Interview BASPO-Direktor Remund: «Der Staat sollte sich nicht zu stark einmischen»

SDA

6.11.2019 - 05:07

Matthias Remund, Direktor im Bundesamt für Sport (BASPO), sagt: «Geld ist im Spitzensport nicht die einzige Stellschraube zum Erfolg.»
Matthias Remund, Direktor im Bundesamt für Sport (BASPO), sagt: «Geld ist im Spitzensport nicht die einzige Stellschraube zum Erfolg.»
Source: Keystone

Das Bundesamt für Sport (BASPO) feiert am Mittwoch sein 75-Jahr-Jubiläum. Der Direktor Matthias Remund nimmt im Interview Stellung zur Förderung des Leistungssports in der Schweiz.

Matthias Remund, Sie sind ein begeisterter Langläufer. 2017 büssten Sie beim Wasalauf über 90 km auf den Sieger nur eine halbe Stunde ein. Lässt sich daraus der Schluss ziehen, dass Ihnen in der Sportförderung die perfekte Unterstützung eines Leistungssportlers näher liegt als das pädagogisch korrekt umgesetzte Babyschwimmen?

«Überhaupt nicht. In der Schweiz gibt es in der Sportförderung nicht ein Entweder-oder, sondern ein Nebeneinander. Das zeichnet auch Magglingen aus. Hier sitzen der Olympia-Sieger und der J+S-Experte beim Essen gemeinsam am Tisch. Wir fördern subsidiär die Initiative der Privaten auf allen Stufen.»

Wer investiert, dem wird geholfen?

«Ja.»

Der Fokus dieses Gesprächs ist auf den Leistungssport gerichtet. Sie legen – dies wird allseits bestätigt – eine hohe Bereitschaft an den Tag, das smarte Schweizer Modell Spitzensport zu optimieren. Seit Ihrem Amtsantritt ist die Leistungssport-Förderung ein grosses Stück vorangekommen. Ein wichtiger Schritt auf diesem Weg war die Verabschiedung des neuen Sportförderungsgesetzes 2012. Weshalb?

«Das Gesetz gab uns die Legitimation: Der Support des Spitzensportes ist seit der Annahme des Sportförderungsgesetzes eine offizielle Aufgabe des Bundes. Mit den nationalen Leistungszentren in Magglingen und Tenero, der Aus- und Weiterbildung, wissenschaftlicher und medizinischer Unterstützung an unserer Hochschule oder mit Subventionen für die Sportverbände und ihren Nachwuchsbereich.»

Und die Armee ist als neue Wucht hinzugekommen. Ihr Angebot ist mehr als ein Tropfen auf den heissen Stein, oder?

«Das Angebot der Armee ist die Antwort auf die Realität im nahen Ausland, wo Zeitmilitär auf Staatskosten Sport treiben. Mit Spitzensport-RS, den WK's und dem freiwilligen Dienst kann heute jeder von den Verbänden als förderungswürdig eingestufte Schweizer Athlet oder Trainer Dienstpflicht und Sport ideal kombinieren.»

Das BASPO betreibt als Aushängeschilder die Trainingszentren in Magglingen und Tenero. Das Angebot für Spitzensportler lässt sich an diesen Standorten auch im internationalen Vergleich sehen. Können Sie dies bestätigen?

«Wir sind effizient, haben ein hohes Knowhow und sind nahe bei der Praxis. Wir verstehen die Trainer und die Athleten. Wir forschen nicht im Elfenbeinturm, sondern helfen den Verbänden und teilen unser Wissen. Dabei hilft die Magglinger Dachlösung: Die gesamte Sportförderung des Bundes ist hier, ebenso die Armee: Wir spielen einander in die Hand und haben wenig Knowhow-Verlust.»

Sind Sie persönlich mit dem Aufwand zufrieden, den das BASPO für den Spitzensport leisten kann. Oder möchten Sie mehr Mittel zur Verfügung haben?

«Wichtig ist, dass wir die Mittel effizient einsetzen. Der Staat sollte sich nicht zu stark einmischen. Der Spitzensport ist in der Schweiz privat organisiert. Die öffentliche Hand, die ja auch ein Interesse an Erfolgen hat, soll wirksam unterstützen. Wie viel Geld das sein soll, entscheidet die Politik.»

