Sven Riederer holte 2004 in Athen als bislang einziger Schweizer Männer-Triathlet mit Bronze eine Olympia-Medaille. Der aufstrebende Max Studer besitzt das Rüstzeug, um Riederer heute ab 23.30 Uhr in Tokio nachzueifern.
Laut seinem Trainer Brett Sutton wird Studer als aktuelle Nummer 1 der Schweizer Kurzdistanz-Triathleten erst bei Olympia 2024 in Paris gute Aussichten auf einen Medaillengewinn in der Einzelkonkurrenz haben. «Max wird immer stärker. Tokio wird für ihn aber noch nicht entscheidend sein. Er soll dort einfach Erfahrung sammeln. Doch in Paris wird er dann zu den Anwärtern auf einen der vordersten Ränge zählen. Dann wird es ‹Business› sein und keine Entschuldigungen geben», prophezeit Sutton.
Riederer war bei seinem Olympia-Exploit erst 23 und damit zwei Jahre jünger als Studer jetzt ist. Deshalb und angesichts der eindrucksvollen Leistungsentwicklung sowie des aktuellen Formstands von Studer ist dies ein gezieltes Understatement von Sutton, um Druck vom 25-jährigen Olympia-Debütanten für Tokio zu nehmen.
Natürlich muss sich Studer in der Weltspitze erst noch etablieren. Die ersten eindrucksvollen Spuren im Top-Ten-Bereich der Weltspitze hat der U23-Europameister von 2018 indes schon hinterlassen. Nach dem zehnten WM-Rang im Vorjahr über die Sprintdistanz imponierte er unter anderem in der unmittelbaren Olympia-Vorbereitung mit dem Gewinn des EM-Titels über die gleiche Distanz.
Das Laufen als Studers grosse Stärke
«Max hat schon alles, was ein Medaillenanwärter benötigt. Er ist in allen drei Disziplinen enorm stark», sagt Reto Hug gegenüber «blue Sport». Der Ehemann von London-Olympiasiegerin Nicola Spirig war früher Erzrivale von Riederer und selbst Europameister sowie WM-Medaillen- und Olympia-Diplomgewinner. «Max kann mit den Top 10 aus dem Wasser kommen und auf dem Rad problemlos so gut wie jedes Tempo mitgehen», betont Hug.
Und das Laufen ist ohnehin Studers grosse Stärke - wie er heuer auch mit seinem Schweizer Meistertitel über 10 000 Meter auf der Bahn in 28:51 Minuten bewies. Einzig auf den letzten 200 Metern im Endspurt sieht Hug bei Studer noch Verbesserungspotenzial. Entsprechende Duelle im Finish hatte Studer am Triathlon-Weltcup in Lissabon im Kampf um den Sieg oder am Vortag bei der Olympia-Qualifikation im Mixed-Team-Wettkampf im Kampf um Platz 2 jeweils verloren.
Im Einzel-Weltcup gleichenorts in Lissabon rehabilitierte er sich indes eindrücklich. Studer musste sich im Finish einzig dem renommierten Norweger Kristian Blummenfelt geschlagen geben, der 2018 über die halbe Ironman-Distanz eine imponierende Weltbestzeit erzielt hatte. Dabei ist Studer das Gegenstück zum Fünften der WM-Serie von 2018, der in Tokio zu den Favoriten zählt. Kein mit Akribie der Sportwissenschaft und Permanent-Laktatüberwachung hochgezüchteter Triathlet, sondern von Trainer Brett Sutton mit mehr Gefühl aufgebauter als ein dauerausgewerteter Athlet.
«Mein Computer und mein Gehirn ist Brett»
Studer betont: «Mein Computer und mein Gehirn ist Brett, der über eine immense Erfahrung über den Triathlon hinaus verfügt. Es ist wirklich erstaunlich, wie Brett aufgrund nur vom Schauen und Beobachten seiner Trainingseindrücke jeweils meine aktuelle Verfassung exakt wahrnimmt. In 80 Prozent der Trainings sieht er mich. Er bemerkt, wenn ich nicht 100-prozentig konzentriert bin und spürt instinktiv, welche Einheit zu welchem Zeitpunkt am meisten bringt. Und er weiss auch, wie sich der Triathlon-Sport permanent entwickelt und was es gerade benötigt, um top zu sein.»
Seit Ende 2017 befindet sich Studer unter Suttons Fittichen, der hierzulande auch als Trainer von Nicola Spirig bekannt ist oder bis vor kurzem auch Erfolgscoach von Mittel- und Langdistanz-Serien-Weltmeisterin Daniela Ryf war. Studer konnte in dieser Zeit seinen Laufumfang sukzessive von 50 auf heute rund 120 km pro Woche steigern. «Ich war kaum verletzt und konnte immer durchtrainieren.»
Studer sieht sich selbst als aussichtsreichen Underdog
Studer zählt sich selbst in der Nacht auf Montag nicht zum für ihn rund achtköpfigen Favoritenkreis. Er sieht sich aber als aussichtsreicher Underdog (oder eben als «Dark Horse», wie man im Sportjargon die unbekannteren Aussenseiter nennt) in der zweiten Reihe mit rund einem Dutzend weiterer Athleten, «die alle eine Medaille gewinnen können, wenn das Rennszenario ihnen in die Karten spielt.»
In Lissabon kam der Solothurner beispielsweise vor den starken Norwegern aus dem Wasser, die wiederum auf dem Rad Druck machten und deren Tempo er dann problemlos mitgehen konnte. Das wäre ein auch für Tokio mögliches Optimal-Szenario für Studer, der bewusst erst knapp 70 Stunden vor seinem ersten Wettkampfeinsatz in Tokio eintraf.