Paul Breitner wird 70 Querkopf und Bundestrainer für 17 Stunden

Von Klaus Bergmann, dpa

5.9.2021 - 13:00

Paul Breitner im WM-Final 1982 gegen Italien.
Paul Breitner im WM-Final 1982 gegen Italien.
Bild: Getty

Weltmeister, Kritiker, Rebell: Paul Breitner hatte schon als Fussballer einen eigenen Kopf. «Mainstream» war nie sein Ding. Als einziger deutscher Kicker war er Torschütze in zwei WM-Endspielen. Seine scharfe Zunge verhinderte ein spannendes Experiment.

Da Hansi Flick gerade als Nachfolger von Joachim Löw seine ersten Länderspiele als Bundestrainer bestreitet, drängt sich eine Preisfrage auf. Wer war 1998 der Chefcoach nach Berti Vogts? Die richtige Antwort lautet Erich Ribbeck. Und doch ist das nur die halbe Wahrheit. Denn vor der Ernennung von «Sir Erich» durfte sich für etwa 17 Stunden Paul Breitner als Bundestrainer fühlen.

Zumindest hatte das der damalige allmächtige DFB-Präsident Egidius Braun für sich im Stillen beschlossen und auch so mit dem Weltmeister von 1974 besprochen, bevor doch alles ganz anders kam. Brauns Idee, ausgerechnet dem Revoluzzer und Querkopf Breitner das höchste Traineramt im deutschen Fussball anzuvertrauen, war so spektakulär wie irrational. Sie konnte kaum Realität werden.

Das merkte auch Braun, als er nach seinem Einfall ein Interview las, in dem sein frisch Auserwählter in typischem Klartext verkündete: «Die alten Zöpfe beim DFB müssen abgeschnitten werden.» Braun rief, so ist es überliefert, Breitner sofort an: «Es tut mir leid. Ich kann keinen einstellen, der meinen Rücktritt fordert.» Nach 17 Stunden war die Idee Geschichte – das Experiment Breitner gab's nicht (erst sechs Jahre später wagte der DFB mit Jürgen Klinsmann eine Revolution).

Als Profi ein Rebell

Breitners schillernde Fussballer-Karriere wurde somit nicht um ein spannendes Trainer-Kapitel erweitert. Mehr als 20 Jahre danach ist das aber nur eine Episode im Leben des Urbayern, der an diesem Sonntag (5. September) 70 Jahre alt wird. Den Ehrentag wird er mit Frau und Kindern ohne grosses Tamtam im kleineren Kreise feiern.

«Ich begehe und feiere jeden Geburtstag gleich, weil ich nicht einsehe, warum eine runde Zahl wichtiger sein soll als eine andere», sagt Breitner im Telefonat. Die Aussage passt zu einem, der immer anders war, der als Profi als Rebell galt, die Mao-Bibel las, sich vor einem Bild von Chinas kommunistischem Staatspräsidenten Mao Tse-tung ablichten liess und sein Querkopf-Image pflegte.

Nach der aktiven Kicker-Laufbahn war Breitner ein gefürchteter Boulevard-Kolumnist, der niemanden schonte. Seinen früheren Bayern-Spezi und späteren Weltmeister-Teamchef Franz Beckenbauer erklärte er etwa 1988 zum «Totengräber» des deutschen Fussballs.

«Habe Fussball immer gespielt, um zu gewinnen»

Typisch Paul halt. Er selbst charakterisierte sich einmal so: «Als Fussballprofi konnte ich nur eines nicht: Mund halten und Diplomat sein.» Das Bild des Fussballers Breitner hat sich jedem Augenzeugen dieses Weltklassespielers aus dem oberbayerischen Kolbermoor eingebrannt: Wuschelkopf, heruntergezogene Stutzen, dazu ein entschlossener Blick. «Ich habe Fussball immer gespielt, um zu gewinnen», sagt Breitner. Als Profi gewann er praktisch alles.

Mit 18 unterschrieb er beim FC Bayern einen Profivertrag. Udo Lattek formte ihn als Trainer zu einem neuen Typus des Offensivverteidigers um. Mit 19 war Breitner Nationalspieler, mit 20 Europameister, mit 22 Weltmeister. Alles geschah zeitlich im Gleichklang mit seinem damals besten Kumpel Uli Hoeness, der exakt vier Monate nach ihm 70 wird und mit dem er als Profi einst ein Zimmer und viele Interessen teilte. Es gibt ein legendäres Bild der beiden Lockenköpfe, wie sie in Badehose vor einem Oldtimer posieren. In der Gegenwart teilen Breitner und Hoeness nicht mehr viel, ihre Beziehung ist gestört.

Uli Hoeness und Paul Breitner posierten 1973 noch gemeinsam.
Uli Hoeness und Paul Breitner posierten 1973 noch gemeinsam.
Bild: Keystone

Als Weltmeister wechselte Breitner 1974 zu Real Madrid, wohin er zu Fuss gegangen wäre, wie er in der BR-Doku «Einfach Paul» zu seinem 70. erzählt. Gemeinsam mit Günter Netzer wurde er spanischer Meister. Er spielte 1975 in einem Western mit dem Titel «Potato Fritz» mit. Nach einem einjährigen Intermezzo bei Eintracht Braunschweig kehrte er 1979 zum FC Bayern zurück. Er dirigierte die Mannschaft als Chef.

Torschütze in zwei WM-Finals

Auch in der Nationalelf gab er ein Comeback. Breitner ist der einzige Deutsche, der in zwei WM-Endspielen ein Tor schoss, 1974 und 1982. Sein wichtigstes Tor war der Elfmeter im gewonnenen Finale gegen die Niederlande in München, bei dem Gerd Müller nach Breitners Ausgleich den 2:1-Siegtreffer erzielte. Von der Titelfeier gibt es ein Foto, das «Bomber» Müller und Breitner dicke Zigarren rauchend zeigt.

Den schwer an Demenz erkrankten Weggefährten Müller besuchte Breitner bis kurz vor dessen kürzlichem Tod im Pflegeheim. «Die letzten Wochen sind unauslöschlich», sagte Breitner dazu im «Sport Bild»-Interview. Er selbst ist topfit, joggt wöchentlich mehrmals. Und er kümmert sich um seine Mitmenschen. Mit seiner Jugendliebe Hildegard, mit der er in diesem Jahr Goldene Hochzeit feiert, ist der Vater von drei Kindern allwöchentlich als aktiver Helfer für die Münchner Tafel im Einsatz.

Der Jubilar ist froh, dass er als Fussballer in einer Zeit ohne Berater, ohne Nachwuchsleistungszentren und den heutigen «Mainstream» aufwuchs, wie er 2019 erzählte: «Ich wollte mich nicht verbiegen lassen. Ich wollte niemandem die Chance geben, mich zu manipulieren. Ich konnte mich ausleben, konnte mich formen. Heutzutage wäre ich einer wie alle anderen – wahrscheinlich wäre ich auch tätowiert.»

5.9.2021 - 13:00

Von Klaus Bergmann, dpa