Napoli ist zum ersten Mal seit 1989/90 wieder italienischer Meister. Das sind die Gründe für den Erfolg des Teams von Trainer Luciano Spalletti.
Hunger auf den Erfolg
Napoli war in der jüngeren Vergangenheit schon einige Male nah dran, seinen dritten Meistertitel in der Vereinsgeschichte zu feiern. Vor allem unter Coach Maurizio Sarri (aktuell bei Lazio) scheitere man nur hauchdünn.
Präsident Aurelio De Laurentiis verteilte nach dem Scudetto ein paar Seitenhiebe auf ehemalige Spieler wie Lorenzo Insigne, Dries Mertens oder Kalidou Koulibaly, die den Klub im Sommer verlassen haben: «Diese Mannschaft fühlte sich durch die Verantwortung belastet und wir brauchten eine Gruppe, die sich leicht genug anfühlte, um zu fliegen, und nicht mit Einzelpersonen, die als Bremsen fungierten.»
Ob tatsächlich dieses Trio hauptverantwortlich war für die Erfolgslosigkeit des Vereins, sei dahingestellt, schliesslich sind auch schon andere Stars wie Edinson Cavani, Ezequiel Lavezzi, Marek Hamsik oder Gonazlo Higuain gescheitert.
Nun darf Napoli frühzeitig feiern – bereits fünf Spieltage vor Saisonende. Die lange Leidenszeit nach 33 Jahren ist damit ebenfalls beendet. Nur die AS Roma (41 Jahre) hat länger auf einen nächsten Meistertitel in Italiens höchster Spielklasse gewartet als die Partenopei.
Schicksal
Seit Maradona 1986 sein Land als Topskorer zum Triumph führte, hatte Argentinien die Weltmeisterschaft nicht mehr gewonnen. Und seit Maradona 1990 Napoli als Topskorer zum Scudetto schoss, hat der Klub die Meisterschaft nicht mehr geholt.
Drei Jahre nach dem Tod von Diego Maradona haben Napoli und Argentinien ihrem Fussball-Helden Tribut gezollt. Der Kreis schliesst sich.
Die Stimmung im Stadio Diego Armando Maradona, wo das Spiel gegen Udinese übertragen wurde, hätte jedenfalls dem zu Lebzeiten als Feierbiest bekannten Maradona sicher gefallen.
Blitz-Start
Napoli ist mit einer Serie von 15 ungeschlagenen Spielen in die Saison gestartet, darunter auch ein Vereinsrekord von elf Siegen in Folge. Mit dem Traum-Start legte das Team von Luciano Spalletti den Grundstein für den Erfolg. Mit dem neuen Selbstbewusstsein und Selbstverständnis überrollte Napoli die Konkurrenz.
Unüberwindbare Defensive
In 33 Serie-A-Spielen kassierte Napoli nur 23 Gegentore – ein Top-Wert. Hauptverantwortlich für das fast unüberwindbare Abwehrbollwerk ist Min-jae Kim. Der 26-jährige Südkoreaner mit Gardemass (1,90 Meter gross und 90 Kilogramm schwer) wurde im letzten Sommer für 18 Millionen Euro von Fenerbahçe als Nachfolger von Kalidou Koulibaly verpflichtet. Ein Schnäppchenpreis für das «Monster» – so der Spitzname von Kim.
Sein Chef Spalletti lobte ihn kürzlich als «der im Moment beste Innenverteidiger der Welt». Der 64-Jährige hielt fest: «Er macht pro Spiel mindestens 20 unglaubliche Dinge. Wenn er mit dem Ball am Fuss losläuft, ist er innerhalb von fünf Sekunden im gegnerischen Strafraum.»
Wie lange sich Napoli noch an Kim erfreuen kann, bleibt abzuwarten. In seinem Vertrag ist eine Ausstiegsklausel in Höhe von 45 Millionen verankert, die ab Sommer 2024 ausschliesslich für ausländische Vereine gilt. Vor allem die englischen Top-Klubs stehen bei ihm Schlange.
Stanislav Lobotka
Der slowakische Nationalspieler steht stellvertretend für die unbesungenen Helden im Kader der Azzurri. 2020 kam der defensive Mittelfeldspieler für 21 Millionen Euro aus Celta Vigo. Doch der Durchbruch liess lange auf sich warten.
Doch diese Saison gab es kein Vorbeikommen mehr am 28-Jährigen. Lobotka stand in allen bisherigen 33 Serie-A-Partien auf dem Platz. Seine persönlichen Statistiken sind ihm egal – je ein Tor und eine Vorlage passen da ins Bild. Dafür hat kein Profi in der Serie A eine höhere Passgenauigkeit als Lobotka aufzuweisen – 94,1 Prozent seiner Zuspiele kommen an den Mann. Der perfekte Mann also für das System von Spalletti.
