Spielekritik«Ghost of Tsushima: Ein letztes Feuerwerk für die Playstation 4?
Von Pascal Wengi
14.7.2020
Für viele ist es das heiss ersehnteste Spiel dieses Sommers und gleichzeitig das Ende einer Ära: «Ghost of Tsushima». Der letzte Exklusivtitel für die PS4 zündet das grosse Schlussbouquet. Und bei diesem kann jeder Nationalfeiertag einpacken.
Eine von blutrotem Laub übersäte Lichtung. Ein Windstoss wirbelt die Blätter auf und lässt diese wie Ballerinas durch die Luft tanzen. Das von dunkeln Wolken verhangene Mondlicht spiegelt sich leicht im klatschnassen Boden und erhellt die Umgebung. Zwei Samurais stehen sich gegenüber. Stumm und regungslos.
Ein Blitz schlägt krachend in unmittelbarer Nähe ein und erhellt die Szene für einen kurzen Augenblick in grellem Licht. Der Regen prasselt auf die beiden Kämpfer und überzieht ihre Rüstungen mit einem schimmernden Glanz. Ein Samurai zieht behutsam sein Katana aus der Scheide und nimmt seine Haltung ein. Seine blank polierte Klinge blitzt bedrohlich im Mondlicht auf. Der Gegner erwidert die Geste und zieht seine Klinge ebenfalls andächtig hervor.
Die beiden treten mit langsamen Schritten aufeinander zu. Dann geht es blitzschnell. Klingen treffen sich in wuchtigen Schwüngen und durchbrechen das raue Heulen des Windes mit einem metallenen Klirren. Die beiden geübten Schwertmeister parieren die Angriffe des Gegenübers und vertiefen sich in einem tödlichen Tanz der Klingen.
Plötzlich verliert ein Krieger seine Deckung und taumelt. Sein Gegner nutzt die Gelegenheit und schnellt ruckartig mit ausgestrecktem Katana nach vorne. Der taumelnde Krieger bricht ächzend zusammen. Der siegreiche Samurai steht regungslos daneben und entfernt das Blut seiner Klinge. Ein letzter Blitz erhellt den Himmel und verkündet das Ende des Kampfes. Ruhe kehrt ein und unser siegreicher Samurai schlendert im Regen davon.
Wer sich bei diesen Zeilen an alte Samurai-Filme erinnert fühlt, der liegt goldrichtig. Denn genau diese Atmosphäre des epischen Schwertkampfes zwischen Schwertmeistern wollte Sucker Punch in «Ghost of Tsushima» umsetzen. «Matsch, Blut und Stahl» so beschreiben die Entwickler das Kampfsystem im Action-Adventure und das Spiel liefert genau das ab. Keine Magie, keine mythischen Monster oder zu viel Fantasie. Einfach nur schlichte Katana-Action im altertümlichen Japan.
Ein Samurai auf ehrlosen Pfaden
Wir begleiten im Spiel den jungen Samurai Jin auf seiner Reise über die titelgebende Insel Tsushima, welche von Mongolen überrannt wurde und nun zurückerobert werden soll. Die Expedition ist aber nicht nur geografischer, sondern auch spiritueller Natur. Denn als Samurai lebt Jin nach einem strengen Kodex und kennt nur den ehrenvollen Kampf von Angesicht zu Angesicht.
Doch die Mongolen machen bei ihrer Ankunft schnell klar, dass sie wenig für die Moralvorstellungen der Samurai übrig haben. Vielmehr überrennen sie die Verteidiger förmlich und durchziehen das Land mit Mord und Grausamkeit. Jin wird bald klar, dass er keine Chance gegen diese Übermacht hat, wenn er bedingungslos an seinem Kodex festhalten will. Er kann den Feind nur besiegen, wenn er zu mehr als einem Samurai wird. Er muss zu einer gefürchteten Legende werden: dem Geist von Tsushima.
