Marco Odermatt wandelt als Riesenslalom-Olympiasieger in den Spuren von Carlo Janka. Der Nidwaldner hält wie einst der Bündner dem immensen Druck stand.
Carlo Janka war einer der ersten Gratulanten. Der vor kurzem zurückgetretene Bündner war über das Schweizer Fernsehen zugeschaltet. Da tauschten sich zwei Athleten über eine Distanz von knapp 8000 Kilometern aus, die mehr waren als Teamkollegen. Da redeten der zuvor letzte Schweizer Riesenslalom-Olympiasieger und sein Nachfolger miteinander. Beide schafften sie den Coup bei ihrer ersten Teilnahme.
Was damals vor zwölf Jahren war, als Janka in Whistler bei den Spielen in Vancouver Olympiasieger wurde, war die Vorlage für das, was sich am Sonntag in Yanqing abspielte.
Wie Janka, der vor dem Riesenslalom als (Mit-)Favorit in Abfahrt, Kombination und Super-G ohne Medaille geblieben war, hatte auch Odermatt vor seinem letzten Einsatz Enttäuschungen in Abfahrt und Super-G zu verdauen. Wie Janka führte Odermatt im Riesenslalom nach dem ersten Lauf – und hielt er der Nervenbelastung stand.
Gedanken an Feuz und Gut-Behrami
Mit seiner Druckresistenz beeindruckt Odermatt immer wieder aufs Neue. Aber, wie geht das, vor dem Start zu einem zweiten Lauf, in dem es um alles geht, diesen Druck so gering wie möglich zu halten? «Ich habe zu mir gesagt, dass ich noch andere Ziele habe. 'Wenns klappt, ists schön, und sonst eben nicht.' Dazu habe ich an Beat (Feuz) und Lara (Gut-Behrami) gedacht, die ihre erste olympische Goldmedaille erst bei ihren dritten Spielen gewonnen haben.»
Das klingt alles so einfach, ist es aber beileibe nicht, denn Odermatt vereinigte ein weiteres Mal die Hoffnungen der gesamten Schweizer Skination auf sich. Alle erwarteten sie nach seiner Dominanz im Weltcup auch im wichtigsten Riesenslalom des Winters nur eines: Gold.
Odermatt weiss um seine Stellung im Land. Er nimmt die Rolle an. Die hohe Erwartungshaltung scheint er zu ignorieren. Er ist imstande, im entscheidenden Moment den Fokus aufs Wesentliche zu richten. Es scheint, als könne er dafür einen imaginären Schalter umlegen.
Keiner passt sich so gut an wie Odermatt
Dass er die hohen Erwartungen ein weiteres Mal erfüllt hat, überrascht eigentlich nicht wirklich, zumal er es wie kaum ein anderer versteht, sich den herrschenden Bedingungen anzupassen.
Diese Stärke fiel am Sonntag zusätzlich ins Gewicht, zumal das Rennen bei Verhältnissen stattfand, bei denen ein Riesenslalom im Weltcup mit grösster Wahrscheinlichkeit abgesagt worden wäre. Der für die Gegend unerwartet heftige Schneefall und die miserablen Sichtverhältnisse erhöhten den Schwierigkeitsgrad der Aufgabe zusätzlich.
Bei den widrigen Bedingungen kam kein Fahrer fehlerfrei durch. Auch Odermatt nicht. Aber, und das ist seine nächste Stärke, er versteht es besser als alle seine Konkurrenten, auf Fahrfehler intuitiv zu reagieren.
Diese Begabung half im vorab im ersten, aber auch im zweiten Lauf, in der (Erfolgs-)Spur zu bleiben. Dass er in der Lage ist, auch ohne optimale Leistung zu gewinnen, zeigt, auf welch hohem Level sich Odermatt mittlerweile bewegt. Darob geht oft vergessen, dass er erst 24 Jahre alt ist.
Murisiers Tipp
Ein Erfolg dieser Grössenordnung beruht auf mehreren Faktoren. Da ist nicht nur das eigene Können entscheidend. Da sind auch die Trainer mit Riesenslalom-Chefcoach Helmut Krug und sein Servicemann Chris Lödler, die ihren Beitrag leisten. Entscheidend kann zudem der Meinungs- und Erfahrungsaustausch mit den Teamkollegen sein, wie das Beispiel vom Sonntag zeigt.
Den Entscheid zu einer Abstimmungsanpassung nach dem ersten Lauf und dem damit verbundenen Wechsel von Ski und Skischuh hat Odermatt auf Anraten von Justin Murisier gefällt. «Justin gehört deshalb eine Ecke der Goldmedaille.»
Vaters Statistik
Ein Teil der Medaille gehört auch dem Vater des Riesenslalom-Olympiasiegers. Walter Odermatt hat mit seiner Begeisterung für den Skisport die erste Basis für die Karriere seines Sohnes gelegt.
Keiner ist über dessen Werdegang besser im Bild wie Odermatt senior. Er führt seit dem ersten Skitag ("Das war am 8. Dezember 1999") genau Buch über den Filius. Der Statistik ist zu entnehmen, dass Marco Odermatt bis zu seiner Anreise nach Peking 1910 Tage auf den Ski verbracht hat. Aus den Aufzeichnungen sind auch Trainingsart und -ort ersichtlich.
Nicht mehr allzu viele Skitage werden dazukommen, bis Marco Odermatt seinen ersten Sieg im Gesamtweltcup unter Dach und Fach gebracht hat, als erster Schweizer ebenfalls zwölf Jahre nach Janka. Der Bündner wird auch dannzumal zu den ersten Gratulanten gehören.