Interview Fringer: «Ich mag Xhaka das Lob gönnen, aber man kann es auch übertreiben»

Von Patrick Lämmle

13.10.2020

Rolf Fringer spricht im Interview mit «blue Sport» auch über die Rolle von Granit Xhaka.
Rolf Fringer spricht im Interview mit «blue Sport» auch über die Rolle von Granit Xhaka.
Bild: «blue Sport» / Keystone

Vor dem Nations-League-Spiel gegen Deutschland steht der ehemalige Nationaltrainer Rolf Fringer «blue Sport» Red und Antwort. Wo drückt der Schuh? Oder sind die Erwartungen schlichtweg überrissen?

Die Schweizer Nati trifft am Dienstagabend (20:45 Uhr, Live-Ticker auf «blue Sport») in der Nations League auf Deutschland. Mit nur einem Punkt aus drei Spielen findet sich die Schweiz in der Gruppe 4 am Tabellenende wieder, es droht gar der Abstieg in die Liga B. Im Kalenderjahr 2020 hat das Team von Vladimir Petkovic noch keinen Sieg eingefahren. Ex-Nati-Coach Rolf Fringer analysiert für «blue Sport» die aktuelle Lage.


Gegen Spanien (0:1) ist die Schweizer Nati nur einmal gefährlich vors gegnerische Tor gekommen. Woran hat's gelegen?

Es war klar, dass es gegen Spanien unangenehm wird. Sie haben eine junge, hungrige Mannschaft ohne all zu viele Superstars. Da läuft jeder für den anderen und will sich zeigen. Sie waren top organisiert und haben ein sehr hohes Pressing aufgezogen. Wenn in einer Mannschaft elf Spieler so diszipliniert ans Werk gehen, ist es für den Gegner immer schwierig, gut auszusehen.

Waren die Schweizer zu wenig mutig?

Was heisst mutig? Sie konnten sich einfach nicht durchsetzen. Sie waren schon mutig, aber es hat nicht gereicht. Die Schweizer waren ähnlich organisiert, sie haben auch gepresst und die Spanier an deren Sechzehner unter Druck gesetzt. In Bezug auf das Defensivverhalten kann man den Schweizern nichts vorwerfen. Viel zugelassen haben sie ja auch nicht.

Aber eine Torchance in 90 Minuten ist schon sehr mager.

Das Kombinieren im eigenen Sechzehner ist aller Ehren wert, aber wenn du am Ende, etwas übertrieben formuliert, mehr Ballbesitz im eigenen Sechzehner hast als in der gegnerischen Hälfte, dann kannst du nicht gefährlich werden. Wenn ein Spielertyp wie Seferovic bei eigenem Ballbesitz mehr in der eigenen Platzhälfte herumrennen muss und in 90 Minuten nur gefühlt 15 Sekunden im gegnerischen Strafraum ist, dann wird es schwierig für Gefahr zu sorgen.

Gegen eine so gut organisierte und disziplinierte Mannschaft wie Spanien, da musst du es auch mal mit geradlinigerem Fussball versuchen. Damit meine ich, dass die Schweizer die hoch attackierenden Spanier auch mal mit langen Bällen in die Spitze hätten überspielen sollen. Wenn du dann schnell nachrückst, dann kannst du immer etwas provozieren.

Könnte vielleicht auch Shaqiri die Offensivprobleme lösen?

Zunächst möchte ich sagen, dass es völlig verständlich ist, dass er nicht von Beginn an gespielt hat. Er hat monatelang kaum gespielt und so hast du keine Chance über 90 Minuten auf gutem Niveau zu spielen. Und dann war da ja auch noch die ganze Coronageschichte. Ich kann mir aber gut vorstellen, dass Vladimir Petkovic Shaqiri gegen Deutschland von Beginn an bringt und einfach so lange spielen lässt, wie es geht. Das wäre nicht so schlecht, denn er bringt schon ein Element mit, das nur er hat. Wenn er ein bisschen Freiheiten hat, kann er geniale Situationen kreieren.



Deutschland und die Schweiz haben in den letzten Spielen selten brilliert. In vielen Medien ist bereits von einem Krisen-Duell zu lesen. Ist es das wirklich?

Alles völlig übertrieben. Seien wir ehrlich, die Nations League ist bescheiden wichtig. Nur weil es jetzt Nations League heisst und nicht mehr Freundschaftsspiel macht man einen grossen Hype daraus, wenn ein Team auf- oder absteigt. Aber wenn ich vom 3. Stock in den 2. gehe, ist das auch keine Zeile wert.

