Michelle Gisin hat in Peking ein Wechselbad der Gefühle erlebt. Schliesslich kam sie aber wieder mit zwei Medaillen im Gepäck in der Schweiz an. Am Dienstagabend wurde der Ski-Star in ihrer Heimatgemeinde Engelberg frenetisch gefeiert.
Der Start in die Olympischen Winterspiele missglückt Michelle Gisin gründlich. Im Riesenslalom landet sie auf Platz 10. Danach ärgert sie sich über die Kurssetzung, will aber im Slalom zwei Tage später eine Reaktion zeigen.
Die Obwaldnerin liegt nach dem ersten Lauf als Zweite nur drei Hundertstel hinter Leaderin Lena Dürr und kann nach Gold greifen. Doch im zweiten Durchgang fährt sie zu verhalten – und fällt auf den 6. Platz zurück. Die Enttäuschung über die entgangene Medaille war gross: Gisin kämpfte mit den Tränen.
Medaille und der nächste Nackenschlag
Auf das Tief folgte zwei Tage später mit dem Gewinn der Bronzemedaille im Super-G das erste Hoch. «Ich weiss selber nicht genau, wie ich das gemacht habe, dass ich es trotz zwei Fehlern im oberen Streckenteil aufs Podest geschafft habe.» Zeit zum Geniessen blieb der Vielbeschäftigten nicht viel. Es ging weiter mit den Trainings für die Abfahrt – und dem nächsten Stimmungswechsel.
Michelle Gisin war davon ausgegangen, dass sie nach ihrem starken Auftritt im Super-G auch in der Abfahrt zum Schweizer Quartett gehören würde. Doch der letzte Startplatz geht an Joana Hählen. Gisin kritisierte später Swiss-Ski mit ungewohnt scharfen Worten: «Es war einfach eine Enttäuschung, wie kommuniziert und mit mir umgegangen wurde.»
Gold mit verletztem Stolz
Drei Tage später steht die Kombination auf dem Programm. Gisin tritt als Titelverteidigerin an. Sie wandelt ihren Frust über die Nicht-Nomination in der Abfahrt in Energie um und holt sich souverän vor ihrer Teamkollegin Wendy Holdener Gold. Ihr Jubel über den neuerlichen Exploit hält sich bei der sonst so aufgestellten Athletin allerdings in Grenzen. Die Wut über den Verband ist noch nicht zerronnen.
«Im Moment kann ich gar nicht so emotional sein, es ist nichts mehr in mir drin im Tank.» Die letzten Tage seien ein «enormer Kraftakt» gewesen. Dass sie in diesem Gefühlschaos «den Slalom des Lebens auspackte», ging so beinahe unter.
Am Dienstagabend bekommt Gisin, die in der Saison noch lange an den Folgen des Pfeifferschen Drüsenfieber litt, welches sie im Sommer erwischte, den verdienten Lohn für all ihre Strapazen und ihren Durchhaltewillen. In ihrer Heimatgemeinde Engelberg wird die 28-Jährige – zusammen mit den beiden Diplomgewinnern Lena Häcki (Biathlon) und Fabian Bösch (Ski Freestyle) – mit einem Empfang geehrt.
Gisin wird zu Hause gefeiert
Vor acht Jahren durfte sie schon auf der Bühne stehen – ihre Schwester Dominique gewann in Sotschi 2014 Gold in der Abfahrt – , vor vier Jahren stand sie nach ihrem Kombi-Sieg selbst im Zentrum, genau wie nun aktuell: «Es ist auch heute wieder fantastisch», meint Gisin und ergänzt: «Absolut verrückt.»
«Es ist natürlich etwas vom Schönsten, wenn die Heimat mitfiebert.» Dass man dies danach mit dieser teilen könne und mit so viel Erfolg zurückkehren dürfe, sei einfach grossartig, hält Gisin fest.
Insgesamt hat das Bergdorf mit knapp 4000 Einwohner bereits 15 Medaillen gewonnen. Kein Wunder, schwärmt Talammann Alex Höchli: «Das macht mich sehr stolz».