Wie sieht die Quarantäne bei unserer Fussball-Nati aus? Eigentlich wie bei allen anderen auch. Wäre da nicht Vladimir Petkovic. Im Folgenden ein Einblick aus dem «geheimen» WG-Journal der besten Kicker des Landes.
Mit verträumtem Blick sitzt Stephan Lichtsteiner am Küchentisch und langweilt sich. Der Sekundenzeiger auf der Wanduhr kriecht gemächlich in Richtung Zwölf. Bald ist schon wieder eine Minute rum. Dann ist es 15.21 Uhr. Die Quarantäne ist eigentlich nichts anderes als ein Fussballspiel mit Juventus Turin, denkt er sich. Man muss einfach Minute für Minute ausharren, bis es irgendwann vorbei ist. Ob am Küchentisch oder in der Abwehr gegen das letztplatzierte Brescia spielt nun auch keine Rolle.
Draussen vor dem Fenster ziehen die privilegierten Normalos vorbei. Nichts wissend von ihrem Glück, keine Vorbildrolle einnehmen zu müssen, flanieren sie durch die Strassen und sonnen sich an den Flussufern. Eifersüchtig blickt Lichtsteiner einer kleinen Familie hinterher, die gerade mit dem Fahrrad um die Ecke biegt, als es an der Tür klopft.
Der Rechtsverteidiger quält sich aus dem Stuhl und schiebt sich beschwerlich in den Flur. Kaum vorzustellen, dass er vor wenigen Wochen noch in der Lage gewesen wäre, 90 Minuten auf einem Fussballplatz rumzurennen. Hätte man ihn gelassen.
«Pfo ist dein Munpfschutz?», schiesst es ihm entgegen, als er die Tür öffnet.
Vor ihm steht ein in Vollschutzmontur gequetschter Vladimir Petkovic. Füsse und Hände hat er mit Plastiksäcken überzogen, sein Mund wird von einer Atemschutzmaske verdeckt und über den Augen ist eine Schwimmbrille montiert. Zudem hat sich der Nati-Trainer einen olivgrünen Overall angezogen und einen Hula-Hoop-Reifen wie einen übergrossen Schwimmring so um den Bauch herum befestigt, dass er auf allen Seiten gleich weit vom Körper absteht. Vermutlich um die Zwei-Meter-Regel einzuhalten.
«Du weifft, daff wir unf vorbildlich verhalten müffen», dringt es hinter der Maske hervor. «Wir ftanden zuletzt pfviel zu häufig in der Kritik.»
Mit einer monotonen Bewegung hält ihm Lichtsteiner das Desinfektionsmittel hin und schaut zu, wie der Nati-Trainer sich damit seine Plastiksäcke einseift. Widerwillig zieht er sich seinen Mundschutz über und lässt Petkovic herein.
«Weshalb der Besuch?», fragt er, während sein Coach versucht, sich mitsamt Hula-Hoop-Reifen durch die Tür zu zwängen.
«Vertrauen ist gut, Kontrolle ift beffer», kläfft Petkovic und schiebt sich weiter vorwärts.
Mit einem Stirnrunzeln tritt Lichtsteiner einen Schritt zurück. «Ich kann dir versichern, dass wir alle Trainingspläne einhalten. Aber dürfen wir nicht wenigstens draussen joggen gehen oder so was?»
«Daff kommt nicht infrage. Ihr dürft auf keinen Fall drauffen gefehen werden», murrt der Trainer, der nun offenbar in der Tür eingeklemmt ist. Der Versuch, den Reifen mit seinen Händen zu befreien, scheitert an den durchnässten Plastiksäcken, mit denen er überall abrutscht.
«Ich kann die Jungs sonst auch hierher holen, wenn du …» – ein lautes Schmatzen begleitet Petkovic, als er geräuschvoll aus dem Türrahmen flutscht und Lichtsteiner mit voller Wucht zu Boden reisst. «Ahhh, verdammt noch eins.»
