Grosse Aufregung «Ich will dir helfen» – Wurde Kyrgios vom Schiedsrichter gecoacht?

Aus New York: Jan Arnet

31.8.2018

Es ist DAS Thema am vierten Tag der US Open: Ein lustlos spielender Nick Kyrgios verliert den ersten Satz gegen Pierre-Hugues Herbert, hört dann vom Stuhlschiedsrichter aufmunternde Worte und dreht schliesslich auf. Jetzt äussern sich die Beteiligten zur wohl kuriosesten Szene des Turniers.

Was ist genau passiert?

Nick Kyrgios, die Weltnummer 30, spielte auf Court 17 seine Zweitrunden-Partie gegen den Franzosen Pierre-Hughes Herbert – und hatte grosse Mühe. Er verlor den ersten Satz 4:6 und lag im zweiten 0:3 mit Break zurück. Es machte den Anschein, als habe der Australier keine Lust, sich bei Temperaturen von über 30 Grad zu quälen. Dann verliess Schiedsrichter Mohamed Lahyani seinen Stuhl und versuchte, Kyrgios aufzumuntern. «Ich will dir helfen. Du bist ein guter Spieler. Ich weiss, dass das nicht du bist», war über die Aussenmikrophone deutlich zu hören (siehe Video oben). Danach drehte der 23-Jährige auf, holte sich den zweiten Satz noch im Tie-Break und gewann schliesslich in vier Sätzen 4:6, 7:6, 6:3, 6:0.

Warum hat Lahyani das gemacht?

Das Regelwerk der ATP und ITF legt fest, dass Spieler stets ihr Bestes geben müssen. Möglicherweise wollte der Schiedsrichter überprüfen, ob Kyrgios irgendein medizinisches Problem hat, bevor er ihm eine Verwarnung ausspricht. Vielleicht wollte Lahyani auch reagieren, weil er sah, dass es immer mehr freie Sitze in der Arena gab – die Zuschauer hatten keine Lust auf einen lustlosen Kyrgios. Doch hat der Unparteiische mit seinem Handeln Einfluss auf den Ausgang der Partie genommen?

Kyrgios: «Das hat keine Rolle gespielt»

Kyrgios selbst sagt, Lahyanis Worte seien nicht der Grund für seinen Aufschwung gewesen. «Das hat keine Rolle gespielt. Ich war ja 0:3 hinten und später auch 2:5. Ich denke nicht, dass seine Worte ermutigend waren. Er hat mir nur gesagt, dass es nicht gut aussieht, wenn ich so spiele. Er hat mich nicht gecoacht, das ist lächerlich.» Der Aussie sagt, er habe sich zu Beginn des Spiels nicht gut gefühlt und er wusste, dass es fürs Publikum nicht toll war, was er zeigte. Lahyanis Worte habe er mehr als Ermahnung aufgefasst. «Ich habe ihm gar nicht richtig zugehört. Also hat es mir auch überhaupt nicht geholfen.»

Der 23-Jährige sagt auch, dass er in Vergangenheit schon mehrmals mit derselben Situation konfrontiert war. «In Shanghai hat mir der Schiedsrichter genau dasselbe gesagt. Dass mein Verhalten nicht gut für den Sport wäre. Aber das passiert auch in anderen Sportarten. Wenn du dich beim Fussball nicht an die Regeln hältst, wirst du auch verwarnt.»

Ein kleiner Ausschnitt von Kyrgios' Match gegen Mischa Zverev vor zwei Jahren in Shanghai:

Herbert kritisiert Lahyani: «Das ist nicht sein Job»

«Bevor es zum Zwischenfall kam, war Nick ein anderer Spieler», sagt Kyrgios' Gegner Pierre-Hugues Herbert. «Er war mental nicht da. Danach spielte er viel besser, er hat mir regelrecht in den Ar*** getreten. Niemand weiss, was passiert wäre, wenn Mohamed auf seinem Stuhl geblieben wäre. Aber er hätte das nicht tun sollen.» Lahyani hätte Kyrgios ganz einfach von seinem Stuhl aus verwarnen können, meint der Franzose, der seine Niederlage aber nicht mit dem Zwischenfall erklären will. «Aber die Worte, die er gesagt hat, muss er nicht benutzen. Das ist nicht sein Job.»

Ob er nun von den Turnierverantwortlichen als Entschuldigung eine Entschädigung kriegen wird, weiss Herbert nicht. «Vielleicht geben sie mir das Preisgeld für den Gewinner. Das wäre doch fair», lacht der 27-Jährige. Er wolle nun aber das Gespräch mit Lahyani suchen. «Ich glaube, er hat einen Fehler gemacht. Sein Verhalten war einfach nicht angemessen.»

Federer: «So sollten Schiedsrichter nicht mit den Spielern reden»

Auch Roger Federer, der in der 3. Runde Kyrgios' nächster Gegner sein wird, äussert sich zur kuriosen Szene. «Meiner Meinung nach sollte ein Schiedsrichter nicht zum Spieler runter gehen und so auf ihn einreden», sagt der Schweizer nach seinem Dreisatz-Sieg über Benoit Paire. «Aber er kann machen, was er für richtig hält. Mohamed ist einer der weltbesten Schiedsrichter, deshalb bin ich froh, dass es ihm passiert ist.» Federer ist sich aber sicher, dass sowas bei seinem Spiel gegen Kyrgios nicht mehr passieren wird. «Ich denke, dass Nick gegen mich motivierter sein wird als gegen Herbert.»

Die Stellungnahme der Turnierverantwortlichen

Die Organisatoren der US Open haben mitterweile auch auf das Geschehene reagiert. «Mohamed Lahyani verliess seinen Stuhl, um sich über den Gesundheitszustand von Nick Kyrgios zu informieren. Er kletterte vom Stuhl, weil es laut war und er so richtig mit Kyrgios kommunizieren konnte», ist in einem Statement zu lesen. «Lahyani war besorgt, dass Kyrgios vielleicht eine medizinische Behandlung brauche. (...) Er informierte Kyrgios auch, dass er als Schiedsrichter reagieren müsse, wenn er weiterhin so lustlos spielen würde.»

Wird Lahyani jetzt gesperrt?

Bleibt die Frage, ob die Sache für Mohamed Lahyani Folgen hat. Wird der 52-jährige Marokkaner, der seit 1992 auf höchster Stufe im Tennis als Schiedsrichter amtet und weit über 500 Spiele geleitet hat, gesperrt? Laut «New York Times»-Journalist Ben Rothenberg hat der amerikanische Tennisverband USTA eine Untersuchung eingeleitet. «Ich glaube nicht, dass er es verdient hätte, sanktioniert zu werden. Ich wäre enttäuscht», sagt Kyrgios. 

Übrigens: Eine ähnliche Szene ereignete sich vor einigen Jahren in Valencia. Damals hatte Lahyani Gael Monfils während der Partie gesagt, dass er ihn als besseren Spieler kenne. Dafür bestraft wurde der Schiedsrichter damals nicht.

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