Heftige Kritik an Peking Die Olympia-Sportler hätten etwas anderes verdient

Von Marcel Allemann

4.2.2022

Nach den Sommerspielen 2008 trägt Peking nun die Winterspiele 2022 aus.
Nach den Sommerspielen 2008 trägt Peking nun die Winterspiele 2022 aus.
Bild: Getty

Die Winterspiele in Peking beginnen. Noch kaum je wurde ein Olympia-Austragungsland im Vorfeld derart heftig kritisiert. Eine Analyse.

Von Marcel Allemann

An den letzten Spielen in Peking 2008 war ich selbst als Journalist vor Ort. Es waren die ganz klar perfektesten Olympischen Spiele von allen neun, die ich persönlich erlebt habe. Mit den imposantesten Bauten wie dem «Vogelnest», wo nun am Freitag auch die Winterspiele 2022 wieder eröffnet werden.

Organisatorisch macht den Chinesen ohnehin niemand etwas vor. Das sieht man auch jetzt wieder. Uns wurde schon damals ein topmodernes, herzliches und offenes China präsentiert. Wer dort war, der musste sich einfach wohlfühlen. Ob er nun wollte oder nicht.

Mir war damals bewusst, dass das Ganze etwas von einem Potemkinschen Dorf hatte: Dass die Stadt für den Olympia-Tross gesäubert, uns ein auf Perfektion getrimmtes China und somit auch viel Fake gezeigt wurde. Hätte ich mich ein halbes Jahr später, als alle dann wieder abgezogen waren und wieder die chinesische Normalität Einzug gehalten hatte, wieder an dieselben Orte begeben, hätte ich sie vermutlich nicht wiedererkannt. 

Menschenrechte als grösster Kritikpunkt

Klar, auch damals waren Menschenrechte schon ein grosses Thema. Etwa die Unterdrückung der Tibeter. Aktuell wird oft über die Verfolgung der Uiguren berichtet. Amnesty International schreibt in einem Bericht von «Verbrechen gegen die Menschlichkeit» in Form von Internierungslagern, Folter und anderen Misshandlungen.

Auch betroffen ist Hongkong, wo Peking mithilfe des «Gesetzes für nationale Sicherheit» gegen oppositionelle Kräfte vorgeht: «Fast alle Politiker des letzten demokratisch gewählten Parlamentes sind entweder auf der Flucht oder im Gefängnis», erklärte Ulf Röller, Leiter des ZDF-Studios Ostasien, am Dienstag in der Talk-Sendung «Lanz».

Was betroffene Menschen, die fliehen konnten, berichten, ist erschreckend. Wie etwa Joey Siu, eine frühere Demokratie-Aktivistin aus Hongkong, die inzwischen in den USA lebt und sich von dort aus engagiert – stets begleitet von Angst. «Unsere Familienmitglieder werden von Chinas Kommunistischer Partei quasi als Geiseln gehalten. Was wir im Exil tun oder sagen, könnte unseren Familien Schaden zufügen. Die Kommunistische Partei könnte sie ins Gefängnis stecken, weil wir hier protestieren», sagte sie der ARD in einem Hintergrund-Bericht zu den Olympischen Spielen in China.

Der Fall Peng Shuai rüttelte die Sportwelt auf

Der Fall der chinesischen Tennisspielerin Peng Shuai erschütterte Ende 2021 die Sportwelt. Nachdem sie gegen den ranghohen kommunistischen Parteifunktionär Zhang Gaoli Vergewaltigungsvorwürfe erhoben hatte, verschwand sie zunächst spurlos, ehe sie wieder auftauchte und ihre Anschuldigungen zurückzog.



«In Wahrheit ist Pengs seltsame Behauptung, alles sei nur ein Missverständnis, Ausdruck für die gnadenlose Brutalität chinesischer Sicherheitsbehörden. Pengs Angst vor der Vergeltung, die ihr und ihrer Familie droht, muss enorm sein», schreibt der China-Experte, Journalist und Autor Marcel Grzanna.

Nach den letzten Spielen 2008 seien die Schrauben angezogen worden, hat auch die frühere China-Korrespondentin Barbara Lüthi auf SRF festgestellt, «und das hat sich immer weiter verstärkt und wurde ganz markant mit der Machtübernahme des heutigen Präsidenten Xi Jinping.»

China stehe heute an einem ganz anderen Punkt als noch 2008. «Damals sagte es noch, ‹schaut her, wir sind jetzt auch da›, inzwischen tritt China gegenüber dem Westen ganz klar aus einer Position der Überlegenheit auf.»

Chinas Regierung werde die kommenden zwei olympischen Wochen primär dazu nutzen, Propaganda zu betreiben, befürchtet daher der frühere Handballer und Bundesratssprecher Daniel Eckmann, wie er am vergangenen Sonntag im «Sportpanorama» auf SRF sagte. «Man wird der ganzen Welt eine Schokoladenseite von China präsentieren, die es so nicht gibt.»

Die unnachhaltigsten Spiele aller Zeiten?

Eckmann kritisierte auch IOC-Präsident Thomas Bach. Dieser wisse ganz genau, wie es um die Freiheit und die Menschenrechte in China bestellt sei: «Viel weiter weg von den olympischen Idealen kann man nicht sein als in einem solchen Land.» Menschenrechte, Demokratie und Freiheit seien indes ausdrücklich als Kriterium in der olympischen Charta verankert. «Thomas Bach muss gut in den Spiegel schauen, wenn er sich das nächste Mal rasiert», so Eckmann weiter. Xi Jinping hofiere Bach nur, weil dieser ihm die Show bringe.

Der Sport befindet sich in diesem Jahr in einem schwierigen Umfeld. Auf die Olympischen Spiele in Peking folgt Ende Jahr die nicht minder umstrittene Fussball-WM in Katar. Auch da geht es wieder um Menschenrechte. Und Winterspiele an einem trockenen Ort, wo der Schnee nahezu zu 100 Prozent künstlich hergestellt wird, machen ökologisch etwa gleich wenig Sinn wie eine Fussball-WM in der Wüste, wo die Stadien gekühlt werden müssen.

Der Sport hat sich von seinen Wurzeln und seinen Traditionen entfernt, begibt sich in eine künstliche und problematische Welt – und das ist im heutigen Zeitalter, wo Nachhaltigkeit das grosse Thema ist, eigentlich nicht tragbar. Die Hydrologin Carmen de Jong von der Universität Strassburg, die sich eingehend mit diesem Thema befasst hat, spricht im Zusammenhang mit Peking in der ARD gar von den «unnachhaltigsten Olympischen Spielen aller Zeiten».

Besserung ist in Sicht

Ausgetragen wird das alles auf dem Rücken der Sportler. Egal ob Biathlet, Fussballer oder Snowboarder: Sie bereiten sich über Jahre auf diese Grossanlässe vor. Manche dürfen sie in ihrer Karriere nur einmal erleben. Und da hätten die Sportler etwas anderes verdient, als Winterspiele in China oder eben eine Fussball-WM in Katar.

Einen kleinen Trost und Hoffnung auf Besserung gibt es: Die Talsohle wird Ende Jahr durchschritten sein. Danach wird ein gewisses Mass an Vernunft zurückkehren. Mit den nächsten feststehenden Olympia-Destinationen Paris 2024, Mailand/Cortina 2026, Los Angeles 2028 und Brisbane 2032. Auch die Fussball-WM 2026 in den USA, Kanada und Mexiko wird wieder ein Schritt nach vorn sein.