«Taktifschef Foul!», ruft Petkovic, rappelt sich sofort wieder auf und fängt hektisch an, sich mit dem Desinfektionsmittel abzuspritzen.
«Ich glaube, das Bein ist gebrochen. Perdindirindina!»
In diesem Moment öffnet Yann Sommer mit zornigem Blick seine Zimmertüre: «Was ist denn hier los, kann man nicht einmal mehr in Ruhe Musik hören?» In seiner Hand hält er eine Gitarre und aus dem Zimmer dröhnt die Melodie zu John Lennons «Imagine».
«Waf foll daf denn? Wefhalb trainiert hier niemand?», faucht ihn Petkovic an.
«Er war der Einzige, der positive Rückmeldungen auf unser Musik-Video erhalten hat. Seither singt er ununterbrochen», wirft Lichtsteiner genervt ein.
«So ist es. Und ich bin schon viel besser geworden, wollt ihr mal hören? 'Imagine aaaall the peeeoople …'»
Das Krächzen nimmt ein jähes Ende, als Petkovic ihm die Tür mit einem lauten Knall vor der Nase zuschlägt.
«Ihr ffeid doch alle verrückt geworden», schreit er und zwängt seinen Hula-Hoop-Reifen durch den engen Gang zum nächsten Zimmer.
«Da würde ich nicht reingehen, Xherdan mag es nicht, wenn man ihn beim Telefonieren mit seiner …» – mit einem gewaltigen Ruck reisst der Nationaltrainer die Türe auf und stürmt ins Zimmer. Vor Schreck wirft Shaqiri sein Handy beinahe aus dem Fenster.
«Waff ift daf?», ruft Petkovic und reisst sich vor Wut den Mundschutz aus dem Gesicht.
Shaqiri: «Nichts, ich habe keine neue Freundin, die mich vom Trainieren abhält.»
«Kurac! Zeig mir mal deine Waden», schnaubt Petkovic. Widerwillig krempelt Shaqiri seine Trainerhosen hoch.
«Die sind ja winzig geworden! Hast du überhaupt eine einzige Übung gemacht, die ich dir aufgetragen habe?»
«Ja Boss, ich schwöre! Aber die sind halt jetzt so klein, weil ich hier nur rumsitze.»
«Blödsinn, du bist doch bei Liverpool auch nur rumgesessen», kontert Petkovic.
Dem Nati-Trainer scheint nun endgültig der Kragen zu platzen. Mit lautem Gebrüll beordert er alle Mitbewohner der Nati-WG ins Wohnzimmer. Binnen 90 Sekunden steht der komplette Kader in Reih und Glied bereit. Um den Zwei-Meter-Abstand zu testen, hüpft Petkovic mit seinem Hula-Hoop-Reifen kreuz und quer durch die Reihen, während er die Anweisungen für die nächste Trainingseinheit herausbrüllt. Nur einer fehlt: Steven Zuber.
«Wir machen das vorerst ohne Steven. Bei ihm mache ich mir Sorgen um die Bänder», sagt Petkovic, als er darauf angesprochen wird.
«Oha, wo denn, am Fuss oder am Knie?», wirft Shaqiri ein. «Hoffentlich nicht so schlimm wie bei mir.»
«Im Hals. Ähnlich schlimm wie bei dir Xherdan» – Petkovic verdreht beim Gedanken ans kürzlich erschienene Musik-Video der Nati-Spieler die Augen. «Und jetzt hopp, hopp, Liegestützen!»
Ächzen und Stöhnen erfüllen den Raum, als die 22 ehemals durchtrainierten Fussballer mit ihren Oberkörpermuskeln gegen die Schwerkraft ankämpfen. «Mehr Rhythmus!», brüllt Petkovic den ungeordneten Haufen an. «Jetzt darfst du Yann. Aber nur du!»
«Imagine aaaall the peeeoople…»
«Häb d’ Schnurrä!»
«Kurac!»
«Ich kündige!»