Das grosse Yakin-Interview, Teil 2 «Und plötzlich standen wir in Unterhosen da»

Michael Angele

9.6.2023

Murat Yakin spricht über seine Militärzeit und was er von Frauenfussball hält.
Murat Yakin spricht über seine Militärzeit und was er von Frauenfussball hält.
Imago

Vor den nächsten EM-Qualispielen spricht Nati-Trainer Murat Yakin mit blue Sport über das weitere Programm. Ausserdem beantwortet er auch die schweizerischste aller Fragen und mag das Thema Dreierkette nicht besonders.

Michael Angele

9.6.2023

Das ist der zweite Teil des grossen Interviews mit Murat Yakin. Den ersten Teil des Interviews findest du hier.

Ein paar schnelle Ja-Nein-Fragen. Die Schweiz ist eine Fussball-Nation.

Ja.

Die Nati ist am besten, wenn sie nicht selber das Spiel machen muss.

Nein.

Die Schweizer Nati wird immer eher für ihre Defensive stehen, Stichwort Schweizer Riegel, als für ihre Offensive.

Nein (zögert aber lange).

Den richtigen zum Captain zu haben, kann sogar mal ein Spiel entscheiden.

Nein.

Die Schweiz hat irre viele gute Torhüter. Das kann auch mal zur Belastung werden.

Nein. Also lieber so als umgekehrt.

Woher kommt es eigentlich, dass die Schweiz so viele gute Torhüter hat? Ist das letztlich eine Frage der Mentalität?

Es hängt entscheidend von unserem Goalie-Trainer ab, Patrick Foletti. Fox, wie wir ihn nennen, macht auch die Ausbildung der Torhütertrainer in der Schweiz und hat sich jetzt schon einen Legendenstatus gesichert. Er spürt Talente auf, begleitet sie von klein auf, nicht nur, was die Technik anbelangt, das ist das eine, sondern bildet sie auch in ihrer Persönlichkeit aus. Er hat ein Auge, das ich so nicht habe.

Echt nicht?

Wir hatten gerade einen schönen Erfolg in unserer Akademie hier. Da ist einer der Jungs bei GC in der U13 untergekommen. Ich sehe schon, dass er gut hält. Aber ich meine, er ist vielleicht 1,40 gross. Was passiert nun in den nächsten sieben, acht Jahren? Fox kann sagen, der hat alle Anlagen, um ein Goalie zu werden. Könnte ich nicht.

Aber sieht er auch, wie gross er wird?

Natürlich weiss auch er noch nicht mit Sicherheit, ob der Spieler mal 1,90 gross wird. Aber anhand der Eltern und gewissen Tests ist heute doch eine gute Prognose machbar.

Und am Schluss kommt dann eben ein Yann Sommer heraus, selbst wenn er nicht 1,90 ist.

Ja. Yann ist natürlich ein grossartiger Torhüter, ein Sympathieträger und ein Vorbild für viele Junge, die dann auch Torhüter werden wollen. Aber wir hatten auch schon vor Yann sehr gute Goalies. Angefangen mit Erich Burgener, der sich leider nie an einem grossen Turnier beweisen konnte. Und er hatte den falschen Herkunftsort.

Wie meinen Sie das?

Er ist Walliser. Ich hatte lange überhaupt nicht gewusst, dass es überhaupt Walliser Torhüter gibt. Ein Scherz (lacht)

Kommunikationschef: Aus Raron! Wie George Bergy und Rainer Salzgeber, der es auch im Tor probiert hat, aber die erste Liga war bei ihm die Endstation.

Weiter: Pascolo, Zuberbühler, alles grosse Persönlichkeiten, alle wichtig für die Nati.

Mein Sohn hier fand Wölfli überragend, auch wenn der nie in der Nati war.

Er hatte Aufgebote, glaube ich. Aber klar, Wölfi ist ein Supertyp, ganz wichtig für die Kids.

Aber das alles hat nichts mit einer Mentalität zu tun?

Nein.

Ich möchte Ihnen jetzt die Schweizerischte aller Schweizerfragen stellen: Haben Sie gedient?

Also, bei mir war das so. Ich hatte ein «Anstrengungsasthma». Das gibt es wirklich. Doktor Villiger, der Lungenspezialist aus der Höhenklinik in Davos, schrieb mir ein Attest. «Mit ihrer Lunge können Sie unmöglich Dienst machen», meinte er. Mit 22 war es dann so weit, ich bekam ja auch den Pass etwas später. Ich gehe also zur achten Aushebung. In einer Reihe mit Bierbäuchen. Dazwischen zwei Athleten, ein Tennisspieler und ich. Vortreten! Jetzt schaut euch doch mal an, ausgerechnet ihr zwei wollt untauglich sein. Wir standen in den Unterhosen da, muss ich dazu sagen. Also eingeteilt, Füsilier oder Grenadier, das weiss ich grad nicht mehr. Ich ärgere mich grün und blau über den Doktor Villiger, steige in das Auto, und was läuft für ein Song? You are in the army now. Status Quo. Kein Witz. Zwei Monate später kam dann das Angebot vom VfB Stuttgart. Ich schrieb einen Brief, kann leider die RS nicht antreten. Und Sie? Haben Sie gedient?

