Seitenhiebe gegen Swiss Ski Gisin nach Olympiasieg: «Es ist eine Enttäuschung, wie mit mir umgegangen wurde»

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17.2.2022

Das strahlende Lächeln täuscht: Wendy Holdener und Michelle Gisin sind trotz Silber und Gold nicht nur happy.
Das strahlende Lächeln täuscht: Wendy Holdener und Michelle Gisin sind trotz Silber und Gold nicht nur happy.
Bild: Getty Images

Statt Friede, Freude, Eierkuchen gab es bei Michelle Gisin und Wendy Holdener nach Gold und Silber auch Tränen und Frust. Gisin verteilte Seitenhiebe gegen Swiss Ski und fühlt sich ungerecht behandelt.

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Klar, die Freude überwog. Bei beiden. Alles andere wäre nach einem Doppelsieg auch komisch und unverständlich gewesen. Aber es gab auch einen Stachel, der tief sitzt. Vor allem bei Michelle Gisin. Sie sprach gegenüber SRF auch in der Stunde ihres grossen Triumphes nochmals über ihre Nichtnomination für die Abfahrt, wo ihr Joana Hählen nach der internen Ausscheidung vorgezogen wurde. 

«Es waren drei schwierige Tage nach diesem Entscheid. Es war mal wieder eher schwierig kommuniziert worden, aber wir haben es irgendwie hingebracht, dass ich heute wieder fit und wieder da bin nach einer grossen Enttäuschung. Es hat alles funktioniert und das ist sehr cool», erklärte die Engelbergerin nach ihrer Titelverteidigung.



Und trotzdem war der Frust wegen der entgangenen Abfahrt noch immer da. So überschwänglich wie üblich nach Erfolgen, sah man Gisin nach dem Rennen nicht. «Im Moment kann ich gar nicht so emotional sein, es ist nichts mehr in mir drin im Tank. Denn es war in den letzten drei Tagen ein enormer Kraftakt», erklärte sie.

«Ich habe nicht mehr dran geglaubt»

Und legte nochmals gegen Swiss Ski nach: «Die Entscheidungen, die dann zum Entscheid geführt haben in der Abfahrt waren sehr schwierig. Es geht dabei nicht darum, ob Joana Hählen oder ich. Sie hat das mehr als verdient, sie hat das super gemacht und ist eine coole Abfahrt gefahren. Es war einfach eine Enttäuschung, wie kommuniziert und mit mir umgegangen wurde.»

Sie verfüge zum Glück über ein fantastisches Umfeld, und so habe sie es trotzdem wieder geschafft, für die Kombination bereit zu sein. «Meinem Mentalcoach Chris Marcolli kann ich von hier aus ein riesiges Kränzchen winden. Er ist genial. Ich habe heute nach der Abfahrt, die ich verhauen habe, zwischendurch nicht mehr ganz dran geglaubt, dass ich es noch richten kann. Dass ich jetzt aber trotzdem hier stehe und den Titel verteidigen konnte, hatte sehr viel mit dem Kopf zu tun. Es ist richtig geil, dass ich das hingebracht habe.»

«Ich musste den Slalom des Lebens auspacken»

Nach der Abfahrt habe es für sie nur noch den totalen Angriff gegeben. «Als ich dann im Ziel gesehen habe, dass ich es verspielt habe in der Abfahrt, wusste ich, dass ich den Slalom-Lauf meines Lebens auspacken muss. Es ist unfassbar, dass dies heute so gelungen ist.»

Gisin fand es aber auch sehr schade, dass mit Mikaela Shiffrin ihre grösste Konkurrentin ausschied: «Ich hätte sehr gerne das Gold mit ihr ausgemacht. Es ist nun aber umso schöner, dass es ein Doppelsieg geworden ist, das ist fantastisch. Wendy hat ihre Leistung wieder zu 100 Prozent gebracht und ist eine sensationelle Abfahrt gefahren. Natürlich ist der Slalom für sie eine Enttäuschung, aber dafür war ihre Abfahrt fantastisch. Es ist der zweite Doppelsieg, den wir zusammen feiern können, das ist unglaublich schön.»