Dann können Sie sicherlich auch die Kritik mehrerer ehemaliger Nationalspieler an Jogi Löw nicht nachvollziehen?

Jogi Löw passt sich all diesen Coronageschichten extrem an, nimmt auf alle Vereine und jeden Spieler Rücksicht. Er hat nicht immer mit den Besten gespielt, damit die Erholung bei jenen, die etwa noch im August in der Champions League spielten, nicht zu kurz kommt. Und dann bist du der ‹Löli›, wenn dein Team nicht brilliert. Das ist so übertrieben, dass du die ganze Kritik als Trainer gar nicht mehr ernst nehmen kannst. Das muss man schon auch mal sagen.



Apropos Kritik. Petkovic weht auch immer wieder ein rauer Wind entgegen, wenn es Niederlagen absetzt. Holt er nicht das Maximum aus der Mannschaft heraus oder sind die Erwartungen an die Nati schlichtweg überhöht?

Die Erwartungen sind schon hoch, aber die Spieler wollen ja auch weiterkommen. Aber wenn wir nicht alle Spieler in Topverfassung an Bord haben, dann sind wir keine grosse Fussballnation. Wir brauchen Embolo in Topverfassung, Shaqiri, Zakaria … Wir brauchen ALLE in Topfverfassung und dann sind wir nicht mehr weit weg, das ist eindeutig. In vielen Medien wird alles immer ein bisschen übertrieben.

Gegen Spanien hätte ich mir aber gewünscht, dass Petkovic die Mannschaft phasenweise geradliniger spielen lässt. Die Balance ist wichtig. Bei 0:0 oder wenn du führst kannst du schon so Ballstafetten machen, aber wenn du im Rückstand bist, musst du geradliniger spielen, sonst kommst du zu selten vors gegnerische Tor. Da sollte man variieren, aber sie haben nur kombiniert. Aber Petkovic passt gut zur Mannschaft und umgekehrt gilt das auch. Sie sind eine Einheit und insgesamt macht er sicherlich einen guten Job.



Wenn über die Nati berichtet wird, dann fällt auf, wie Xhaka immer mit extrem viel Lob eingedeckt wird. Zu Recht?

Natürlich ist Xhaka aufgrund der Gesamtorganisation im Schweizer Spiel wichtig. Er ist sicher ein Stück weit Denker und Lenker, das muss man ihm attestieren. Ihn zeichnet auch eine gewisse persönliche Reife aus. Aber ich bin schon auch ein bisschen der Meinung, dass wenn mal einer beginnt ihn zu loben, dann loben ihn alle, weil sie gehört haben, dass er gelobt wird. Verstehen Sie mich nicht falsch. Ich mag Xhaka das Lob gönnen und er spielt nicht ohne Grund bei einem Verein wie Arsenal, aber man kann es auch übertreiben. Er macht wenig Tore und nicht so viele Assists. So gesehen ist er in der Regel ja nicht oft matchentscheidend, was bei einer Gesamtbetrachtung eben auch noch wichtig wäre.

Gefühlt am anderen Ende der Skala steht Remo Freuler. Oft hört man, dass er bei Atalanta Bergamo zwar hervorragend sei, in der Nati aber nicht liefere. Eine berechtigte Kritik? Eigentlich spielt er doch im Verein einen ganz ähnlichen Part wie in der Nati …

Freuler wird wohl wirklich oft ein wenig unterschätzt. Er ist einer, der wichtig ist für den Zusammenhalt in der Mannschaft, für die Stabilität und für die Organisation. In dieser Rolle fällt man nicht gross auf. Wer aber das taktische Verständnis mitbringt, der erkennt Freulers Wert. Wer nur schaut, ob er ein Dribbling macht oder einen Weitschuss abfeuert, also etwas Auffälliges, der findet «mmmh, es goooht so». Darum ist es auch kein Wunder, dass er sich in Italien durchgesetzt hat. Die Italiener verstehen das Taktische besser, sie sehen den Wert eines solchen Spielers. Bei uns ist das weniger der Fall. Dies war übrigens auch schon zu Zeiten von Roberto di Matteo der Fall, wer sich noch erinnern kann.

Eine Frage hätten wir noch. Wie endet das Spiel am Dienstag gegen Deutschland?

Das kann wieder eine ganz ausgeglichene Sache geben. Aber ich denke, dass wir Tore sehen, weil beide Mannschaften nach vorne spielen wollen. Sagen wir mal 2:2. Gegen die Schweiz wetten, kann ich ohnehin nicht. Das macht man einfach nicht.

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