Weisse WesteRekordmann Urs Fischer sorgt bei Kultklub Union Berlin für Begeisterung
Syl Battistuzzi
9.10.2018
Union Berlin ist als einzige Mannschaft in der 2. Bundesliga noch unbesiegt. Trotzdem bleibt Trainer Urs Fischer am Boden und will von einer Favoritenrolle für den Aufstieg noch nichts wissen.
Es waren verrückte Szenen, die sich am letzten Sonntag im Stadion An der alten Försterei abspielten. Der Kultklub Union Berlin empfing Heidenheim. Die Gäste waren dabei über weite Strecken das bessere Team und gingen auch folgerichtig in Führung. Diese hatte bis in die Schlussminuten Bestand, als Fischer beim letzten Angriff seinen Torhüter Rafal Gikiewicz nach vorne beorderte. Der polnische Schlussmann köpfte zum umjubelten Ausgleich ein. Heidenheims Trainer witzelte nach dem Spiel: «Gut, dass Urs Fischer Gikiewicz verboten hat, gleich nach vorne zu laufen. Sonst hätten wir womöglich noch 1:2 verloren ...»
Die Eisernen bewahrten somit auch am 9. Spieltag ihre weisse Weste und stellten einen neuen Vereinsrekord auf: Elf Spiele in Folge sind sie nun ungeschlagen. Das Team aus dem Osten Berlins steht mit einer Bilanz von vier Siegen und fünf Unentschieden auf dem zweiten Tabellenrang. Ein Schweizer Coach an der Seitenlinie zu haben ist momentan ein gutes Omen in deutschem Profifussball: Dortmunds Lucien Favre und Urs Fischer sind die einzigen Trainer, die noch ungeschlagen sind.
Mit gerade mal sieben Gegentoren (bei 14 erzielten Treffern) stellt Union überdies noch die beste Defensive der Liga. Kein Wunder, schliesslich hielt Fischer auch früher als Libero in der Schweiz (meist) den Laden hinten dicht. Den Fokus auf eine solide Verteidigung hat er sich auch in seiner Trainerkarriere bewahrt. Trotzdem hat er jeweils in seinen Vereinen (Zürich, Thun und Basel) nicht nur Beton angerührt und wehrte sich stets gegen das Etikett als «Resultat-Coach».
«Wir arbeiten alle füreinander, jeder hilft dem anderen. Das gelingt uns zurzeit richtig gut.»
Stürmer Akaki Gogia
Arbeiter Fischer bei Union Berlin am richtigen Ort
Der ehemalige Meistertrainer des FC Basels bleibt trotz der Euphorie rund um «Eisern Union» getreu seinem Naturell am Boden. «Der zweite Platz ist nur eine Momentaufnahme. Köln und der HSV sind die beiden Grössen in dieser Liga. Ich gehe davon aus, dass sich diese Mannschaften über längere Sicht durchsetzen werden», sagte der 52-Jährige noch vor dem Spiel. Gemäss Schätzungen verfügen die beiden Vereine auch über einen mehr als doppelt so hohen Etat wie der dritthöchste der Liga.
«Dass es so optimal läuft, freut mich natürlich. Es bedeutet aber noch gar nichts.»
Urs Fischer
Das 22'000 Zuschauer fassende Stadion An der Alten Försterei ist nicht nur fast immer ausverkauft, viele Fans legten bei der letzten Renovationsetappe auch selber Hand an. In einem SRF-Porträt beschreibt Fischer die spezielle Beziehung des Klubs zu seiner Fanbasis: «Die Fan-Kultur hier bedeutet, die Mannschaft 90 Minuten lang anzupeitschen, anzufeuern. Auch wenn es mal nicht so läuft. Die Fans sind allgemein weniger kritisch.» Die Verbundenheit der Fans zum Klub sei einmalig. «Die Begeisterung ist riesig, jeder ist mit Herzblut dabei».
In diesem Jahr knackte der Klub auch die Marke von 20'000 Mitgliedern und ist damit in den Top 25 der mitgliederstärksten Vereine Deutschlands. Dabei schwingt beim Traditionsverein stets viel Pathos mit: Sie waren zu DDR-Zeiten quasi das Gegenstück zum von der Stasi unterstützten BFC Dynamo und mussten dadurch häufig untendurch. Später kamen noch finanzielle Probleme hinzu. Heute ist eher RB Leipzig mitsamt seiner Marketingstrategie sowie allgemein der «moderne Fussball» das dominierende Gesprächsthema bei den Union-Anhängern.
Der bescheidene und ruhige Fischer scheint also der passende Mann für den Job zu sein: «Ich passe sicher eher hierhin als nicht hierhin. Ich habe mich schnell wohlgefühlt, wohl vor allem, weil die Leute hier einfach sehr ähnlich ticken.»