Spielekritik Dem Himmel so nah – unser Eindruck vom «Flight Simulator» 

Von Pascal Wengi

20.8.2020

Was im «Flight Simulator» an Landschaften und Szenerien geboten wird, lässt alles Bisherige um Lichtjahre hinter sich.
Was im «Flight Simulator» an Landschaften und Szenerien geboten wird, lässt alles Bisherige um Lichtjahre hinter sich.
Bild: Xbox Games Studio

So geht Next-Gen! Microsoft zeigt mit dem «Microsoft Flight Simulator» eindrücklich, wie weit wir in Videospielen gekommen sind und was dank Technologien wie künstlicher Intelligenz oder Streaming möglich ist.

Die Presse ist sich einig: Der neuste Teil der «Flight Simulator»-Reihe von Microsoft ist ein Meisterwerk. Auf Metacritic erhält die Aviatik-Simulation eine durchschnittliche Wertung von 93 Prozent, was zum jetzigen Zeitpunkt Platz eins als bestes PC-Spiel des Jahres 2020 bedeutet. Plattformübergreifend reicht es für Platz zwei, direkt hinter «The Last of Us Part 2». In einem Gamejahr mit Releases von heiss erwarteten AAA-Titeln und dem Aufstieg von neuen Gamegiganten ist dies ein bemerkenswertes Abschneiden für ein Spiel eines Genres, welches sonst eher ein Nischendasein frönt.

Der Trailer zu «Microsoft Flight Simulator».

Video: Youtube

Diese Traumwertungen kommen nicht von ungefähr und sind verdient, denn was Microsoft hier abliefert, ist selbst nach heutigem Standard faszinierend und atemberaubend. Und das nicht nur für Fans von Flugsimulationen. Um auch Hobbypiloten zu bedienen, hätten schon bessere Flugzeugmodelle und das eine oder andere zusätzliche Realismus-Feature gegenüber dem Vorgänger ausgereicht. Dennoch geht Microsoft einen Schritt weiter und bedient sich verschiedener, moderner Technologien, um das Flugerlebnis noch ausserordentlicher zu gestalten. Aus der Simulation als Spiel wird ein wahres Erlebnis, das seinesgleichen sucht.

Virtueller Rundflug in der echten Welt

Das wohl beeindruckendste Feature ist die detaillierte Welt, in der man sein Fluggerät steuert. Wer sich fragt, wie gross die Spielwelt ist: Sie ist so gross wie unser Planet. Rund um den Äquator und vom Süd- bis zum Nordpol ist jeder Quadratzentimeter Land- und Wassermasse im Spiel abgebildet. Ein virtueller Flug von Zürich nach San Francisco dauert im Spiel rund elf Stunden, genau wie in der Realität.



Und damit nicht genug: Sämtliche Städte, Dörfer, Strassen und viele bekannte Sehenswürdigkeiten sind unverkennbar vorhanden. Vorbei sind die Zeiten, als man virtuell über die Schweiz flog und sich anhand der Karte sagte: «Ah das könnte wohl Bern sein … oder Luzern.» Ortschaften sehen dank der Verwendung von Satelliten- und Luftbildern umwerfend und realitätsnah aus. Wer sich geografisch nur schon ein bisschen auskennt, wird viele Orte sofort wiedererkennen.

Doch wer glaubt, Microsoft hätte einfach Luftbilder auf eine Kugel geklebt und diese als Welt verkauft, der irrt. Dank einer künstlichen Intelligenz wurden aus den Luftbildern 3D-Modelle von Städten, samt ihrer Gebäude. Wer über sein eigenes 500-Seelen-Dorf fliegt, sieht dort Gebäude, welche genau so dort stehen, wie sie auf der Karte vermerkt sind. So etwas gab es in einem Videospiel noch nie. Zwar variiert die Qualität und Genauigkeit je nach Ort. New York zum Beispiel ist um einiges detaillierter modelliert als Thun oder Olten. Aber selbst in weniger detaillierten Städten ist schnell klar, was man gerade überfliegt. Grössere und bekanntere Orte, welche grösstenteils von Hand modelliert wurden, bieten dann aber eine gewaltige Kulisse. Beim Flug über eine der grösseren Metropolen dieser Welt kommt man aus dem Staunen nicht mehr raus.

Grosse Metropolen wie San Francisco bieten eine atemberaubende und detaillierte Kulisse für den Überflug. 
Grosse Metropolen wie San Francisco bieten eine atemberaubende und detaillierte Kulisse für den Überflug. 
Bild: Xbox Games Studio

Wer dieses Feature nutzen will, benötigt eine gute Internetverbindung, denn die Daten für die Karten und 3D-Modelle werden allesamt gestreamt. All die geografischen Daten, Karten und Modelle umfassen zirka zwei Petabyte, was zwei Millionen Gigabyte oder zwei Milliarden Megabyte entspricht. Selbst mit dem schnellsten verfügbaren Internet von zehn Gbit/s würde es über 20 Tage dauern, alles auf seinen Rechner zu laden. Oder 47'000 Stunden (rund fünf Jahre) mit einer 100-Mbit/s-Leitung. Ganz zu schweigen davon, dass die meisten Spieler wohl kaum Speichereinheiten im Petabyte-Bereich ihr Eigen nennen.



