Frankreichs Frauen-Nationalteam ist mit Emotionen, Euphorie und einem 4:0 gegen Südkorea in die Heim-WM gestartet. Nach vielen Enttäuschungen zählt für «Les Bleues» nur der Titel.
Die Bilder gingen um die Welt. Als am Freitag kurz vor Beginn des Eröffnungsspiels im ausverkauften Parc des Princes zwischen Frankreich und Südkorea die «Marseillaise» erklang, konnten Gaëtane Thiney und Marion Torrent ihre Tränen nicht zurückhalten. «Es war genial», sagte Thiney. «Man hatte drei Minuten Zeit, um an alles zu denken.» Sie hätte im ganzen Körper Tränen gehabt. «Ein paar davon sind nach aussen gelangt.» Für die WM 2015 und die Olympischen Spiele 2016 war Thiney nicht nominiert worden. Für den Traum der WM im eigenen Land kämpfte sich die 33-Jährige in die Mannschaft zurück.
Thiney und ihre Kolleginnen gewährten nach dem geglückten Start auch in den Katakomben des Parc des Princes Einblick in ihre Seelen. Sie sprachen über ihre Emotionen und Befindlichkeiten, aber auch über Taktik und Gegner. Es schien, als würden sie auch dort, wo sonst die PSG-Stars um Neymar und Kylian Mbappé oft nur schmallippig Auskunft geben, die Momente aufsaugen und geniessen. Captain Amandine Henry entschuldigte sich, als sie nach den TV-Interviews wegen anderweitiger Verpflichtungen von einem Teambetreuer an mehreren Dutzend Journalisten vorbeigeschleust wurde.
Hohe Aufmerksamkeit
«Les Bleues» kommt seit Wochen eine hohe Aufmerksamkeit zu. Ob landesweit in den Medien oder auf Plakaten in den öffentlichen Verkehrsmitteln der französischen Hauptstadt, Henry und Co. sind in diesen Tagen omnipräsent. TF1 zeigte vor Beginn des Turniers einen Dokumentarfilm, in dem Spielerinnen und ihr Umfeld porträtiert wurden. «Le moment de briller» gibt einen Einblick in das Innenleben der Mannschaft. Und er suggeriert die Hoffnung auf ein ähnliches Sommermärchen wie vor einem Jahr, als Frankreichs Männer in Russland triumphierten.
Die Mannschaft, Medien und Fans sollen dafür sorgen, dass die Euphorie vier Wochen weitergetragen wird. «Ensembleues» lautete nach dem Startsieg der Titel der «L'Equipe», welche die ersten neun Seiten ihrer Samstagausgabe der Frauen-WM widmete – trotz der Fussballer, die am selben Tag in der Türkei antraten, oder dem French-Open-Halbfinal zwischen Roger Federer und Rafael Nadal. Knapp zehn Millionen Zuschauer sahen im Durchschnitt die Live-Übertragung der Partie bei TF1, was einem Marktanteil von 44 Prozent entsprach. «Es ist das Rendez-vous des Lebens», sagte Stürmerin Eugénie Le Sommer vor dem Turnier.
Der Zeitpunkt scheint perfekt, um endlich den Beweis anzutreten, dass die französischen Fussballerinnen auch als Team die besten der Welt sind. Liga-Dominator Olympique Lyon gewann seit 2011 fünf Mal die Champions League, zuletzt dreimal in Folge. Mit der Nationalmannschaft wollte es aber nie so richtig klappen. An den letzten vier Turnieren scheiterten die Französinnen trotz ihres Talents immer in den Viertelfinals.
Corinne Diacre: «La patronne»
Der Blick der Nationaltrainerin Corinne Diacre ist aber in die Zukunft gerichtet. «Es ist eine andere Gruppe, eine andere Generation, mit anderen Zielen.» Die Mannschaft hat sie, die zuvor in Clermont als erste Frau eine Profimannschaft der Männer trainierte, im August 2017 nach der EM übernommen, nachdem ihr Vorgänger – einmal mehr – gescheitert war.
Diacre geht konsequent ihren Weg. Der Liga-Topskorerin Marie-Antoinette Katoto warf sie mangelnden Fokus vor – und strich sie aus dem WM-Kader. Katotos Ersatz Valérie Gauvin nominierte sie entgegen den Erwartungen nicht für die Startformation gegen Südkorea. «Aus taktischen Gründen», liess Diacre verlauten. Die Spielerin selbst sprach von einer disziplinarischen Massnahme und gestand ihre Fehler ein. Sie war unter der Woche zweimal zu spät gekommen.
Die Mission Diacres ist klar. «Wir haben erst den ersten Schritt gemacht», sagte die 44-Jährige. «Aber wir müssen noch sechs weitere machen, um unser Ziel zu erreichen.» Von der allgemeinen Euphorie liess sie sich nicht anstecken. Emotionen habe sie nicht zugelassen, «die spare ich mir für später auf». Am Mittwoch wartet in Nizza mit Norwegen der erste Härtetest. «Wir müssen mit beiden Füssen auf dem Boden bleiben.»