Nach der Kritik von Stan Wawrinka an der fehlenden Anerkennung in der Schweiz erörtert der einstige Tennisprofi Marc Rosset die Gründe für dessen Ärger.
Marc Rosset, was halten Sie von Stan Wawrinkas Vorwurf, seine Leistungen werden in der Schweiz nicht genug wertgeschätzt?
Ich teile seine Meinung in dem Sinne, dass er insgesamt ein erfolgreiches Jahr hatte. Da Stan von einer langwierigen Verletzung zurückkehrte, konnte er bei Roland Garros als gesetzter Spieler antreten und erreichte die Viertelfinals. Dieses gute Abschneiden ermöglichte ihm, wieder in der Rangliste nach oben zu klettern. Damit war ein wichtiger Schritt getan, um schnell in die Top 32 der Welt zurückzukehren. Der nächste Schritt wäre noch, dass er das Jahr unter den Top 16 beendet, um in den Setzlisten, insbesondere bei den Grand Slams, noch besser positioniert zu sein. Derzeit spielt er gutes Tennis, hat – abgesehen von diesen Fussschmerzen – keine grösseren körperlichen Probleme und ist in der Weltrangliste gut dabei. Er ist in einer idealen Position vor Beginn der nächsten Saison, wo er in den Grand Slams wieder glänzen kann. Ich stimme ihm auch zu, dass die Rückkehr von Federer und Nadal nach ihren Verletzungen Ausnahmen sind. Normalerweise dauert es länger, bis man wieder in Form kommt.
Denken Sie, die Presse geht zu hart mit ihm um?
Ich denke – auch weil ich inzwischen etwas älter bin und früher auch Spieler war – dass die Presse 2019 sympathischer ist als früher. Es ist weniger böse als zu meiner Zeit. Ich kann verstehen, warum er manche Dinge in den falschen Hals kriegt. Es ist nie angenehm, kritisiert zu werden. Das Wichtigste ist, dass er seine Karriere so gestaltet, wie er will. Auf jeden Fall ändern Journalisten ihre Meinung sehr schnell. Als ich vor den Olympischen Spielen 1992 verlor, war ich ein Depp! Nach dem Triumph war ich der Sohn von Wilhelm Tell! So schnell kann es sich innerhalb von 24 Stunden ändern. Aber es gab keine Horror-Artikel gegen ihn. Ich kann nachvollziehen, dass Stan manchmal ein wenig frustriert ist, obwohl er doch die Nummer 15 der Welt ist. Wir neigen dazu, bestimmte Dinge zu banalisieren, weil Stan und Roger aussergewöhnliche Dinge getan haben. Wir denken, dass es nichts Spezielles ist, der 15. Beste der Welt zu sein. Dabei ist es was Aussergewöhnliches.
Stan Wawrinka beklagte sich auch darüber, dass die Schweizer Presse nur das Negative zeige, insbesondere über sein Privatleben. Zum Beispiel war er nicht erfreut, wie er beim Partymachen in Monte-Carlo von den Medien dargestellt wurde ...
Solange Dinge in sozialen Netzwerken erscheinen, kann man einige Leute nicht davon abhalten, sie aufzugreifen und nach ihrem Gusto zu verwenden. Konkret ist es eine Entscheidung, die man trifft, wenn man in sozialen Netzwerken unterwegs ist. Im Jahr 2019 kann jeder kleine Satz missverstanden werden und zu Kontroversen führen. Schade in diesem Fall ist, dass es nicht Stan war, der das Video veröffentlicht hat. Es war nicht sehr klug von Marcel Desailly (Anm. d. Red.: Die französische Fussballlegende hat das Video gepostet) – vor allem weil er selbst ein Profisportler war. Aber ich persönlich interessiere mich überhaupt nicht für soziale Netzwerke.