Khvicha Kvaratskhelia
«Kvaradona» ist der einzige Spieler, der in dieser Saison in der Serie A zweistellige Zahlen bei Toren (12) und Assists (10) vorweisen kann. Auch Spalletti schwärmt vom 22-jährigen Georgier, der vor der Saison noch nahezu unbekannt war in der Fussball-Szene: «Kvara ist ein wunderbarer, grossartiger, bezaubernder Fussballer. Er ist von der Qualität her ein Spitzenspieler, trotz seines jungen Alters.»
Er habe seinen Spielern gesagt, sie sollen darauf schauen, ihn zu inkludieren, weil er noch viel zu lernen habe, so Spalletti. Sein Chef sieht beim Edel-Techniker also gar noch Luft nach oben. «Wenn er diese Dinge hier lernt, dann wird er tödlich werden – ein absoluter Superfussballer.»
Victor Osimhen
Mit derzeit 22 Toren hat der designierte Torschützenkönig der Serie A in der Saison im Schnitt alle 100 Minuten ein Tor erzielt. Über OSC Lille kam Osimhen für stolze 75 Millionen Euro in die süditalienische Hafenstadt. Der Nigerianer war jeden Rappen wert. Der Vertrag des 24-Jährigen bei Napoli ist noch bis Ende Juni 2025 gültig, eine satte Ablösesumme wäre bei einem Abgang also fällig.
Mit seinen starken Leistungen hat er sich zu einem international gefragten Topstürmer entwickelt. Doch die Napoli-Anhänger können trotzdem noch hoffen, dass Osimhen den verlockenden Angeboten widerstehen wird. «Ich bin schon in einem der grössten Vereine und ich könnte nicht mehr wollen», betonte er immer wieder. Ob das nur Lippenbekenntnisse des Torjägers sind, wird die Zukunft zeigen. In den Herzen der Fans hat Osimhen sich schon einen Platz gesichert.
Luciano Spalletti
64 Jahre alt musste der Toskaner werden, um endlich die italienische Meisterschaft zu gewinnen. Kein Trainer war beim Scudetto-Gewinn älter. Nun ist der oft etwas blumig sprechende Spalletti im Olymp angekommen. Mit seinem Arbeitsethos ging er stets voran, die Spieler hat er mit seiner offensiven Spielidee hinter sich bringen können. Kein Profi scherte unter ihm aus, so hatten auch Teilzeitkräfte wie Edel-Joker Giovanni Simeone ihren Anteil am Erfolg.
Der Baumeister des Erfolgs schien dabei in seiner ersten Saison am Fusse des Vesuv ins gleiche Fahrwasser zu geraten wie manch seiner Vorgänger. Nach einem tollen Start brach seine Mannschaft im Frühling 2022 ein und landete schliesslich auf Rang 3. Mit den Abgängen der langjährigen Teamstützen Dries Mertens, Kalidou Koulibaly und Lorenzo Insigne schwante den Fans Böses, doch Präsident De Laurentiis glaubte an die unbekannten Neuzugänge – und Spalletti setzte das ehrgeizige Vorhaben auf dem Rasen perfekt um.
Nach dem Erfüllen des langersehnten Traums kämpfte Spalletti mit den Tränen: «Ich muss dies den Spielern widmen, die diese Freude verdient haben. Zweitens geht das an alle Fans – Napoli, das ist für euch!»
Fans
In der Tat hat die Leidenschaft der Anhänger die Spieler heuer nicht gehemmt, sondern beflügelt. Stellvertretend für die Unterstützung lobt Osimhen die Napoli-Fans: «Als ich hier ankam, machte ich einige schwierige Zeiten durch, aber sie gaben mir die Energie und unterstützten mich wirklich und machten mich zu dem Stürmer, der ich heute bin.»
Die Begeisterung um Osimhen & Co kannte in der Stadt keine Grenzen. Nach dem Titelgewinn herrscht in der Region Ausnahmezustand. Auch die vielen Exil-Neapolitaner rund um den Globus feiern, als gäbe es kein Morgen mehr.
Osimhens Fazit: «Wir haben 33 Jahre lang gewartet. Die Unterstützung, die wir seit Saisonbeginn von unseren Fans erhalten haben, war überwältigend. Niemand hat den Scudetto mehr verdient als die Neapolitaner und Napoli.»