AnalyseSo wird die Schweizer Nati ihre Ziele nicht erreichen
SDA
4.9.2020 - 12:08
Die Schweiz bleibt gegen die Ukraine unter den Erwartungen, auch weil die Absenzen zu schwer wiegen. Verbessern wird sich die personelle Situation bis zum Spiel am Sonntag gegen Deutschland nicht.
Mitternacht war längst vorüber, und das in allen Belangen trostlose 1:2 zum Auftakt in die Nations League gegen die Ukraine in der leeren Arena von Lwiw über eine Stunde alt, als der Schweizer Nationalcoach Vladimir Petkovic sagte, was er in einer ersten Analyse meist sagt – ob nach Sieg oder Niederlage: Nämlich, dass er zufrieden sei mit der Leistung. Dass die Spieler den Prinzipien treu geblieben und dominant aufgetreten seien.
Das also sagte er auch jetzt nach einem Spiel, das die Schweiz gut begonnen, aber schlecht aufgehört hatte. In welchem sie nur zu drei gefährlichen Abschlüssen gekommen war. In welchem sie die vierte Niederlage aus den letzten neun Spielen kassiert hat. Petkovics Fazit nach diesem Abend aber lautete: «Die Richtung stimmt!» Er hat in den letzten zwei Jahren den Weg der Verjüngung eingeschlagen. Er hatte keine andere Wahl, weil die Generation um Stephan Lichtsteiner, Valon Behrami und Blerim Dzemaili bei der WM 2018 in Russland ihren Zenit überschritten hatte.
Grundsatzdebatten zielen zwar vermutlich ein wenig ins Leere nach dem ersten Länderspiel seit fast zehn Monaten, nach einem Spiel, das offiziell ein Pflichtspiel war, wegen der besonderen (Corona-)Umstände aber sehr viel von einem Test hatte. Und doch müssen sich Trainer und Spieler auch nach einem solchen Abend an den von ihnen deklarierten Zielen messen. In der Nations League wollen sie auch in einer Gruppe mit Deutschland und Spanien Platz 1 holen, weil sie das vor zwei Jahren schon gegen die Weltnummer 1 Belgien geschafft haben. Dieses (Nah-)Ziel ist in mit der Niederlage in Lwiw bereits etwas in die Ferne gerückt. Unterliegt die Schweiz am Sonntag in Basel auch Deutschland, hat sie es vermutlich schon aus den Augen verloren.
Die Nations League ist die Gegenwart. Die Zukunft ist die EM-Endrunde im nächsten Sommer. Da wollen die Schweizer erstmals seit über 65 Jahren bei einem Turnier in die Viertelfinals vorstossen. Geschichte schreiben, wie sie es nennen. Dafür haben sie im letzten Frühling ein Jahr mehr Vorbereitungszeit bekommen. Das kann ihnen nicht schaden, so traurig und unangenehm die Umstände auch sind, welche zur Verschiebung der EM-Endrunde auf Sommer 2021 geführt haben.
Denn vieles ist erst am Entstehen in der Schweizer Auswahl. Petkovic ist dabei, die Basis in seinem Team zu verbreitern. Er hat in der Ukraine im Vergleich zu den Spielen des letzten Herbstes fünf bis sechs Wechsel vorgenommen. Dennoch und trotz der langen Länderspielpause hat das Team seine Grundordnung nicht verloren und seine Philosophie nicht verleugnet. Es hat so gesehen ordentlich gespielt. Doch mehr als ordentlich war es nicht, und das wird nicht reichen, um die gesteckten Ziele in diesem Herbst und im kommenden Juni zu erreichen.
Das hat auch viel mit Erfahrung zu tun, welche in solchen Spielen den Unterschied ausmacht, und sei es auch nur ein Duell gegen einen soliden und hartnäckigen Gegner wie die Ukraine. In Lwiw haben 9 von 14 eingesetzten Schweizern vor der Partie 25 Länderspiele oder weniger absolviert. Zum Vergleich: Bei der WM in Russland wiesen 8 von 11 Stammspielern die Erfahrung von 40 Länderspielen oder mehr auf.
Petkovics Hoffnung
Absenzen von Spielern wie Fabian Schär mit seinen Qualitäten in der Angriffsauslösung, Xherdan Shaqiri mit seinen Überraschungsmomenten oder Denis Zakaria mit seiner Dynamik, aber auch von Remo Freuler mit seiner Vielseitigkeit oder Admir Mehmedi mit seiner Schlauheit kann die SFV-Auswahl auf Dauer in dieser Anzahl nicht verkraften. Dafür sind die Statthalter wie Djibril Sow, Ruben Vargas und Renato Steffen oder neue Stammkräfte wie Nico Elvedi und Kevin Mbabu noch nicht erfahren genug, haben sie noch nicht die nötige Ausstrahlung. «Ich hoffe, dass wir im Oktober wieder mehr Konkurrenzkampf haben im Team», sagte Petkovic. Er hätte es auch anders ausdrücken können: Nämlich, dass er hoffe, dass ihm die Konkurrenzlosen bald wieder zur Verfügung stehen.