Wimbledon Die schwere Wahl zwischen Mami und Tante

sda

7.7.2022 - 05:00

Ungläubiges Staunen: Die zweifache Mutter Tatjana Maria schreibt in Wimbledon eine der schönsten Geschichten und steht vor einem ganz speziellen Halbfinal.
Ungläubiges Staunen: Die zweifache Mutter Tatjana Maria schreibt in Wimbledon eine der schönsten Geschichten und steht vor einem ganz speziellen Halbfinal.
Bild: Keystone

Mütter im Tennis-Profizirkus sind eine Seltenheit. Umso erstaunlicher ist die Geschichte der zweifachen Mutter Tatjana Maria, die im Wimbledon-Halbfinal auf eine gute Freundin trifft.

Das eigene Mami oder die Tante Ons – so lautet das Dilemma der achtjährigen Charlotte Maria vor dem Halbfinal am Donnerstag zwischen ihrer Mutter Tatjana und der Tunesierin Ons Jabeur. Diese ist nämlich eine enge Freundin der Familie und für die beiden Mädchen eine Art Tante.

Fast wie die eigenen Kinder

«Wir kennen uns seit Ewigkeiten. Ons liebt die Kinder», beschreibt die 34-Jährige aus Baden-Württemberg das aussergewöhnliche Verhältnis zur Weltranglisten-Zweiten. «Sie sieht meine Kinder fast als ihre eigenen an und ist praktisch ein Teil unserer Familie», erzählt die mit ihrem französischen Tenniscoach Charles-Edouard Maria verheiratete Deutsche. «Wenn sie Charlotte sieht, spielt sie mit ihr Tennis. Wenn sie Ceci sieht, ist das ihr Baby.»

So ist es vielleicht kein Wunder, dass Tatjana Maria so kurz nach der Geburt ihrer zweiten Tochter so erfolgreich spielt wie nie zuvor. Vor dem Comeback war sie bei Grand-Slam-Turnieren nie über die 3. Runde hinausgekommen. Denn Wimbledon ist auch in Sachen Kinderbetreuung vorbildlich. Am Morgen spielt die Mutter Tatjana jeweils zuerst mit der achtjährigen Tochter, ehe sie sich selber auf ihre Matches vorbereitet. Während der Spiele werden die Kinder in der turniereigenen Krippe bestens betreut.

Das ist nicht überall so. Mütter sind im Profitennis eine Seltenheit, in Wimbledon waren neben Maria nur noch Serena Williams und die Belgierin Yanina Wickmayer als Mütter im Hauptfeld. Entsprechend gering ist oft die Unterstützung. Schon länger kämpfen Williams und Maria, die in Florida fast Nachbarinnen sind und sich regelmässig austauschen, für mehr Verständnis. Nicht nur, was die Möglichkeiten bei den Turnieren angeht, sondern auch bei der Rückkehr nach der Geburt.

Eintrag in die Geschichtsbücher

Vorerst aber steht für Tatjana Maria der Höhepunkt ihrer bisherigen Laufbahn an. Nachdem sie im Viertelfinal gegen ihre Landsfrau Jule Niemeier in drei Sätzen gewonnen hat, folgt nun das Duell mit der besten Freundin. Die Tunesierin freut sich mit. «Ich freue mich wirklich für sie, dass sie bekommt, was sie verdient», sagt Ons Jabeur. Als Erstes versuche sie nun, die Kids auf ihre Seite zu bringen, meinte sie nach dem Halbfinal-Einzug lachend.

Ernsthafter fügte die Tunesierin hinzu: «Vielleicht sind wir zwei Stunden lang keine Freunde. Aber am Ende werden wir es wieder sein.» Ein Eintrag in die Geschichtsbücher wäre im Fall eines Wimbledon-Titels beiden sicher. Maria wäre seit dem Zweiten Weltkrieg erst die zweite Mutter nach der Australierin Evonne Goolagong 1980, Jabeur die erste arabische oder afrikanische Siegerin.

sda