Und so zeigte sich Gisin dann doch auch noch versöhnlich und sehr stolz auf alle: «Es sind unglaubliche Olympische Spiele für das Schweizer Team allgemein und natürlich für das Frauen-Alpin-Team. Ich weiss nicht, was man dazu sagen kann, wir haben drei von fünf Rennen heimgebracht und zusätzlich noch vier andere Medaillen. Es könnte nicht besser sein.»

«Bitte jetzt nicht falsch verstehen»

Wendy Holdener hatte Tränen in den Augen, als sie zum SRF-Interview erschien und sagte als Erstes: «Irgendwo habe ich auf einen Sieg gehofft.» Sogleich hängte sie diesen Worten jedoch den Zusatz an: «Bitte jetzt nicht falsch verstehen, alle zu Hause.»

Holdener machte sich sogleich an die Erklärung für ihre Gefühlslage: «Ich war im Ziel und konnte nichts mehr tun, ausser hoffen, dass es genug war. Aber es war nicht genug, Michelle ist so unglaublich stark Slalom gefahren.»

Bont: «Deshalb war Holdener trotz der Silbermedaille so enttäuscht»

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Holdener war enorm stolz auf ihre Leistung in der Abfahrt, in der sie sich noch vor Michelle Gisin klassierte. Doch der Slalom sei dann nicht so gut gewesen, wie oft in einer Kombination im Vergleich zu einem Spezial-Slalom, befand die Schwyzerin.

«Fünf Olympia-Medaillen sind schon verrückt»

«Ich habe die ganze Lockerheit nicht gehabt. Sie haben mir am Start gesagt, dass Mikaela Shiffrin ausgeschieden ist, was es dann aber trotzdem schwierig macht, weil du weisst, dass du keinen Fehler machen darfst. All-In bin ich tatsächlich nicht ganz gegangen.»

Sie könne sich neben dieser Enttäuschung aber auch freuen. «Im Nachhinein ist es super und sind es auch Freudentränen», sagt sie, ehe sie nochmals darum bat, sie auf keinen Fall falsch zu verstehen, «es ist ein super Schweizer Tag und ich bin happy mit ganz vielen Sachen heute. Und dass dies schon meine fünfte Olympia-Medaille ist, das ist eigentlich schon verrückt.»



Schon vor vier Jahren in Pyeongchang hat Wendy Holdener einen ganzen Medaillensatz abgeräumt: Gold (Team), Silber (Slalom) und Bronze (Kombi). Nun hat sie ihre Sammlung in China durch Silber (Kombi) und Bronze (Slalom) erweitert – und der Teamwettkampf steht noch aus. Gisin hat nun drei Olympia-Medaillen auf dem Konto: Gold in der Kombi 2018 und 2022, Bronze im Super-G 2022.

Gisin und Holdener im exklusiven Kreis

Beide traten mit ihrem Doppelsieg auch einem ganz exklusiven Kreis von Schweizer Athletinnen und Athleten bei. Holdener gewann nach Skirennfahrerin Vreni Schneider (3/1/1) und Bobpilot Fritz Feierabend (0/3/2) als dritte ihre fünfte Olympia-Medaille an Winterspielen.

Gisin ist eine von acht Schweizerinnen und Schweizern, die an Winterspielen zwei oder mehr Goldmedaillen gewonnen hat. Im Ranking der erfolgreichsten Schweizer Wintersportler nimmt sie zusammen mit Marie-Theres Nadig als zweiterfolgreichste Alpine hinter Vreni Schneider den 6. Rang ein. Das Ranking führen Simon Ammann und Dario Cologna mit je vier Olympiasiegen an.