Gegen FIFA-Präsident Gianni Infantino wurde ein Strafverfahren eröffnet. Wie reagiert die Ethikkommission des Weltverbands? Infantinos Vorgänger Joseph Blatter wurde einst recht zügig gesperrt - allerdings von anderen Ermittlern und wegen anderer Vorwürfe.
Bei Joseph Blatter dauerte es 13 Tage. Der inzwischen 84-Jährige hatte zum Herbstanfang 2015 keine zwei Wochen nach der Eröffnung des Strafverfahrens durch die Schweizer Bundesanwaltschaft, ehe er von der Ethikkommission seines Fussball-Weltverbandes aus dem Verkehr gezogen wurde – zunächst provisorisch für 90 Tage, später für Jahre.
Gegen den heutigen FIFA-Präsidenten Gianni Infantino läuft seit Donnerstag das Verfahren der Justiz, zwar wegen gänzlich anderer Vorwürfe – doch bleibt die drängendste Frage: Wie reagieren die FIFA-Ethiker?
Blatter meint: «Der Fall ist klar. Jetzt muss auch die FIFA-Ethikkommission ein Verfahren gegen Gianni Infantino einleiten und ihn suspendieren», sagte er der Deutschen Presse-Agentur.
Im sogenannten «Ethikreglement» des Weltverbandes ist aber nicht festgeschrieben, dass wegen der Eröffnung eines Strafverfahrens automatisch eine (provisorische) Sperre ausgesprochen werden muss.
Grundsätzlich ist unter anderem vorgeschrieben, dass «diesem Reglement unterstellte Personen sich der möglichen Wirkung ihres Verhaltens auf das Ansehen der FIFA bewusst sein und sich deshalb jederzeit würdevoll, ethisch, absolut glaubwürdig und integer verhalten» müssen.
Infantinos Verteidigung
Infantino werden wegen geheimer Treffen mit dem Leiter der Bundesanwaltschaft, Michael Lauber, Anstiftung zum Amtsmissbrauch, Anstiftung zur Verletzung des Amtsgeheimnisses und Anstiftung zur Begünstigung vorgeworfen. Angeklagt wird neben dem FIFA-Chef zudem ein bei den Treffen ebenfalls anwesender Oberstaatsanwalt. Auch gegen Lauber soll ein Strafverfahren eröffnet werden, er ist aber noch bis Ende Januar 2021 im Amt und deshalb vor Strafverfolgung geschützt.
Infantino weist die Vorwürfe zurück und betont, mit den Treffen seiner «wesentlichen Aufklärungspflicht auch im Sinne der FIFA» nachgekommen zu sein. Zum Zeitpunkt der Treffen ermittelte die Bundesanwaltschaft gegen frühere FIFA-Funktionäre wegen Korruption.
Blatter war vor fünf Jahren wegen einer dubiosen Millionenzahlung der FIFA an den damaligen UEFA-Präsidenten Michel Platini ins Visier der Ermittler geraten. Beide kostete das bis dahin grösste Beben der FIFA-Geschichte die Zukunft auf höchster Fussball-Ebene.
Mit den beispiellosen Sperren der beiden ranghöchsten Funktionäre festigte die damalige Ethikkommission den Eindruck der Unabhängigkeit. Im Mai 2017 wurden Ermittlungschef Cornel Borbély und der deutsche Richter Hans-Joachim Eckert als Leiter der rechtssprechenden Kammer von Infantino geschasst.
Ethikkommission als Feigenblatt
Seitdem tritt die Ethikkommission kaum noch öffentlich in Erscheinung. Die Ermittlungskammer leitet die Kolumbianerin Maria Claudia Rojas, früher Präsidentin des Staatsrats ihres Heimatlandes. Die Rechtsprechung wird vom früheren Präsidenten des Europäischen Gerichtshofes, Vassilios Skouris (Griechenland), verantwortet.
Beiden wurde immer wieder Untätigkeit vorgeworfen – vor allem mit Blick auf Infantino, zuletzt in Zusammenhang mit einem fragwürdigen Privatjet-Flug vor zwei Jahren, über den die «Süddeutsche Zeitung» ausführlich berichtet hatte.
Medienanfragen an die Kommission laufen inzwischen ausschliesslich über die Pressestelle der FIFA, die auch Entscheidungen verkündet. Grundlage für provisorische Sperren ist Punkt 84 des Reglements: «Der Vorsitzende der Untersuchungskammer (...) kann zu einem beliebigen Zeitpunkt während der Untersuchung vorsorgliche Sanktionen verhängen, um zu gewährleisten, dass das Untersuchungsverfahren nicht beeinträchtigt wird, oder wenn ein Verdacht auf ein Vergehen besteht und ein rechtzeitiger Entscheid im ordentlichen Verfahren zweifelhaft erscheint.»