Roger Federer muss sich erneut unters Messer legen und wird mehrere Monate ausfallen. Eigentlich ein Moment, um einen Schlussstrich unter die Karriere zu ziehen. Aber irgendwie eben auch nicht.
Als Roger Federer vor rund sechs Wochen den Centre Court von Wimbledon mit gesenktem Haupt verliess, fürchteten einige Fans bereits, dass dies womöglich der allerletzte Auftritt des «Maestros» war. Die Viertelfinal-Niederlage gegen Hubert Hurkacz in drei Sätzen kam einer Demütigung gleich, umso mehr, weil Federer den letzten Satz gleich mit 0:6 abgab.
Doch Federer beantwortete die Fragen nach einem Rücktritt wie schon seit Jahren in gewohnt diplomatischer Art und Weise. Er werde alles mit seinem Team besprechen und entscheiden, wie es weitergehe. Die Olympischen Spiele liess er aus, ebenso die Turniere in Übersee. Und jetzt folgt der nächste Hammer. Wegen einer weiteren Knieoperation wird Federer erneut «wochenlang an Krücken gehen», wie er selber mitteilt. Auf die Tour wird er frühestens 2022 zurückkehren.
Zu stolz, sich das Ende diktieren zu lassen
Andere Sportler würden einen solchen Rückschlag womöglich nutzen, um das Kapitel Profi-Karriere endgültig zu beenden. Es wäre ein tragisches Ende einer Bilderbuch-Karriere. Ein klassisches Drama, bei welchem niemand die Chance hatte, sich von Federer zu verabschieden. Es würde sich ein bisschen so anfühlen, als wollte er nach Wimbledon nur mal eben Zigaretten holen, um es in Udo Jürgens Worten auszudrücken.
Ein solches Ende hat Federer für sich aber definitiv nicht vorgesehen, weshalb er auch nach der dritten Operation innerhalb eines Jahres auf den Court zurückkehren wird. Der Schweizer ist ganz einfach zu stolz, zu selbstbestimmt, als dass er sich von dieser Verletzung zu einem Karriereende diktieren lassen würde. Natürlich kann man sich mental nicht immer auf Biegen und Brechen über seinen Körper stellen, doch solange Federer für sich eine Chance sieht, auch mit 40 noch Matches oder sogar Turniere zu gewinnen, wird er weitermachen. Allein schon wegen seiner Liebe und Hingabe zum Tennissport.
Marktwert hochhalten
Vielleicht steckt hinter Federers Hartnäckigkeit aber auch ein gewisses unternehmerisches Kalkül. Denn solange er seine Karriere nicht offiziell beendet, bleibt er auch für Partner und Sponsoren attraktiv. Federer hält seinen Marktwert und das Interesse an ihm hoch, ein Rücktritt hingegen würde weder ihm noch seinem Umfeld etwas bringen.
Es geht hierbei nicht um Geld, davon hat Federer schon mehr als genug verdient. Der «Maestro» will ganz einfach seine engsten Vertrauten nicht enttäuschen, das verbietet ihm seine Loyalität und seine Ehre. Er würde sich also bloss selber enttäuschen und darauf kann er auch gut verzichten.
Schluss ist, wenn Federer es sagt
Aus diesen Gründen wird Federer in einigen Wochen zum wiederholten Mal an seinem Comeback feilen. Ob er bis zu den Australian Open schon fit genug sein wird, muss sich zeigen. Auf jeden Fall wird er nichts überstürzen und erst dann den Ernstkampf suchen, wenn er physisch dazu bereit ist.
Ob er tatsächlich noch das Zeug dazu hat, Grand-Slam-Siege einzufahren und weitere Rekorde purzeln zu lassen, ist fraglich. Doch Federer hat seine Kritiker schon oft genug verstummen lassen, als diese ihn längst abgeschrieben haben. Auch mit 40 Jahren erfindet sich Federer noch immer wieder neu. Sollte dies trotzdem nicht mehr für weitere Titel reichen, dann ist es so. Doch dann hat Federer wenigstens die Möglichkeit, aus eigenem Antrieb einen Schlussstrich zu ziehen und sich gebührend aus dem Tenniszirkus zu verabschieden. Das haben nicht nur seine Fans, sondern der ganze Sport nach all diesen Jahren mehr als verdient.