Wo stehen wir im europäischen Vergleich betreffend Spitzensportförderung durch den Staat?

«Dieser Vergleich lässt sich nur bedingt ziehen. In der Schweiz tragen ja die Gemeinden die Hauptlast mit dem Bau, Betrieb und Unterhalt von Sportanlagen. Aus diesem Engagement erwachsen auch spätere Spitzenathleten. Was rechnet man nun dem Spitzensport zu und was nicht?»

Nehmen wir als Vergleich Norwegen. Ein Land mit fünf Millionen Einwohnern war die Nummer-1-Nation im Medaillenspiegel bei den Olympischen Spielen in Pyeongchang 2018. Die Diskussion mit Trainern, TV-Experten und Journalisten lässt sich salopp so zusammenfassen: 'Das norwegische Magglingen konzentriert sich einzig auf den Spitzensport und setzt auf Disziplinen mit Medaillenchancen.' Was sagen Sie zu einer solchen Einschätzung?

«Man muss es differenzierter sehen: Norwegen hat eine tägliche Sportstunde der Kinder, und wir in der Schweiz diskutieren über ein 3-Stunden-Obligatorium in Turnunterricht. Die wöchentliche Arbeitszeit ist in Norwegen tiefer, was es Privaten mehr erlaubt, sich in Klubs zu engagieren. In der Tendenz kommen die Nachwuchskräfte in Norwegen auf einem höheren Level in den Leistungssport, auch weil sie einfacheren Zugang zu Sportanlagen haben: Sie trainieren bereits, während wir bei uns noch Details diskutieren. Wir haben zu wenig Fussballplätze, Wasser, Eis, Loipen oder präparierte Pisten, auf denen ohne Einschränkung Sport getrieben wird.»

Was sagen die Norweger? Sie kennen ja ihre Kultur gut.

«Ein norwegischer Trainer hat mir gesagt: 'Ihr Schweizer seid eine Vollkasko-Gesellschaft. Ihr wollt überall abgesichert sein.' Mit dieser Haltung geht man Kompromisse ein. Das erlaubt der Spitzensport aber nicht. Mit Kompromissen lässt sich nicht gewinnen, ausser man ist ein Top-Talent mit grossem Vorsprung auf die Konkurrenz.»

Also eine Frage der Einstellung, der Risikobereitschaft?

«Unsere Gesellschaft verlangt eine Berufsausbildung. Zwar gibt es in der Schweiz zunehmend Fördermodelle, damit sich ein Sportler trotz Ausbildungsbelastung bis in die Spitze entwickeln kann. Aber dieser Weg erfordert auch Verzicht oder den Umzug ins Leistungszentrum. Das liegt nicht jedem.»

Was sagen Sie zu Norwegens Fokus auf medaillenträchtige Sportarten?

«Magglingen als Medaillenfabrik: Stellen Sie sich diesen Aufschrei vor! Gleichwohl stehen wir in den Medaillenspiegeln nicht schlecht da. Wo ist Norwegen im Kunstturnen, Fussball, Tennis oder Eishockey? Wir gelten in der internationalen Optik als sportives Land. An den Kongressen werde ich oft gefragt: 'Wie macht ihr das?' Unser Sportfördersystem wird in seinem gesamtheitlichen Ansatz – Förderung von Spitzen- wie Breitensport – oft bewundert. Der Sport hat in der Schweiz übrigens ein recht hohes Ansehen. Auch das Parlament ist sportfreundlich. Die Politik kennt die Kraft des Sports.»

Der Spitzensport ist primär privat bei den Verbänden organisiert und steht unter dem Dach von Swiss Olympic. Wäre die Schweizer Bevölkerung überhaupt bereit, den Spitzensport wie in anderen Ländern explizit als Staatsaufgabe zwecks Imageförderung anzuerkennen?

«Das glaube ich nicht. In der Schweiz steuert der Staat den Sport nicht, er unterstützt ihn. Das ist der politische Konsens. Und wir feiern auch so Erfolge. Die Schweiz hat übrigens den America's Cup gewonnen und nicht Norwegen, das am Meer liegt.»

Und der Schweizer Nörgeler sagt, dank des Geldes von Bertarelli.