Zwei Wochen nur. Noch eine letzte Schweiz-Frage. Bitte den Satz vervollständigen. Wenn die Schweiz am Meer liegen würde, wäre es ...

… kitschig (lacht). Ist doch so!

Weil ich selber eine Profikarriere hinter mir habe, verstehe ich, wenn ein Spieler mal...

... eine schwierige Phase durchmacht und sich Unterstützung des Nati-Trainers wünscht.

Frauenfussball ist ...

... wunderschön.

Mein Lieblingsverein ist ...

... habe ich keinen.

Dreierketten sind ...

... keine Fahrradkette.

Aber gegen Portugal an der WM in Katar war die Dreierkette ein ...

... weiter bitte.

Die Rückennummer 15 (FC Basel) bedeutet für mich ...

... mein Geburtstag. Man könnte aber auch sagen: Die Nummer, die keiner wollte.

Gibt es Nati-Spieler die Wünsche bezüglich der Nummer haben?

Ja klar.

Und die bekommen sie dann auch?

Nicht immer, je nach ihrer Position in der Hierarchie.

Das schönste Stadion ist für mich ...

...schön ist es nicht. Aber am beeindruckendsten von der Atmosphäre her war es für mich bei Celtic Glasgow. Und bei Besiktas.

Wie wichtig sind eigentlich für einen heutigen Profifussballer noch die Fans. Spielt er letztlich doch für sie?

Eigentlich dürfte es nicht so sein. Eigentlich müsste ein Spieler auch funktionieren, wenn keiner im Stadion ist. Aber der Adrenalinspiegel ist viel höher, wenn man vor Fans spielt, das heisst du hast einerseits eine viel höhere Anspannung, eine höhere Fehlerquote auch. Aber du hast eben auch einen höheren Einsatzwillen.

Also würde ich schauen, dass die Heimspiele der Nati künftig nicht mehr in Genf stattfinden.

Würde ich so nicht sagen, die Stimmung in Genf ist immer sehr, sehr gut. Kommt auf den Gegner an. Es ist doch optimal aufgegangen gegen Israel.

Gegen Rumänien spielt ihr in Luzern. Das Spiel war binnen Stunden ausverkauft.

Ja, wunderbar. Und bald kommt Bern dazu, das begrüssen wir natürlich. 2025 kehrt der Naturrasen ins Wankdorf zurück.

Ist denn der Unterschied zwischen Kunstrasen und Naturrasen so wichtig?

Auf diesem Niveau schon.

Aber umgekehrt kann man YB immer damit verteidigen, dass sie ja dann einen Nachteil haben, wenn sie auf Naturrasen spielen. Oder geht die Rechnung nicht auf?

Jein, Ich muss es ein wenig anders erklären. Wenn ich nach Barcelona gehe ist der Rasen das ganze Jahr in einem Topzustand. Aber in der Schweiz haben wir acht bis neun Monate keine optimalen Witterungsverhältnisse. Sprechen wir mal von Schaffhausen, wo ich ja Trainer war. Wir hatten zusammen mit drei, vier anderen Teams Kunstrasen. Aber die anderen Spielplätze in der Challenge League willst du in dieser Zeit nicht sehen, geschweige denn die Trainingsplätze. Wenn du unter der Woche auf hohem Niveau trainieren willst, kannst du das nur auf Kunstrasen. Selbst in Basel, wo wir uns vorbereitet hatten, fiel der Naturrasen nach dreimal trainieren auseinander. Es hiess immer, wenn du am Wochenende ein Spiel auf dem Naturrasen hast, musst du das Abschlusstraining auf dem Rasen machen. Das habe ich zwei, drei Mal gemacht. Aber das hat das Spiel nicht besser gemacht. Wenn du aber auf dem Kunstrasen trainierst, und dann auf den Kunstrasen im Spiel gehen kannst, hast du eine ganz andere Sicherheit, weil die Abläufe stimmen.

Das ist also der eigentliche Vorteil.

Aber es muss die neue Generation der Kunstrasen sein. Kein Beton darunter. Hier in der Halle ist es Top. Unten ist der Tennisbelag. Aber schon der Nebenplatz beim GC Campus ist auf Beton gelegt, da willst du nicht drauf fallen.

Der Sohn hat noch zwei Fragen.

Okay. Gerne.

Sind Sie in armen oder reichen Verhältnissen aufgewachsen?

Weder noch. Es war immer Essen auf dem Tisch. Es war nicht so, dass wir Fussballer geworden sind, weil wir arm waren.

Wer ist Ihr Lieblingsspieler?

Mein Lieblingsspieler ist jeder Spieler, der teamfähig ist, der die nötige Demut hat, alles für die Mannschaft gibt. Derjenige ist immer mein Lieblingsspieler.

Und vom Namen?

Bei der Nationalmannschaft darf man es nicht sagen (lacht). Natürlich habe ich Messi gerne zugeschaut. Aber nicht nur wegen ihm, sondern weil ich sehen wollte, wie die anderen agieren, welches Konstrukt sie leitet. Wenn ich einen solchen Spieler hätte, würde ich mich fragen: Wie muss ich die Spieler um ihn gruppieren?

Das ist der zweite Teil des grossen Interviews mit Murat Yakin. Den ersten Teil des Interviews findest du hier.

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