Die englische Fussball-Ikone Gary Lineker wird von der BBC wegen eines Tweets gegen die Ausländer-Politik seines Landes suspendiert. Die Kollegen stehen aber auf seiner Seite.
Gary Lineker dürfte sein Wochenende mehr genossen haben als die Chefs der BBC. Er hatte unverhofft frei und besuchte am Samstag in seiner Heimatstadt das Spiel seines ehemaligen Vereins Leicester gegen Chelsea. Leicester verlor zwar, doch Lineker wurde von den Fans mit Sprechchören und Plakaten gefeiert. Noch mehr dürfte den 62-Jährigen aber die Solidarität seiner Berufskollegen gefreut haben.
Seit 1999 präsentiert Lineker im öffentlich-rechtlichen TV-Sender BBC am Samstagabend die Highlight-Sendung «Match of the Day» über die Spiele der Premier League – zusammen mit jeweils zwei oder drei prominenten Experten. Auch bei der WM in Katar stand der ehemalige Goalgetter im Einsatz – und kritisierte die Menschenrechtslage im Golfemirat deutlicher als die meisten anderen Kommentatoren.
Der heikle Nazi-Vergleich
Nun schoss er aber offensichtlich übers Ziel hinaus. Nachdem die konservative Regierung letzte Woche einen Gesetzesentwurf vorgelegt hatte, mit dem diese illegalen Einwanderern das Recht absprechen will, einen Asylantrag zu stellen und sie stattdessen nach Afrika auszuschaffen, reagierte Lineker auf Twitter. «Um Himmels Willen, das ist jenseits von schrecklich», schrieb er. «Das ist einfach eine unermesslich grausame Politik gegen die verletzlichsten Menschen, in einer Sprache, die der des Deutschland der 30er-Jahre nicht unähnlich ist. Und da soll ich daneben sein?»
Linekers linksliberale Position war schon vorher bekannt, er hatte sich auch in der Vergangenheit zu tagesaktuellen Themen wie seiner Ablehnung des Brexits geäussert. Der Nazi-Vergleich brachte aber das Fass zum Überlaufen. Die BBC suspendierte ihren bestbezahlten Moderator, der jährlich über 1,5 Mio. Pfund verdient – «bis wir uns auf eine klare Position in Sachen Social Media geeinigt haben», wie die BBC mitteilte.
Die Folgen für das Programm waren drastisch. Als erste erklärten Linekers Standard-Experten Alan Shearer und Ian Wright ihren Boykott der Sendung. Es folgten weitere Moderatoren und Experten, die als Ersatz in Frage gekommen wären, Kommentatoren und sogar Teams der Premier League, die ankündigten, unter diesen Voraussetzungen nicht mehr mit der BBC zusammenarbeiten zu wollen. Dieser war das in dem Moment vielleicht ganz recht, sie hätte mit Protest- und Solidaritätsbekundungen rechnen müssen. Die Fussball-Berichterstattung am Wochenende fiel deshalb nur sehr rudimentär aus – 20 Minuten statt der üblichen eineinhalb Stunden.
Offener Ausgang des Machtkampfs
Die Diskussion um Lineker ist Teil einer grösseren Debatte. Die Rechte im Land will die Gebühren für die öffentlich-rechtliche Anstalt, die sie sowieso als linkslastig empfindet, abschaffen. Tim Davie, der Generaldirektor der BBC, und deren Vorstandsvorsitzender Richard Sharp, sind selber allerdings Vertraute der konservativen Tories. Da ist es naheliegend, dass sie das Heu mit Lineker, dem Sprössling von drei Generationen von Gemüsehändlern, nicht auf der gleichen Bühne haben.
Im englischen Fussball kommt die vorläufige Absetzung der Ikone einem Erdbeben gleich. Das Ende ist schwer absehbar. Lineker selber hat sich noch nicht wieder geäussert. In der Vergangenheit zeigte er sich aber überzeugt, dass die Richtlinien für BBC-Angestellte für ihn nicht gälten, da er freiberuflich arbeite. Er dürfte sich nur schwer disziplinieren lassen, erst recht nach den Sympathiebekundungen dieses Wochenendes.
Der Sender scheint sein Aushängeschild jedenfalls nicht verlieren zu wollen. Am Wochenende bekräftigte Generalsekretär Davie, eine Lösung mit Lineker finden zu wollen. «Ich würde es als Erfolg werten, wenn Gary wieder auf Sendung gehen würde», erklärte er. Es geht um einiges. Das Wochenende zeigte, wie grosse die Rückendeckung für den Torschützenkönig der WM 1986 und ehemaligen englischen Rekordhalter ist. Kaum ein anderer vereint so viel Redegewandtheit, Fachwissen, Charme und Kompetenz wie Lineker.