Katana-Action vom Feinsten
Die spannende Story wird exzellent im Gameplay umgesetzt. Denn die Verwandlung vom Samurai zum Geist von Tsushima erleben wir als Spieler Schritt für Schritt und hautnah mit. Zu Beginn des Spiels haben wir nur Kenntnisse über den Weg der Samurai und treten unseren Gegnern im Kampf von Angesicht zu Angesicht gegenüber. Erst im Verlauf der Story erhalten wir neue Fähigkeiten, welche uns das Zuschlagen aus dem Hinterhalt und Schatten ermöglicht und wir so ungesehen ganze Lager von Mongolen befreien.
Das Spiel geht hier einen sehr interessanten und vor allem glaubhaften Weg der Charakterentwicklung. Statt Erfahrungspunkte zu sammeln und Level für Level aufzusteigen, lassen unsere Taten unseren Ruf als Legende steigen. Sind wir zu Beginn noch ein namenloser Samurai, der von Gegnern belächelt wird, kriegen sie es mit der Zeit mehr und mehr mit der Angst zu tun, wenn wir uns ihnen als legendärer Held entgegenstellen.
Technisch laufen die Kämpfe sehr simpel, aber durchaus spannend und actionreich ab. Das Spiel verzichtet wohl bewusst auf riesige Lebensbalken, die minutenlanges Eindreschen auf die Gegner verlangen. Die Schärfe und Wucht des Katanas sind mit jedem Schlag spürbar und kaum ein Gegner übersteht mehrere Hiebe mit dem scharfen Ende unserer Klinge. Sucker Punch schafft hier einen extrem gelungen Spagat zwischen Anforderung und Spielspass. Jede Begegnung mit dem Feind ist sowohl spielerisch wie auch optisch ein Genuss.
Japan so imposant wie selten zuvor
Das liegt nicht zuletzt auch an der überragenden Präsentation. Jede Ecke der riesigen Karte sieht aus wie aus einem Samurai-Film oder Gemälde. Vor allem die Vegetation übertrifft alles, was man aus bisherigen Spielen kennt. Jeder einzelne Grashalm ist perfekt modelliert und reagiert sogar auf Windstösse. Jeder Baum, jede Blume und jeder Busch sieht aus, als würde er exakt dort hingehören, wodurch einmalige malerische Landschaften entstehen.
Der Fotomodus ist hier nicht bloss ein nettes Gimmick, denn an fast jedem Ort entdeckt man Kulissen, welche unbedingt festgehalten werden müssen. Das sich ändernde Wetter gibt der ohnehin schon lebendigen Welt noch mehr Dynamik und Tiefe und so wird innert kürzester Zeit aus der saftigen Wiese im grellen Sonnenlicht eine wolkenverhangene Kulisse mit Sturm und Gewitter. «Ghost of Tsushima» mag zwar keine fotorealistischen Texturen bieten, aber was an Landschaften, Bildsprache, Belichtung und Atmosphäre geschaffen wird, ist schlicht das Beste, was ich je in einem Videospiel gesehen habe.
Kaum Platz für Kritik
Ich würde gerne ein paar Kritikpunkte aufzählen, aber mir fällt nichts ein. Alles, was ich beim Durchspielen der rund 40-stündigen Story bemängeln könnte, wäre ein Soundbug, bei welchem Hintergrundgeräusche ausgeblendet wurden. Das war alles. Ich nutze die Zeilen deshalb lieber, um noch ein paar positive Aspekte hervorzuheben. Zum einen wäre das die Navigation in der Spielwelt. Statt dem Spieler Pfeile oder Minikarten anzuzeigen, wird dieser durch den Wind oder Tiere an sein Ziel gebracht. Wer beispielsweise aufmerksam den Wegrand beobachtet, kann einem Fuchs oder Vogel folgen, die den Spieler an interessante Orte führen. Das funktioniert nicht nur hervorragend, das passt auch wunderbar ins Setting und verleiht dem Spiel noch dieses gewisse Etwas, was es schliesslich zu einem vollkommenen letzten Meisterstück für diese Konsolengeneration macht.
