleibenden Gelder auch nicht einfach von steinreichen Mäzenen ausgeglichen werden. «Wenn nicht mehr gespielt werden könnte, wären die Verluste so gross, dass es in diesem Sommer keinen Mercato mehr geben würde», glaubt Bernard Caïazzo, Präsident von AS Saint-Etienne und der Besitzervereinigung der Ligue-1-Klubs.
Die Preistreiberei unter den Spitzenklubs wird also ein – zumindest vorläufiges – Ende haben. Angesichts von vom Staat bezahlter Kurzarbeit bei vielen Profiklubs und dem Ruf nach Finanzhilfen vieler Ligen würde es die Öffentlichkeit nicht goutieren, wenn zwei- oder gar dreistellige Millionensummen für Transfers und Spielersaläre ausgegeben würden. Auch die Löhne dürften auf allen Ebenen unter Druck geraten.
Noch nicht aufgegeben haben hingegen die grossen Spieleragenten, die um ihr Geschäft bangen müssen. «Ich hoffe, eines Tages einen gewaltigen Spieler zu Real Madrid transferieren zu können», erklärte Mino Raiola, ein Star der Branche und Vertreter von unter anderen Paul Pogba und Erling Haaland, der spanischen Tageszeitung «Marca». «Und ich werde es in diesem Sommer versuchen.»
Sein Wunsch dürfte nicht in Erfüllung gehen. «Es wird so bald keine Vollzugsmeldungen bei Transfers geben», prophezeit Michael Rummenigge, ehemaliger deutscher Internationaler und Betreiber einer Sportmarketing-Agentur, in einer Kolumne für den «Sportbuzzer». «Schon gar nicht mit Ablösesummen in Höhe von 120 Millionen Euro oder mehr.» Der Bruder des Bayern-Bosses Karl-Heinz Rummenigge rechnet auch fest mit deutlich sinkenden Löhnen für die Top-Verdiener der Branche. «Die Vereine werden künftig sparsamer handeln, sie sind aufgrund der vorerst fehlenden Einnahmen dazu gezwungen», schrieb er.
Viele arbeitslose Fussballer
Während die Einbussen bei den grossen Klubs, Spitzenverdienern und Agenten wohl vielerorts für eine gewisse Genugtuung – oder gar Schadenfreude – sorgen, trifft es aber auch die Mittleren und Kleinen der Branche. Die Löhne dürften durchs Band weg sinken, auch bei Profis, die keine 5000 Franken im Monat verdienen. Oder schlimmer: Klubs, die in Schieflage geraten, werden Spieler trotz laufenden Verträgen entlassen müssen. «Ich rechne mit einem deutlichen Anstieg von Fussballern ohne Arbeit», erklärt der französische Spieleragent Frédéric Guerra. Hart getroffen werden könnten auch Ausbildungsklubs, deren Geschäftsmodell nur aufgeht, wenn sie regelmässig Spieler zu potenteren Klubs transferieren können.
Michael Rummenigge fordert vor allem von den gut bezahlten Bundesliga-Profis solidarisches Handeln. «Denn eine Sache ist klar: Wenn der eine oder andere Klub auf der Strecke bleibt, können wir die Bundesliga nicht mit neun Mannschaften austragen», befand der ehemalige Spieler von Bayern München und Borussia Dortmund. Die Fussballwelt dürfte nach dem Ende der Coronavirus-Pandemie eine andere sein als davor. Und das für längere Zeit.