Zürich
Mit dem Rücktritt von Marco Chiudinelli verliert Swiss Tennis eine charismatische Figur. Der 36-jährige Baselbieter, der seine Tenniskarriere mehrheitlich abseits des Jetset lebte, wurde letztlich von seinem Körper gestoppt.
Marco Chiudinellis Palmarès liest sich bescheiden. Vor allem in einer Ära, die dank Roger Federer und Stan Wawrinka als "goldenes Zeitalter" in die Schweizer Tennisgeschichte eingehen wird. Die Nummer 52 im ATP-Ranking als Bestwert, ein ATP-Turniersieg im Doppel 2009 in Gstaad mit Yves Allegro, gut zwei Millionen Dollar Preisgeld. Der Davis-Cup-Sieg 2014 ragt heraus, zu dem Chiudinelli dank dem Sieg im Doppel mit Michael Lammer in der Startrunde in Belgrad einen Punkt beitrug.
Während der gleichaltrige Federer, mit dem er in der Jugend viele Abenteuer und Erfahrungen teilte, zum erfolgreichsten Spieler aller Zeiten avancierte, absolvierte Chiudinelli eine Karriere abseits des Jetset. Über sein Schattendasein klagte er aber nicht. Viel eher sah er sich privilegiert, sein Leben mit dem Tennis finanzieren und den Globus, der ihn bereits als Jugendlicher fasziniert hat, dank seiner Leidenschaft bereisen zu können. Städte wie das chinesische Anning, Villers-lès-Nancy in Frankreich oder Maui auf Hawaii gehörten 2017 zu den Stationen des Vielgereisten, den es auf der ITF- und Challenger Tour in die entlegensten Winkel dieser Welt verschlug.
Offen und direkt
Auch Chiudinellis direkte und offene Art wird in Erinnerung bleiben. Er nahm kein Blatt vor den Mund, hakte nach, wenn er mit einem Zeitungsartikel nicht einverstanden war und traute sich auch, Federer öffentlich zu kritisieren, als dieser im Herbst 2010 seinen Verzicht auf die Teilnahme an der Davis-Cup-Barrage in Kasachstan erst am Tag vor der Auslosung bekanntgab. Chiudinelli war nie um einen Spruch verlegen und spendierte den Schweizer Davis-Cup-Fans spätabends in einer Bar auch einmal eine Runde Longdrinks, um sich für deren Unterstützung und Treue bei weniger attraktiven Davis-Cup-Begegnungen in Logroño oder Astana zu bedanken.
Immer wieder hatte Chiudinelli mit dem Gedanken gespielt, seine Karriere zu beenden. Immer wieder hängte er noch einmal eine Saison an. Auch im Herbst 2016, als er wieder den Sprung in die Top 120 geschafft hatte. Er forcierte seine Einsätze, bestritt im November noch drei Challenger-Turniere in der Hoffnung, noch einmal die Top 100 und damit die direkte Qualifikation für das Haupttableau am Australian Open zu erreichen. Eine Pause gönnte er sich nicht.
Ein Entscheid der Vernunft
Chiudinellis Plan ging nicht auf - im Gegenteil. 2017 entwickelte sich zu einem Sinnbild für seine Karriere, die auch von körperlichen Problemen geprägt war. Ob Knie, Ellbogen, Schulter oder Rücken, Verletzungen und Schmerzen wurden schon früh zum ständigen Begleiter, Operationen unumgänglich. "Ich war 2017 vielleicht bei fünf Turnieren hundertprozentig fit und vollkommen bereit zu spielen", so Chiudinelli.
Mit dem Entscheid seine Karriere nun zu beenden, erfüllte er sich den Wunsch, den Abschied von der Tour selber bestimmen und diesen an den Swiss Indoors geben zu können. Basel sei sein persönliches Wimbledon, sagte er einst. In seiner Heimat hatte er seinen grössten Einzel-Erfolg gefeiert, als er 2009 im Halbfinal im Duell der beiden einstigen Balljungen Federer unterlag. Der Entscheid des Rücktritts ist aber auch einer der Vernunft, denn die Nase von seinem Nomadenleben hatte er noch nicht voll - auch nach 18 Profi-Jahren und Hunderttausenden von Kilometern in Flugzeugen, Bussen, Autos und Zügen nicht.
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