Magische Abende Thun verblüfft auf europäischer Bühne: «Mit wenig Geld viel Erfolg»

SDA

5.5.2020 - 07:51

Vor knapp 15 Jahren schreibt der FC Thun das erstaunlichste Kapitel seiner Vereinsgeschichte. Im ausverkauften Stade de Suisse zieht er mit dem 3:0 gegen Malmö in die Champions League ein.

Andres Gerber, der heutige Sportchef und damalige Captain des FC Thun, nannte die Qualifikation für die Gruppenphase der Champions League «eine der grössten Sensationen im europäischen Fussball». Die Berner Oberländer kamen nicht nur aus einer relativ kleinen Stadt und hatten keinen einzigen Titel vorzuweisen, sie waren auch noch im Massstab des europäischen Fussballs mausearm. Kaum ein anderer Klub dürfte zuvor oder danach mit einem Budget von 5,5 Millionen Franken die Gruppenphase der Champions League bestritten haben.

Der FC Thun faszinierte mit seinem steilen Aufstieg einige Wochen lang ganz Europa: 1997 Promotion in die NLB, 2002 Aufstieg in die Super League, 2005 Meisterschafts-Zweiter und einige Monate später diese traumhafte Qualifikation. Dank dem überragenden Goalie Eldin Jakupovic wurde Dynamo Kiew eliminiert und dann mit Malmö ein machbares Los gezogen. Dabei kam den Thunern entgegen, dass sie im Lostopf die gesetzte Position der geschlagenen Ukrainer übernahmen und so gegen eine ungesetzte Mannschaft antreten durften. Heute würde den Thunern nach dem Exploit gegen Dynamo Kiew gleich nochmals ein Schwergewicht vorgesetzt.

Spätestens nach dem 1:0 in Malmö wurde das Berner Oberland von der Euphorie gepackt. Es gab FC-Thun-Törtchen zu kaufen, ein Grossbildschirm wurde in der Stadt aufgestellt und eine Freinacht bewilligt. «Wir haben mit wenig Geld, aber viel Arbeit Erfolg. Das gefällt den Leuten», sagte der damalige Mittelfeldspieler Silvan Aegerter. Für die Partie im Stade de Suisse wurden 32'000 Tickets abgesetzt. Dass schliesslich einige Plätze frei blieben, lag an den Umständen im Berner Oberland.

Premiere im Stade de Suisse

Während die Spieler des FC Thun sich auf den Match vorbereiteten, brach über die Region nämlich sintflutartiger Regen aus und sorgt für das Jahrhunderthochwasser. Der Thunersee stieg am 22. August 2005, am Tag vor der Partie, so stark an, dass das Stadion Lachen, damals die eigentliche Heimstätte des FC Thun, unter Wasser stand. An die geplante Übertragung auf Grossbildschirm war nicht mehr zu denken, auch die Freinacht fiel aus. Einige Dörfer im Berner Oberland waren durch die Unwetter abgeschnitten.

Das Stade de Suisse war am Matchabend – es war erst der zehnte Europacup-Auftritt der Thuner – trotzdem rot-weiss. 31'243 Zuschauer fanden den Weg ins Stadion, das erstmals seit der Eröffnung einige Wochen zuvor ausverkauft war. Schon zur Pause befand sich die Mannschaft dank der 2:0-Führung auf Kurs. Nach einer guten Stunde sorgte Mauro Lustrinelli mit einem herrlichen Weitschuss aus 35 Metern für den Schlussstand. Der Weg für weitere Höhepunkte im Stade de Suisse war geebnet: Auch gegen Arsenal, Ajax Amsterdam und Sparta Prag waren in der Gruppenphase mehr als 30'000 Fans im Stadion. Als Gruppendritter qualifizierte sich Thun sogar noch für Sechzehntelfinals im UEFA-Cup gegen den Hamburger SV.

Entlassungen und Exodus

Es wäre übertrieben zu sagen, dass auf den Aufstieg der Fall folgte. Aber wahr ist, dass der FC Thun nach der Champions League ins Schlittern geriet. Zwischen der deutlich verlorenen Abstimmung für einen Stadionneubau und der UEFA-Cup-Partie gegen Hamburg wurde im Februar 2006 Trainer Urs Schönenberger entlassen. Einen guten Monat zuvor war schon Sportchef Werner Gerber entmachtet worden. Die beiden gerieten sich immer wieder in die Haare, wenn es darum ging, was mit den Zusatzeinnahmen von über zehn Millionen Franken geschehen sollte.

«Es gab nur noch zwei Themen: Geld und Medien», sagte der damalige Präsident Kurt Weder ziemlich genau ein Jahr nach dem europäischen Höhenflug. Im September 2006 war der FC Thun Letzter der Super League und besass nur noch fünf Spieler im Kader, die gegen Malmö in der Startformation gestanden hatten. Die meisten Champions-League-Helden hatte es in alle Himmelsrichtungen verschlagen: nach Moskau (Jakupovic), Bochum (David Pallas), Edinburgh (José Gonçalves) oder Prag (Lustrinelli). Nur einer, Silvan Aegerter, spielte nach dem Thuner Höhenflug nochmals in der Champions League – 2009 mit dem FC Zürich, als sein ehemaliger Klub längst wieder zu seiner Bodenständigkeit gefunden hatte.

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