Todestag 20 Jahre ohne Stanley Kubrick, den Besessenen

tsch

7.3.2019

Er suchte im Weltall nach Gott und fand den Teufel im Innersten des Menschen: Am 7. März vor 20 Jahren verstarb der grosse Filmregisseur Stanley Kubrick.

Im vergangenen Sommer elektrisierte eine kurze Nachrichtenmeldung Stanley-Kubrick-Fans weltweit. Da hatte der Filmexperte Nathan Abrams ein verschollen geglaubtes Drehbuch des am 7. März 1999 verstorbenen Filmemachers entdeckt. «Kubrick-Fans wussten, dass er es schreiben wollte, aber niemand dachte, dass es fertig ist», so Abrams damals. Bei dem Fund handelt es sich um das Skript zur Stefan-Zweig-Verfilmung «Brennendes Geheimnis», das Kubrick, so steht es auf der Titelseite des Drehbuchs, 1956 vollendete. Als zu gewagt habe das Filmstudio MGM den Stoff damals angesehen, mutmassen Filmhistoriker, sodass «Brennendes Geheimnis» nie gedreht wurde.

Kubrick brachte im selben Jahr stattdessen «Die Rechnung ging nicht auf» in die Kinos, einen Low-Budget-Streifen, aber einen, der bereits zeigte, wie Kubrick über Kino dachte. Die verschachtelte Story um einen Ex-Häftling (Sterling Hayden), der mit ein paar Kumpanen einen Überfall auf die Kasse einer Pferderennbahn plant, erzählt Kubrick nicht in einer linearen, chronologischen Abfolge, sondern er wechselt virtuos zwischen verschiedenen Zeitebenen und den Perspektiven der einzelnen Bandenmitglieder hin und her. Nur etwas mehr als zehn Jahre später sollte Kubrick zum vielleicht wichtigsten Filmemacher aller Zeiten aufsteigen.

Wie kein anderer vor und nach ihm hat Kubrick das Kino revolutioniert. Er war ein von der Technik Bessesener, der die Möglichkeiten des Films nutze, um zutiefst menschliche Geschichten zu erzählen. Die Genres, die er bespielte – Krimi, Horror, Drama, Kriegsfilm, Science-Fiction – zerlegte Kubrick in ihre Bestandteile, nur um sie anschliessend neu und besser zusammenzufügen.

Mit Filmen wie «2001: Odyssee im Weltraum», «Clockwork Orange» und «Shining» ging Stanley Kubrick in die Kinogeschichte ein.
Mit Filmen wie «2001: Odyssee im Weltraum», «Clockwork Orange» und «Shining» ging Stanley Kubrick in die Kinogeschichte ein.
Source: Getty Images

Das wahre Gesicht des Krieges

Stanley Kubrick, 1928 in New York in eine relative wohlhabende jüdische Familie geboren, begann seine Karriere in den Nachkriegsjahren als Fotograf für das Magazin «Look». Schon damals ging es ihm nicht darum, einfach nur zu zeigen, wie die Dinge sind. Vielmehr wollte Kubrick – «ein leiser Kerl», erinnerte sich einer seiner damaligen Kollegen später – mit seinen Aufnahmen Geschichten erzählen. Zum Film war es von da nicht weit.

«Fear and Desire» wurde 1953 Kubricks erster Langfilm. Zuvor hatte er sich an Sergei Eisensteins Filmtheorien geschult und an den Filmen, die in den New Yorker Kinos und im Museum of Modern Art gezeigt wurden. «Fear and Desire», ein Kriegsfilm, war angelegt als grosses «Drama des ‹Menschen›, der in einer feindlichen Umwelt verloren ist – materieller und geistiger Grundlagen beraubt», so schrieb Kubrick damals an seinen Verleiher Joseph Burstyn. Doch wie enttäuscht musste Kubrick gewesen sein, als der Film dann fertig war – ein Misserfolg, für den er sich später schämte.



Mit dem Krieg sollte sich Kubrick dennoch immer wieder beschäftigen. Nach dem reichlich konventionell erzählten Film Noir «Der Tiger von New York» und eben «Die Rechnung ging nicht auf» drehte er 1957 «Wege zum Ruhm». Ohne Illusionen analysierte Kubrick soldatische Eitelkeiten und Schwächen. «Wege zum Ruhm» war ein wütender Film, eine Anklage gegen den Krieg. Drei Jahrzehnte später, als er «Full Metal Jacket» drehte, war Kubrick erneut nicht Beobachter, sondern ein parteiischer Richter, der sich ganz auf die Seiten des einfachen Soldaten schlug.

«Die Suche nach einem neuen Stoff ist wie die Suche nach einer neuen Liebe»

«Für mich ist es das Allerschwerste, einen neuen Stoff zu finden», sagte Kubrick einmal. Er stöberte in Büchern und Magazinen, folgte Hinweisen und Empfehlungen, aber dennoch blieb eine gute Geschichte reine Glückssache. «Die Suche nach einem neuen Stoff ist wie die Suche nach einer neuen Liebe. Da kann man nicht viel tun, ausser die Augen offenzuhalten.» Nach dem Monumentalfim «Spartacus» (1960) und der Nabokov-Verfilmung «Lolita» (1962) versuchte es Kubrick in «Dr. Seltsam oder: Wie ich lernte, die Bombe zu lieben» mit Satire. Wenngleich Fiktion und überdrehte Groteske, so blieb der Film doch nah an der Realität. 1964, mitten im Kalten Krieg, erzählte Kubrick die wahnwitzige Geschichte eines Generals, der auf eigene Faust einen Atomkrieg gegen die Sowjetunion starten will.