«Aber er hat es gemacht! Und gezeigt, was mit Willen, Teamgeist und technischem Knowhow möglich ist. Er hat damit viel angestossen an Hochschulen und im Sport.»

Sie sitzen von Amtes wegen auch bei Swiss Olympic im Exekutivrat. Von Seiten der Privaten hört man oft: «Wir brauchen mehr Geld, um wettbewerbsfähig zu bleiben». Ist Leistungssport teurer geworden?

«Geld kann etwas ausmachen, man denke etwa an die erwähnte, präparierte Skipiste, die jederzeit zum Training zur Verfügung steht. Geld ist aber nicht die einzige Stellschraube zum Erfolg. Viel Geld nützt nichts, wenn zu viele Fehler gemacht werden. Was wir aber wissen: Ein Drittel der Spitzensportler arbeitet, ein Drittel ist Profi und ein Drittel Studenten oder Schüler. Der Median des Einkommens im Schweizer Spitzensport ist deutlich unter Existenzminimum. Es ist die Aufgabe von Swiss Olympic und der Sporthilfe, dafür zu sorgen, dass es denen etwas besser geht. Es gibt sogar Top-Athleten wie die Kunstturner, die auch in der Weltspitze wenig bis nichts verdienen.»

Spitzensportler klagen selten. Trotz in der Regel geringem Salär, trotz Überschneidung mit der Ausbildung, trotz hartem Training gehen sie ihrer Leidenschaft nach und versuchen, es so weit wie möglich zu bringen. In den Gesprächen mit Sportlern spürt man aber oft etwas Frust über die mangelnde Akzeptanz. Wer nicht zu den Weltbesten gehört, wird schnell belächelt. Nehmen Sie das auch so wahr?

«Die Medien richten schon sehr hart. Wenn man sieht, welche Entbehrungen dahinterstecken und es dann heisst: 'Du genügst nicht'. Es zählt nur Erfolg oder Misserfolg. Grundsätzlich gilt: Die Sportler sind intrinsisch motiviert, besser zu werden. Und sie sind für unsere Hilfe dankbar. Wenn aber einer die Motivation zum Besserwerden verliert, ist das der Anfang vom Ende. Spitzensportler profitieren auch fürs Leben. Man lernt, die Einsatzbereitschaft zu erhalten, schärft den Fokus. Die Erfahrung, wie auf ein Ziel hingearbeitet wird, ist unbezahlbar. Der Sport gibt einem auch viel Emotionen und weitere Erfahrungen, etwa mit den Reisen zu Wettkämpfen.»

Magglingen machts möglich.

«Wir unterstützen den Spitzensport, ja. Aber nicht nach dem Grundsatz 'Erfolg zu jedem Preis': Doping, Wettabsprachen, Korruption und dergleichen verzeiht man dem Sport nicht. Die Erwartungen sind sehr hoch. Wenn der Sport seine Sonderrolle beibehalten will, muss er diesen Erwartungen gerecht werden. Das verlangt die Politik, die Gesellschaft, das BASPO – und der Sport verlangt dies von sich selber auch.»

Leistungssport-Förderung in der Schweiz

Der Geldfluss zur Förderung der Schweizer Spitzensportler ist eine komplexe Angelegenheit. Das Modell Staatssport existiert in der Schweiz nicht. Es ist vielmehr eine Zusammenarbeit zwischen öffentlicher Hand (BASPO, Kantone und Gemeinden, Armee, den Lotterie-Gesellschaften) und Privaten (Vereine, Fachverbände oder Swiss Olympic). Auch auf die Wirtschaft kann der Sport zählen, allerdings primär in den grossen Publikumssportarten wie Fussball, Eishockey oder Ski alpin plus für Champions der obersten Kategorie, angefangen bei Roger Federer.

Das BASPO unterstützt den Spitzensport mit Dienstleistungen in den beiden nationalen Leistungszentren in Magglingen und Tenero (Trainingsanlagen, Leistungsdiagnostik usw.), mit Aus- und Weiterbildung, Subventionen etwa für die Sportverbände und ihre Nachwuchsförderung sowie für den Bau von Sportanlagen von nationaler Bedeutung (NASAK-Programm). Das BASPO investiert bei einem Gesamtetat von 280 Millionen Franken jährlich rund 56 Millionen in den Leistungssport.

SDA

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