Neues Bundesgesetz«Patienten haben ein Anrecht auf Kopien ihres Dossiers»
Rahel Hefti
30.3.2018
Spätestens ab Frühling 2020 werden vertrauliche Patienteninformationen elektronisch in der Cloud abgespeichert. Möglich macht dies das neue Bundesgesetz über das elektronische Patientendossier (EPDG). Die Ziele von Bund und Gesundheitswesen sind lobenswert. Aber was halten Patienten von diesem Schritt in Richtung «Online-Verfügbarkeit» ihrer Patientendaten? Erika Ziltener, Präsidentin des Dachverbands Schweizerischer Patientenstellen, gibt Antwort.
In einem Patientendossier werden behandlungsrelevante Gesundheitsinformationen von Patientinnen und Patienten abgelegt. Dank einem neuen Bundesgesetz soll diese Speicherung künftig elektronisch in der Cloud erfolgen. Die Einführung und Bereitstellung des elektronischen Patientendossiers (EPD) wird von sogenannten «Stammgemeinschaften» realisiert und ist für Spitäler und Heime obligatorisch. Für ambulante Leistungserbringer und Patienten ist die Teilnahme freiwillig.
Patientinnen und Patienten entscheiden selber, welche Daten – zum Beispiel Röntgenaufnahmen oder der Impfausweis – sie in ihrem EPD speichern wollen und wer auf diese Informationen zugreifen und sie bearbeiten kann. Die Kontrolle über die Daten liegt somit vollständig beim Patienten. Gleichzeitig garantiert die Speicherung in der Cloud, dass gesundheitsrelevante Informationen bei Bedarf jederzeit und ortsunabhängig abrufbar sind.
Kaum jemand wird bestreiten, dass das EPD eine gute Sache ist. Gleichwohl gibt es auch kritische Stimmen, diese stammen zumeist aus der Politik. Die wichtigste Stimme von allen geht allerdings häufig unter: Die der Patientinnen und Patienten. Was halten Sie vom EPD?
Die Stimme der Patientinnen und Patienten
Erika Ziltener ist seit 2001 Präsidentin des Dachverbands Schweizerischer Patientenstellen und leitet die Patientenstelle in Zürich. Als ehemalige Gesundheitspolitikerin und Dozentin an verschiedenen Gesundheitsfachhochschulen sowie diplomierte Pflegefachfrau verfügt sie über einen breiten Einblick in das Schweizer Gesundheitswesen. «Es ist mir ein Anliegen, dass wir ein Gesundheitswesen haben, das unseren Patienten gerecht wird», erklärt sie ihr Engagement für den Dachverband, der die Einführung des EPDs von Anfang an befürwortet hat.
Im Interview bezieht Erika Ziltener Stellung im Interesse der Patienten und erklärt, welche Anforderungen erfüllt sein müssen, damit das elektronische Dossier den maximalen Nutzen entfaltet und von breiter Basis akzeptiert wird.
Bluewin: Frau Ziltener, wie stehen Schweizerinnen und Schweizer ihren Gesundheitsdaten und dem elektronischen Patientendossier (EPD) gegenüber?
Erika Ziltener: Ein gesunder Mensch interessiert sich in der Regel nicht dafür, wo und wie seine Patientendaten abgelegt werden, solange sie vor Dritten geschützt sind und eine bestmögliche medizinische Behandlung gewährleisten. Für chronisch erkrankte Menschen ist das Thema aktueller: Für sie ist es wichtiger, dass sie schnell und einfach auf ihre eigenen Gesundheitsdaten zugreifen können, etwa wenn sie eine Zweitmeinung einholen möchten oder eine Überweisung von einem Arzt ins Spital oder in eine andere Einrichtung ansteht und, zur Sicherstellung, dass die Dokumentation vollständig geführt wird.
Was sind die Vorteile des EPDs für die Patienten?
