Würdigung zum Abschied Roger Federer – ein Champion bis in alle Ewigkeit

Von Martin Abgottspon

15.9.2022

Roger Federer war sowohl auf wie auch neben dem Platz ein unvergesslicher Champion.
Roger Federer war sowohl auf wie auch neben dem Platz ein unvergesslicher Champion.
Getty Images

Roger Federer macht Schluss. Nach dem Laver Cup beendet er seine Karriere. Wir bedanken uns für mehr als 20 Jahre Spitzentennis – und noch so viel mehr.

Von Martin Abgottspon

15.9.2022

Es ist ein harter Tag für Tennisfans weltweit. Am 15. September gibt Roger Federer bekannt, dass er seine Karriere nach dem Laver Cup nicht mehr fortsetzen wird. Seit seinem letzten Ernstkampf im Viertelfinal von Wimbledon 2021 blieb zumindest die Hoffnung, dass Federer noch einmal auf die grosse Bühne zurückkehren wird. Zwar wird man ihn auch in Zukunft sicher noch das eine oder andere Mal auf dem Court sehen, definitiv nicht aber bei einem Grand-Slam-Turnier oder anderen ATP-Veranstaltungen.

Auch wenn sich das Ende irgendwie abgezeichnet hat, trifft es mich an diesem Nachmittag wie ein Schlag. Mehr als 20 Jahre habe ich Roger Federer auf seiner Reise «begleitet». Ich litt mit ihm 2008 bis spät in den Londoner Nachthimmel. Nach seiner Final-Niederlage von Wimbledon gegen Rafael Nadal in fünf Sätzen konnte ich meine Tränen schliesslich nicht mehr zurückhalten. Fast noch schlimmer war es 2013 an selber Stätte. Dieses Mal war ich beruflich live vor Ort, als der Rasenkönig in der zweiten Runde völlig überraschend an Sergiy Stachovsky scheiterte.

Umso schöner war dafür meine Reise nach Australien 2017. Entgegen aller Erwartungen holte sich Federer damals gegen Rafael Nadal seinen 18. Grand-Slam-Titel. Überraschend war dieser Final, weil die ewigen Widersacher lange Verletzungspausen hinter sich hatten. Dass es noch einmal zu einem solch epischen Endspiel kommen würde, damit haben nur die wenigsten gerechnet. Doch es kam genauso. Über fünf Sätze verlangten sich die beiden Kontrahenten alles ab und obwohl ich fast zehn Jahre als Reporter bei verschiedenen Grand-Slams vor Ort war, war dies tatsächlich der erste Grand-Slam-Sieg von Federer, den ich live miterleben durfte.

Federers 18. Grand-Slam-Titel und ich bin am Ende

Federers 18. Grand-Slam-Titel und ich bin am Ende

15.09.2022

Tennis auf einem neuen Level

Es gäbe noch Dutzende weiterer solcher Beispiele. Und ich bin mir sicher, dass über all die Jahre mit Sicherheit noch Millionen andere Fans ähnlich mit Federer mitgefiebert und gelitten haben. Auch weil der Schweizer den Sport revolutioniert und zusammen mit Rafael Nadal und Novak Djokovic praktisch sämtliche Rekordmarken gebrochen hat.

Federer begründete eine Tennis-Ära, von welcher man nur träumen kann – und er tat dies mit einer Eleganz, die ihresgleichen sucht. Wenn Federer zum Racket griff, wusste man, dass etwas Magisches passieren wird. Er tänzelte mit einer Leichtigkeit über den Platz wie eine Ballerina und erfand das mehr als hundert Jahre alte Spiel immer wieder neu. Wer erinnert sich beispielsweise schon nicht an den ersten Tweener, den Federer ins Leben gerufen hat und der mittlerweile fast schon zum Standard-Repertoir jedes Profis geworden ist. Oder an den «Sabr», Federers Return, bei welchem er jeweils fast auf die T-Linie vorrückte.

Wann immer man meinte, man habe im Tennis schon alles gesehen, setzte Federer noch einen drauf. Und wenn der 20-fache Grand-Slam-Champion nach längeren Durtstrecken oder Verletzungspausen mal wieder abgeschrieben wurde, gab er die Antwort auf dem Court. So wie es wahre Champions eben tun.

blue Sport

Ein Gentleman für jedermann

Federer war aber nicht nur auf, sondern auch neben dem Platz während seiner ganzen Karriere ein wahrhaftiger Champion. Egal ob in New York, Paris oder Peking. Wo Federer auftauchte, lagen ihm die Fans zu Füssen. Nicht bloss wegen seines Spiels, sondern wegen des Menschen, der dahinter steckt.

Federer ist ein Spitzenathlet zum Anfassen, einer, der sowohl nach Siegen als auch Niederlagen hemmungslos weint. Gleichzeitig ist er aber auch ein Mann von Welt, wortgewandt in mehreren Sprachen, der nie abgehoben ist. Der Schweizer Tenniskünstler ist demütig und selbstbewusst zugleich und auch immer für einen Spass zu haben. Wenn ich mir heute sein Promo-Video mit Rafael Nadal für das «Match for Africa» oder das legendäre Interview mit Pedro Pinto anschaue, muss ich noch immer jedes Mal lauthals loslachen.

Und doch der Grösste aller Zeiten

Wie schafft man es bloss während mehr als 20 Jahren für keine Negativschlagzeilen zu sorgen? Klar, hatte Federer auch weniger gute Tage und würde dafür kritisiert. Auch bei seinen Gesangskünsten gehen die Meinungen der Fans auseinander. Doch ansonsten präsentierte sich der «Maestro» immer von seiner besten Seite. So etwa auch als Familienvater oder als guter Freund, der bei Spielen seiner Landsgenossen regelmässig selber mitfieberte, als würde er selber auf dem Court stehen.

Die Schweiz hätte sich für die beiden Dekaden keinen besseren Botschafter wünschen können. Federer zierte unzählige Magazin-Cover und wurde von etlichen Institutionen zum Mann oder Sportler des Jahres gekürt. Er zählt bis heute zu den einflussreichsten Sportlern aller Zeiten und brachte dem ganzen Land neue Sympathien ein.

Zuletzt machte Federer vor allem Schlagzeilen, ob er nun tatsächlich noch der «Grösste Spieler aller Zeiten» sei. Sowohl Nadal wie auch Djokovic haben ihn im aussagekräftigen Grand-Slam-Ranking überholt, während Federer seit einiger Zeit bei 20-Grand-Slam-Titeln, 103 Turniersiegen und 310 Wochen an der Spitze der Weltrangliste stehen blieb. Doch es sind nicht die Zahlen allein, die den Grössten ausmachen. Und deshalb wird Federer für immer meine Nummer 1 bleiben. Als Tennisspieler, aber auch als Mensch.