Vier Jahre nahm er sich anschliessend Zeit – bis er 1968 «2001: Odyssee im Weltraum» in die Kinos brachte. «Auf einer tiefen, psychologischen Ebene symbolisiert die Handlung des Films die Suche nach Gott und bietet am Ende wenig mehr als eine wissenschaftliche Definition Gottes», so Kubrick. «Das Beste, was uns einfallen konnte, war eine Weltraum-Odyssee vergleichbar mit den Erzählungen des Homer. Die endlose Weite der See dürfte für die Griechen so geheimnisvoll gewesen sein wie für unsere Generation der Weltraum», erklärte Kubrick einst den Zauber, den sein Meisterwerk seit Jahrzehnten auf die Zuschauer ausübt.

Eine neue Ära der Filmgeschichte

Mit seiner intergalaktischen Irrfahrt schickte er sein Publikum in einen philosophischen Spiralnebel voller Fragen und überschritt gleichzeitig die damaligen Grenzen des Science-Fiction-Genres. Besonders durch seine aufwendigen Trickaufnahmen, die zwei Drittel des 10,5-Millionen-Dollar-Budgets verschlangen, läutete «2001» eine neue Ära der Filmgeschichte ein: Mit grosser technischer Perfektion schuf Kubrick eine Szenerie, die das bisher mit Billigproduktionen abgespeiste Science-Fiction-Publikum begeisterte – und Massstäbe für die Zukunft setzte. «Etwas zu langatmig, aber für Freunde des Genres sehenswert», urteilte der «Evangelische Filmbeobachter» in einer zeitgenössischen Kritik – heute freilich gilt vielen «2001» als einer der besten Filme aller Zeiten.

Von den Weiten des Weltalls wendete Kubrick seinen Blick in «Uhrwerk Orange» hin ins Innere des Menschen. Nie war Stanley Kubrick zynischer, nie provokanter und niemals politischer als hier. Die Augen von Hauptfigur Alex (Malcolm McDowell), sie scheinen den Blick zu erwidern, den das Sternenkind gegen Ende von «2001» dem Betrachter zuwirft. Doch es ist ein böser Blick, der so gar nichts mit der grossen Vision eines Neuanfangs zu tun hat, die Kubricks Science-Fiction-Epos beschliesst.

Kein Film von Kubrick war umstrittener als «Uhrwerk Orange». Der Film sei «faschistisch», urteilte Susan Sontag; in Grossbritannien wurde das Werk jahrzehntelang kaum gezeigt. Alex' sardonisches Grinsen ist Ausdruck der Pervertierung aller moralischen Werte, des ultimativen Nihilismus – schwer auszuhalten, damals wie heute. «Uhrwerk Orange» war es auch, der Kubrick den Ruf des Perfektionisten einbrachte; immer wieder liess er dieselbe Einstellung drehen. «Wenn man etwas tut, versucht man doch, es so gut wie möglich zu machen. Ich verschwende weder Zeit noch Geld», erklärte er sich später.

Bis seinem Tod war Stanley Kubrick mit seiner Frau Christiane verheiratet.
Bis seinem Tod war Stanley Kubrick mit seiner Frau Christiane verheiratet.
Source: Francois Durand/Getty Images

Jack Nicholsons Grinsen

Nach dem Kostümfilm «Barry Lyndon» (1975) drehte Kubrick nur noch drei Filme in den 25 Jahren bis zu seinem Tod, zunächst «Shining», nach dem Besteller von Stephen King. In einem verschneiten Berghotel schickte er Jack Nicholson und Shelley Duvall als verstörendes Filmehepaar auf einen Horrortrip. In menschenleeren, labyrinthischen Gängen breitet der Film eine Schreckensvision aus, die in einer der berühmtesten Szenen der Filmgeschichte gipfelt, wenn Nicholson mit irrem Grinsen mit der Axt auf seine Gattin und den kleinen Sohn losgeht. «Der Film erzählt ganz einfach die Geschichte einer Familie, die langsam in den Wahnsinn treibt», erklärte Kubrick seine Herangehensweise ans Horrorgenre.



«Eyes Wide Shut» wurde schliesslich Kubricks letzter Film, den er nur wenige Tage vor seinem Tod beendete. Die Adpation von Arthur Schnitzlers «Traumnovelle» spaltete 1999 die Kritik, gilt heute aber als würdiger Abschluss von Kubricks Schaffen. Im Alter von 70 Jahren erlag er am 7. März einem Herzinfarkt. Mehr als vier Jahrzehnte war Kubrick da mit der deutschen Schauspielerin Christiane Kubrick verheiratet gewesen, mit der er zwei Töchter hatte.

Ob «Brennendes Geheimnis», jenes Drehbuch aus dem Jahr 1956, jemals verfilmt werden wird? Vor ein paar Monaten wechselte das Skript auf einer Auktion den Besitzer – für fast 42.000 Euro. Über den Käufer ist bislang nichts bekannt. Gut möglich aber, spekulierten damals amerikanische Medien, dass ein Filmproduzent den Zuschlag bekam – und eines Tages ein neuer Kubrick in die Kinos kommt.

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