Harrys Lebensbeichte Ein naiver Jammerlappen legt mitten im Palast Feuer

Von Fabian Tschamper

11.1.2023

In «Spare» wäscht Prinz Harry die royale Wäsche vor den Augen der Welt. Seine Perspektive lässt kein gutes Haar an der britischen Monarchie, er bricht mit Traditionen – und steht dabei selber alles andere als gut da.

Von Fabian Tschamper

11.1.2023

«Lies es halt nicht, mein lieber Junge», pflegte König Charles III. seinem Sohn Harry zu sagen. Doch die Boulevard-Presse liess ihn ein Leben lang – oder zumindest seit dem Tod seiner Mutter – nicht in Ruhe. Sie ihn nicht und er sie nicht.

Das ist kein schlechter Ratschlag, doch wie kommst du darum herum, wenn deine Familie tagtäglich Thema Nummer eins ist. Nicht nur hat Harry die Schlagzeilen nicht ignoriert, er hat sie auch noch mit unfassbarer Naivität selber befeuert. Als er damals beim Koksen erwischt worden war, als er sich auf Strip-Billard eingelassen hatte, als er auf einer Halloween-Party als Nazi verkleidet aufkreuzte.

Wie dumm kannst du denn sein, Harry?

Ich will das Tun dieser abscheulichen Paparazzi, die hinter Hecken und Hausecken auf ihre Beute warten, nicht verteidigen. Aber diese royale Naivität verblüfft mich.

Die Reserve-Rolle als Vorteil

«Lies es halt nicht» und das Verbot, sich zu äussern, gingen Hand in Hand. Alles, was zählt, ist das Image des Königspalasts, des Königs, des Erben. Wer der Institution nicht dienlich ist, der wird unter den Bus geworfen. Oder anders: Es wird von dir verlangt, dass du dich mitten auf die Strasse stellst und dich freiwillig vom Bus überrollen lässt.

Für den Ersatz interessiert sich keiner. Dieser Tenor zieht sich durch die ganze Biografie – offensichtlich. Es scheint allerdings durchaus so, dass Harry oftmals den Sündenbock spielen musste. Um den König und den Erben zu schützen.

Was Harry in seinem privilegierten und hässigen Sein nicht so wirklich registriert zu haben scheint, ist jedoch, wie ihm seine Reserve-Rolle auch Vorteile verschaffte. Gerade bei seiner Grossmutter.

Harry war der Liebling von Queen Elizabeth II. Ein Enkel, der wohl nie König sein wird, aber dennoch das blaue Blut in sich trägt. Ein privilegierter Nachkomme eines Königspalasts, von dem – ausser seiner Pflichten als Mitglied – nichts erwartet wird.

William war und ist derjenige, der sich seit seiner Geburt mit Traditionen, Image, einem vorgegebenen Leben herumschlagen muss. Warum wohl wurde er wütend, als Harry die Queen hinter seinem Rücken gefragt hat, ob er Meghan heiraten dürfe. Oder warum er seinen Bruder dazu zwingen wollte, den Bart abzurasieren.

Wo sich William an Etikette halten musste, genoss Harry eine lange Leine. Die Queen persönlich zwang William nach seinem Armeeeinsatz, den Bart loszuwerden. Harry hatte gar die Erlaubnis, mit Bart zu heiraten.

Du siehst, was ich meine. Es ist eine traurige Ironie irgendwie. Du machst, was du willst. Nur weil sich der Palast zu wenig schert, was mit deinem Image passiert.

Niemand umarmt die Queen

Generell fasziniert mich die Familiendynamik, die Prinz Harry im Buch beschreibt. Und ich ertappe mich dabei, erneut zu denken: Diese Institution, das Konzept eines Königreichs, hätte mit Queen Elizabeth II. begraben werden sollen. Vielleicht wäre es indes anders, sässe bereits William auf dem Thron.

Die königliche Familie hält nicht viel von Gschpürschmi, Fühlschmi. Harry beschreibt in seiner Kindheit zum Beispiel Briefe – oder Notizen –, die sein Vater Charles jeweils auf seinem Kopfkissen deponierte. Darin lobte, rügte, liebte er seinen Sohn. Über Gefühle gesprochen haben sie nie. Und das erfuhr auch Charles so: Stell dir vor, deine Mutter geht auf eine monatelange Geschäftsreise und als du – im Teenageralter – sie endlich wiedersiehst, gibt sie dir schlicht einen kräftigen Händedruck.

Aus der körperlichen Distanz, die bei den Royals jahrhundertelang gepflegt wird, entstand emotionale Distanz. Niemand umarmt die Queen. Nicht mal ihr eigener Sohn. Diana habe es einst versucht und musste sich danach beinahe auf Knien dafür entschuldigen, schreibt Harry.

Neben den Clickbait-Schlagzeilen, die wir in den vergangenen Wochen über das Buch gelesen haben, gibt es auch solche Einblicke in das Leben von Prinz Harry. Seine Unterhaltungen mit der Queen, mit seinem Vater, mit William oder Kate. Auch wenn das Buch seine Perspektive beschreibt, so bekommst du doch einen Eindruck, wie undankbar es ist, im Zeitalter von Internet, Smartphones und Teleobjektiven eine Person öffentlichen Interesses zu sein.

«Spare» – wie das Buch im Original heisst – weckt teils durchaus Mitgefühl, liest sich über weite Strecken frustrierend, seltsam unwiderstehlich und zweifelsohne absurd. Es ist eine Fehde zwischen einem privilegierten, naiven Jammerlappen und einer Institution, die je länger, je mehr ihre Daseinsberechtigung verliert.

Und ja: Wer ein Leben lang keine Kontrolle über selbiges hat, wird eines Tages aufbegehren. Wenn er naiv genug ist.


Bibliografie: Reserve (Originaltitel Spare), Prinz Harry, 521 Seiten, Penguin, circa 32 Franken.


«Spare»-Biografie im Check: «Es ist ein trotziger Ausbruch aus der Unterdrückung»

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blue News-Redaktor Fabian Tschamper hat die Biografie von Prinz Harry schon gelesen. Viele Skandale wurden von der Presse schon im Vorfeld verraten. Lohnt es sich dennoch, das Buch zu kaufen?

10.01.2023