«The Elder Scrolls V: Skyrim»: Für viele Spieler ist Skyrim die Messlatte für grosse Spielwelten. Unzählige Abenteuer können hier erlebt werden. Oft vergisst man bei der Grösse schon die eigentliche Hauptstory, weil man sich immer wieder irgendwo verliert. Dabei ist die knapp 40 Quadratkilometer grosse Welt im Vergleich zu anderen Spielen noch klein.
«The Legend of Zelda: Breath of the Wild»: Das Flaggschiff für die Nintendo Switch überzeugt auf ganzer Linie, auch mit seiner offenen Welt von rund 57 Quadratkilometern, wo es einem trotz der Grösse nie langweilig wird.
Bild: Nintendo
«GTA V»: Bei Spielen von Rockstar wusste man schon immer, dass man sich schnell in riesigen Welten verlieren kann. Das ist auch bei «GTA V» nicht anders. Rund 126 Quadratkilometer warten darauf, erkundet zu werden und natürlich gibt es da auch genug Platz, um einige Gesetze zu brechen.
Bild: Rockstar Games
«World of Warcraft»: Seit 15 Jahren wächst die Welt in «World of Warcraft» immer weiter. Unglaubliche 207 Quadratkilometer umfasst das Gebiet bereits, wo man mittlerweile auch mehrere Monate benötigt, um zumindest ansatzweise alles einmal zu bereisen. Ein Ende ist noch lange nicht in Sicht.
«The Witcher 3: Wild Hunt»: Mit allen Erweiterungen wuchs auch die Welt des Witchers immer weiter. Wer also erst mit der Netflix-Serie so richtig auf den Geschmack gekommen ist, hat in dieser rund 217 Quadratkilometer grossen Welt noch sehr viele neue Abenteuer mit Geralt von Riva vor sich.
Bild: CD Projekt Red
«Ghost Recon Wildlands»: Diese riesige Welt ist von Beginn weg für alle Spieler vollumfänglich zugänglich. 272 Quadratkilometer, die einen schönen Mix aus «Battlefield 4» und «Red Dead Redemption» bieten und im Gegensatz zum neusten Ableger der Serie noch richtig Spas gemacht hat.
Bild: Ubisoft
«Just Cause 3»: Und es geht noch grösser. Dieses Spiel überzeugt zwar nicht wirklich mit einer grandiosen Story, lässt dem Spieler auf über 1000 Quadratkilometern dafür alle Freiheiten, sich nach Belieben auszutoben.
Bild: Square Enix
«Death Stranding»: Von einzelnen Kritikern zynisch als Wander-Simulator abgestempelt, findet man sich bei Kojimas neustem Meisterwerk in einer 600 Quadratkilometer grossen Welt wieder. Wie soll man da je alles entdecken?
Bild: Kojima Productions
«Guild Wars Nightfall»: Etwa gleichzeitig wie «World of Warcraft» öffnete sich für MMO-Fans auch die Welt von «Guild Wars», die inzwischen auf unglaubliche 39'000 Quadratkilometer angewachsen ist. Also etwa gleich gross wie die ganze Schweiz.
Bild: ArenaNet
«Elder Scrolls 2: Daggerfall»: Und nun noch der absolute Spitzenreiter mit der grössten Spielewelt überhaupt. Hier verliert man sich in einer digitalen Welt von über 160'000 Quadratkilometer, was ungefähr der Fläche von Tunesien entspricht.
Erstes Spiel: Mario Bros. (NES) Ich spiele gerade: Call of Duty: Warzone ...und freue mich auf: Cyberpunk 2077 Lieblingszitat: «Right now, you're ranked fifty in the badass leaderboards, which puts you behind my grandma but ahead of a guy she gummed to death. IT TOOK SEVERAL HOURS..» (Borderlands 2)