Nach seiner vorzeitigen Rückkehr aus Südafrika spricht Nino Schurter über die aktuelle Ausnahmesituation. Der Mountainbike-Olympiasieger hält sich alleine fit und räumt Motivations-Probleme ein.
Nino Schurter, Sie sind nach der Absage des Cape Epic am Mittwoch aus Südafrika in die Schweiz heimgekehrt. Wie haben Sie die Situation in der Gegend um Stellenbosch erlebt?
Die Welle traf in Südafrika mit Verzögerung ein. Eine gewisse Skepsis, ob das Cape Epic stattfindet, war vor dem Abflug nach Südafrika da. Aber als wir am 9. März abreisten, gab es im Land erst einen bestätigten Fall. Wir hatten die Hoffnung, dass das Coronavirus Südafrika nicht richtig erreicht. Die Tage, in denen wir da waren, fühlten sich dann auch recht normal an. Die Realität ist nun aber, dass in Südafrika das Gleiche passiert wie hier in Europa, einfach um zwei Wochen verzögert. Zuletzt wurden Schulen geschlossen und Events wie das Cape Epic abgesagt. Ich denke, das öffentliche Leben wird in den nächsten Tagen auch dort weitgehend zum Erliegen kommen.
Sie bereiten sich seit längerem jeweils im Frühjahr einen bis zwei Monate in Südafrika auf die Saisons vor, bezeichnen das Land als zweite Heimat und haben viele Freunde dort. Wie gehen die Leute mit dem Thema um?
Es ist speziell. Eine gute Freundin, die als Ärztin im Spital in Stellenbosch arbeitet, ist ziemlich genervt vom Thema. In ihrem Spital sterben täglich mehrere Kinder an Tuberkulose und HIV. In Kombination mit dem Coronavirus spitzt sich die ohnehin schon schwierige Situation weiter zu. Den Leuten ausserhalb geht es allen einigermassen gleich: Niemand weiss genau, was auf einen zukommt. Alle brauchen Zeit, um zu realisieren, was eigentlich abgeht. So war es ja in Europa auch. Ich kann mir vorstellen, dass es in Ländern mit vielen sehr armen Leuten wie Südafrika noch schwieriger zu vermitteln ist, wie kritisch die Situation ist. Dabei müssen die Länder in Afrika noch schneller reagieren. Ihre Möglichkeiten, um die Ausbreitung zu stoppen, sind beschränkter als bei uns. Auch Social Distancing könnte sich in Afrika schwieriger gestalten, weil es in den ärmeren Gebieten üblich ist, dass 10 oder 15 Personen in einem Raum wohnen.
Wegen den Reise-Beschränkungen war Ihre Heimkehr nicht unkompliziert.
Lars Forster und ich bekamen zwei Plätze in einem der letzten Flüge am Mittwoch. Wir mussten neue Tickets kaufen, Umbuchen war nicht möglich. Die anderen Schweizer buchten Tickets für einen Flug am Freitag, vier Stunden später wurde dieser gestrichen. Sie hoffen nun auf einen Flug in der Nacht vom Samstag auf den Sonntag. Nicht zu wissen, ob man in der aktuellen Situation noch nach Hause zu seiner Familie kommt oder am anderen Ende der Welt festsitzt, macht natürlich nervös – vor allem in einem Land, in dem das Gesundheitssystem nicht das Beste ist. Ich bin froh, sind wir wieder zu Hause und sind in meinem Umfeld alle gesund. Ich habe mich in eine Art Selbst-Quarantäne gesetzt für die nächsten fünf Tage und bin zurzeit alleine zu Hause, weil ich mich durch das Reisen, die Aufenthalte an Flughäfen und in Fliegern, einem Risiko ausgesetzt habe.
Bei den Mountainbikern hängt vieles in der Schwebe. Die WM in Albstadt von Ende Juni ist noch nicht abgesagt, auch der Weltcup-Auftakt Mitte, Ende Mai in Nove Mesto, die weiteren Weltcup-Stationen und die Olympischen Spiele in Tokio stehen noch im Kalender. Das heisst, ihr müsst euch fit halten beziehungsweise weiter am Formaufbau arbeiten. Fällt es schwer, sich in der aktuellen Situation auf den Sport und das Training zu konzentrieren?
Momentan fällt es mir schwer, fokussiert zu bleiben, ja. Alles ist extrem ungewiss. Ich habe in meiner ganzen Karriere noch nie erlebt, dass ich nicht weiss, wann mein nächstes Rennen sein wird. Normalerweise hast du Fixpunkte und weisst entsprechend, wie der Fahrplan aussieht. Jetzt ist es für alle Sportler eine Challenge. Du stehst vor der Frage, auf welches Datum du den Formaufbau abstimmen sollst. Ob du das Training voll durchziehen oder eine Pause einlegen sollst. Das ist auch für die Motivation schwierig. Der Sport rückt durch das Coronavirus in den Hintergrund.
Hätten Sie gerne baldige Gewissheit?
Klar. Im Moment muss ich mit jedem Szenario rechnen. Entsprechend gehe ich davon aus, dass wir dieses Jahr Rennen fahren und die Olympischen Spiele stattfinden. Ich bin aber auch realistisch und weiss, dass es vielleicht anders kommt. Trotzdem muss ich für den Fall der Fälle fit bleiben. Wenn gefahren wird, will ich auch mein Bestes zeigen können.
Welche Meinung vertreten Sie, welches Vorgehen erhoffen Sie sich vom Verband und den Olympia-Organisatoren?
Die Meinungen der Fahrer oder Veranstalter dürfen in der jetzigen Situation nicht ausschlaggebend sein. Ihnen fehlt es an der nötigen Objektivität und dem medizinischen Wissen. Das Wichtigste ist für den Moment, dass wir die Zahl der Ansteckungen in den Griff bekommen. Damit das gelingt, muss auch jeder Sportler konsequent sein und die Empfehlungen und Vorschriften der Gesundheitsbehörden befolgen. Nur so kommen wir aus der aktuellen Situation auch wieder raus.
Wie sieht das Training aktuell aus?
Ich habe zu Hause Fitnessgeräte und absolviere meine Kraft-Einheiten, wenn auch etwas weniger intensiv als normalerweise zu diesem Zeitpunkt. Dazu gehe ich alleine mit dem Velo raus, ohne Kontakt zu anderen Menschen – auch, um mich keinem Risiko auszusetzen, selbst angesteckt zu werden. Weil sich die Rennen verschieben könnten, du aber jederzeit bereit sein willst, besteht die Gefahr, dass du ausgebrannt bist, falls es sich hinzieht. Ich werde deshalb jetzt eine Ruhewoche einlegen. Nach der Pause habe ich zwei volle Trainingsblöcke geplant, und Ende Mai hoffe ich auf den Weltcup-Start in Nove Mesto. Im Moment trainiere ich auch, um einen normalen Ablauf zu haben und dem Ganzen zu entfliehen.
Welche Auswirkungen befürchten Sie für den Mountainbike-Sport, sollte es zu einem längeren Renn-Unterbruch kommen?
Das Abschätzen der Langzeit-Auswirkungen fällt im Moment allen schwer. Klar ist, dass viele Firmen unter den wirtschaftlichen Folgen leiden werden und das Konsequenzen haben wird für Sportler, die auf das Sponsoring angewiesen sind. Es ist zu hoffen, dass weiterhin Firmen hinter dem Sport und den Athleten stehen werden.