Kommentar Auch Federer darf mal zickig sein

René Weder

19.3.2018

Im Final von Indian Wells legt sich Roger Federer mehrfach mit dem Schiedsrichter an. Er heisst auch eine grenzwertige Aktion des Publikums gut und zeigt danach keine Reue. Das ist auch in Ordnung so. Ein Kommentar.

Es geht hoch zu und her im redaktionsinternen Whatsapp-Chat. Es ist kurz vor Mitternacht Schweizer Zeit, das Spiel zwischen Roger Federer und Juan Martin del Potro geht in die entscheidende Phase. Es ist alles dabei: Packende Ballwechsel, Emotionen, ein lautstarkes Publikum und mittendrin Roger Federer, der den Grund eigener Fehler beim Schiedsrichter sucht.

Im zweiten Satz kommt es zu einer brisanten Szene: Del Potro beschwert sich beim Stuhlschiedsrichter über Ablenkungsmanöver aus dem Publikum und fordert den Unparteiischen auf, für Ruhe zu sorgen. Federer quittiert die Aktion mit einem abschätzigen «Yeah, yeah» und sagt an die Adresse Del Potros: «It’s all good, Juan Martin.»

«Nicht die feine Art, eine unfaire Aktion des Publikums zu billigen», meint ein Kollege. «Was auch immer heute los ist, es ist ansteckend», schreibt dagegen ein anderer. Fürwahr: Selten hat man Federer in einem Endspiel derart aufbrausend gesehen wie am Sonntag in Indian Wells. Gerade deshalb sollte man sich nicht daran stören.

1400 Spiele hat Federer seit seinem Debüt auf der ATP-Tour im Jahr 1998 bestritten. Er hat wenige Tiefen und viel mehr Höhen durchlebt, gilt als Vorzeige-Sportler – auf und neben dem Platz. Sein Grundsatz: Fairplay first. 

Immer im Fokus und Erwartungen von allen Seiten

Jetzt steht der vierfache Familienvater vor über 16'000 Zuschauern auf dem Court, der Druck ist riesig. Immer noch. Auch wenn er schon alles gewonnen hat. 17 Siege hat Federer in der bisherigen Saison aneinander gereiht. Rekord! Würde die Weltnummer 1 nicht mehr gewinnen wollen und nur zum Spass spielen, hätte er es mit Bestimmtheit nicht mehr auf den Tennisthron geschafft.

Doch nicht nur das Training, die jahrelange Schinderei abseits des Scheinwerferlichts, geht an die Substanz. Unzählige Medien- und Werbetermine, das ständige Reisen, das Engagement für seine Stiftung und das Leben als Ehemann und Familienvater mit allen damit verbundenen Erwartungshaltungen sind die Gründe für bessere und schlechtere Tage. Das ist nicht mehr als menschlich.

Immer die richtige Antwort parat zu haben, jedem das Gefühl zu geben, die richtige Frage gestellt zu haben und nebenbei mal eben kurz noch an der Sportgeschichte zu feilen, sind zudem nicht jedermanns Sache. Einverstanden: Federer hat gestern eine Facette gezeigt, die wir so lange nicht mehr von ihm gesehen hatten. Aber sie zeigt, dass das Feuer mehr brennt als je zuvor. Da möge man ihm den einen oder anderen emotionalen Aussetzer auch verzeihen. Zumal die Gratulationen und der Respekt für den Sieger nach dem Matchball umgehend geäussert wurden. 

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