Patienten erhalten die vollständige Kontrolle über ihre Daten. Das EPD garantiert einen direkten Zugriff auf Informationen, die sonst oft mühsam bei jedem einzelnen behandelnden Arzt eingesammelt werden müssen. Des Weiteren garantiert das EPD eine schnelle Datenübermittlung zwischen den beteiligten Gesundheitsfachpersonen und verhindert Doppeluntersuchungen. Die Qualität der Behandlung wird also generell gesteigert und der Patient stärker in den Behandlungsprozess einbezogen. Die Verantwortung für die Behandlung muss aber in jedem Fall bei den Gesundheitsfachpersonen bleiben. Für Patienten ist es grundsätzlich irrelevant, wie ihr Dossier geführt wird, solange die Informationen vollständig da und im Bedarfsfall schnell abrufbar sind. Es ist nicht ihre Aufgabe, den Gesundheitsfachpersonen auf die Finger zu schauen, damit das EPD korrekt in die Behandlung miteinbezogen wird. Ein Arzt muss klar kommunizieren, auf welche Daten er Zugriff haben muss.
Haben Patienten überhaupt den Wunsch, ihre Daten elektronisch einzusehen und zu verwalten?
Patienten haben nicht einfach den Wunsch, sondern ein Anrecht auf Kopien ihres Dossiers, und zwar unabhängig davon, ob dieses elektronisch oder in Papierform vorliegt. Dieses Bedürfnis ist in den letzten Jahren gestiegen, da auch unser Gesundheitsbewusstsein grösser geworden ist. Wir sind heute viel informierter als früher und möchten genauer wissen, was für Behandlungen an uns durchgeführt werden oder welche Alternativen es gibt. Auch bei ärztlichen Behandlungen im Ausland erweist sich das EPD als wertvoll.
Fühlen sich die Patienten ausreichend über die Einführung des EPD informiert?
Es gibt noch Aufklärungsbedarf, insbesondere was den Datenschutz betrifft. Dieses Thema steht drohend im Raum, gerade weil man in den Medien immer wieder von Datenlecks und Hackerangriffen liest. Natürlich gibt es auch bei der Speicherung in Papierform einige Datenschutzfragen, allerdings ist die Sorge bei einer elektronischen Speicherung grösser, weil die Daten hier sehr viel schneller übermittelt werden können. Diesen Aspekt muss man ernstnehmen und mit grosser Transparenz thematisieren. Es reicht nicht, zu sagen: «Der Datenschutz ist gewährleistet, machen Sie sich keine Sorgen.» Die EPD-Betreiber müssen klar kommunizieren, wie die Daten gesichert werden und wo es allenfalls Probleme oder Lücken gibt.
Gemäss Rechtsanwalt Sergio Leemann ist ein EPD grundlegend sicherer als ein Dossier, das nicht elektronisch oder auf einem stationären Server gespeichert wird. Trotzdem: Wie gross ist die Angst, dass unsere Daten «online» in falsche Hände gelangen könnten?
Hier muss man eine Nutzen-Risiko-Abschätzung machen. Wir vom Dachverband sind klare Befürworter des EPDs und werten den Patientennutzen höher als die Sorgen und potenziellen Gefahren, die mit der Einführung einhergehen. Bezüglich des Datenschutzes besteht allerdings generell noch Aufklärungsbedarf: Viele Menschen fürchten sich vor dem EPD, gleichzeitig versenden sie die persönlichsten Informationen auf ungesichertem Weg via E-Mail. Wenn ich daran denke, was unseren Patientenstellen alles zugeschickt wird, sträubt es mir die Haare. Fakt ist: Das EPD kommt und kann nicht mehr verhindert werden. Aus diesem Grund befürwortet unser Dachverband auch das «doppelte Obligatorium»: Das EPD sollte sowohl für Ärzte als auch Patienten obligatorisch sein, um maximalen Nutzen daraus zu ziehen und die Fehlerquote zu reduzieren. Mit dieser Meinung sind wir zwar etwas dem «kalten Wind» ausgesetzt, aber es ist doch so: Statt sich immer noch über die Einführung des EPDs aufzuregen, sollten besser alle an einem Strang ziehen und so eine Basis schaffen, auf der das volle Potenzial des neuen Gesetzes ausgeschöpft werden kann.
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