Wetter aus der Schweiz

Auch beim Wetter will Microsoft den virtuellen Piloten so einiges bieten. Neben der Möglichkeit, das Wetter während des Flugs individuell anzupassen, wartet der «Flight Simulator» mit einer anderen technischen Spielerei auf. Per Option lassen sich reale Wetterdaten in das Spiel holen. Wer also über seinen Wohnort fliegt, der erlebt dies auf Wunsch zu denselben Bedingungen, die gerade vor Ort herrschen. Die Daten stammen vom Schweizer Unternehmen Meteoblue und werden in Echtzeit ins Spiel geladen. Wer also kurz prüfen möchte, wie das Wetter in Ascona ist, steigt kurz in seinen Jet und düst über den Gotthard.

Doch nicht nur das Wetter wird auf Wunsch live ins Spiel projiziert, auch der Flugverkehr wird aus Live-Daten umgesetzt. Zwar gibt es aufgrund von Rechenbeschränkung eine Limite von 50 Flugzeugen im Umkreis von 200 Kilometern, dennoch ist es ein geniales Feature, welches noch mehr Realismus verspricht. Wer will, kann sich zudem auch andere Spieler anzeigen lassen oder gegen einen Freund ein Wettrennen um die Welt veranstalten.

Grafik vom Feinsten

Vom Cockpit bis zur Aussenansicht sehen die Flugzeuge einfach nur grandios aus. Detaillierte 3D-Modelle und 4K-Texturen geben einem das Gefühl, wirklich am Steuer eines Flugzeugs zu sitzen. In Flughöhe weiss auch die Landschaft, durchaus zu beeindrucken, und zeigt eindrücklich, wie Next-Gen auszusehen hat. Wer aber seine Maschine irgendwo auf der Bahnhofstrasse in Zürich landet, wird schnell merken, dass die Welt von oben besser aussieht als am Boden. Dies ist aber kein wirklicher Kritikpunkt, zumal das Ziel des Spiels das Fliegen und nicht das Fahren auf dem Boden ist. In Sachen Performance verlangt das Spiel dem PC einiges ab, läuft aber auf aktuellen Systemen bis auf kurze Ruckler, vor allem beim Laden von detaillierten Flughäfen, sehr geschmeidig und flüssig. Wessen Gaming-PC etwas in die Jahre gekommen ist, sollte aber prüfen, ob sein System die Mindestanforderungen erfüllt. 

Dank der überragenden Präsentation fehlt nicht mehr viel, bis das Gesehene nicht mehr von einem Foto unterschieden werden kann. 
Dank der überragenden Präsentation fehlt nicht mehr viel, bis das Gesehene nicht mehr von einem Foto unterschieden werden kann. 
Bild: Xbox Games Studio

Für Hobbybruchpiloten und Profipiloten

Damit wirklich jeder in den Genuss vom Fliegen kommt, kann der Schwierigkeitsgrad individuell angepasst werden. Wer noch nie eine Flugsimulation gespielt hat, kann dank zuschaltbarer Unterstützung problemlos direkt ein paar Sightseeing-Flüge unternehmen. Doch auch wer es fordernder mag oder die volle Simulationserfahrung will, kommt auf seine Kosten.

Hat man Lust, das Fliegen zu lernen, beinhaltet das Spiel auch ein sehr gutes Tutorial, welches den Hobbypiloten langsam ans Fliegen heranführt. Darüber hinaus rufen stetig ändernde Herausforderungen zum Wettstreit mit anderen Spielern um die höchste Punktzahl auf. Eine Art Kampagne oder Story gibt es nicht. Diese geniesst man in seiner eigenen Fantasie.

In puncto Umfang bietet das Spiel zum Start rund 30 Flugzeuge und 40 handmodellierte Flugplätze. Weitere sollen später noch folgen und dazugekauft werden können.



Ungerechtfertigte Kritik

Wer sich das Spiel im Microsoft Store oder auf Steam ansieht, wird schnell bemerken, dass die User-Wertungen komplett in eine andere Richtung gehen, als diejenige der Presse. Doch davon sollte man sich nicht abschrecken lassen. Wer die unzähligen negativen Bewertungen aufmerksam liest, erkennt schnell, dass sie in neun von zehn Fällen von Usern stammen, welche die Installation nicht auf die Reihe kriegen. Bei einem Spiel, welches ein sehr breites Spektrum an Gamern oder eben weniger geübten Gamern anspricht, ist es auch nicht verwunderlich, dass der ein oder andere schon an der Installation scheitert und seinen Frust dann in Form einer schlechten Bewertung zum Ausdruck bringt. Aber keine Sorge, wer schon andere Spiele aus Onlinestores heruntergeladen hat und etwas bewandert im Umgang mit dem Internet ist, der wird keine Probleme haben, das Spiel zu installieren. 

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