Marie Leuenberger zu «Stürm» «Barbara Hug fauchte, rauchte, trank und litt»

Von Fabian Tschamper

23.11.2021

Die Schauspielerin Marie Leuenberger verkörpert im Biopic «Stürm» die Rechtsanwältin Barbara Hug. Zum ersten Mal spielt die Schweizerin eine echte Person im Film – «eine extreme Bürde», wie sie erzählt.

Von Fabian Tschamper

23.11.2021

Marie Leuenberger ist seit 2009 im Filmgeschäft aktiv und hat schon in mehreren Schweizer Produktionen mitgespielt. Grösseres Ansehen erreichte sie hierzulande mit «Die Göttliche Ordnung», in Deutschland ist sie seit 2014 Teil der Krimireihe «Neben der Spur» und spielt in der neuen Serie «Passau Krimi» mit.

Rechtsanwältin Barbara Hug litt seit ihrer Kindheit unter einem falsch behandelten Nierentumors. Die bleibenden Schäden resultierten darin, dass Hug schon als junge Erwachsene an Krücken gehen musste. 2005 verstarb sie im Alter von 59 Jahren.

«Stürm» ist der zweite Film, in dem Leuenberger und Joel Basman gemeinsam vor der Kamera stehen.

Was hat Sie an der Geschichte von Walter Stürm gereizt?

Ich kannte seine Geschichte nicht, bis das Drehbuch auf meinem Tisch lag. 1980 wurde ich geboren, sollte er je Thema zu Hause gewesen sein, dann ist das an mir vorbei.

Stürm sucht seine Freiheit, indem er gegen das Gesetz rebelliert und Barbara Hug kämpft für die Freiheit mit dem Gesetz im Rücken. Die Widersprüchlichkeit der Figur Walter Stürm fasziniert mich, sie ist aber auch befremdend.

Wie würden Sie Barbara Hug charakterisieren?

Sie ist eine ungewöhnliche Frauenfigur, diese Anwältin, die faucht, raucht, trinkt und unter Schmerzen leidet. Sie passt in keine Schablone. Es ist ein unglaubliches Spannungsfeld, wenn sie auf Walter Stürm trifft.

Das Drehbuch hat mich sehr abgeholt. Es lässt sich viel hineininterpretieren, darüber philosophieren. 2016 habe ich die erste Version gelesen, die hat sich immer weiterentwickelt und ist besser geworden.

Walter Stürm, der Egoist und Narzisst und Barbara Hug, die Altruistin?

Sie sind wie zwei Universen, die um einander kreisen. Sie gehören zusammen, es herrscht eine unglaubliche Anziehungskraft. Aber zueinanderfinden werden sie nie. Es sind sich zwei Aussenseiter begegnet.

Durch ihre Behinderung ist Hug wie gefangen in sich und in ihrem Körper. Sie trifft dann auf Stürm, der sagt «Freiheit ist, wenn man es sich einfach nimmt, es einfach macht». Das ist Barbara Hug fremd. Er reisst sie mit und erweckt etwas in ihr zum Leben. Durch seine Freiheit schenkt er ihr ein Freiheitserlebnis. Das ist eine Form von Liebe, denke ich.

In Realität war Stürm allerdings ein wirklich krasser Aussenseiter.

Hug war in Realität anders?

Während der Vorbereitung für die Rolle habe ich Weggefährten von Barbara Hug getroffen. Sie haben mir von ihr erzählt – und das ist schon eine andere Frau, als wir sie im Drehbuch haben. Das ist die künstlerische Freiheit, die man sich nimmt. Sie war nicht ganz so eigenbrötlerisch, wie sie im Film dargestellt wird.

Joel Basman hat mir erzählt, er habe 15 Jahre als Nachbar von Hug gelebt. Konnte er bei der Recherche behilflich sein?

Joel hat den Kontakt zu den Leuten hergestellt, die ich schliesslich getroffen habe. Im Internet findet man ganz wenig Informationen zu ihrer Person. Diese Menschen haben mir viel über sie erzählt, es war ein sehr schöner Abend. Wir waren zu dritt, aber Barbara Hug schwebte wie im Raum.

In einem kurzen Video sah ich, wie sie über einen Gerichtsfall redet ­– da ging sie schon an zwei Krücken, sie war da schon älter. Das war der einzige Moment, in dem ich ihre Bewegungen studieren konnte.

Sie haben zum ersten Mal eine echte Person dargestellt. Wie war das?

Das war am Anfang eine extreme Bürde. Ich habe mich so gut wie möglich vorbereitet, habe im Dialysezentrum mit Patienten gesprochen und mir Original Tonbandaufnahmen von Barbara Hug angehört. Irgendwann wurde mir aber klar, dass ich mich von der echten Barbara trennen muss, da begann meine Barbara.

Warum war diese Unterscheidung für Sie wichtig?

Ich habe schlicht grossen Respekt vor der echten Barbara Hug, die 2005 gestorben ist und der ich nie begegnet bin. Auf einen Schlag wird sie mit diesem Film jetzt sehr präsent. Doch es gab zu wenig Material, um die echte Barbara Hug imitieren zu können.

Freiheit ist ein grosses Thema im Film. Da fallen Sätze wie «geschenkte Freiheit ist nicht echt» und «Freiheit ist, was dich glücklich macht». Was ist Freiheit für Sie?

Durch Corona habe ich gemerkt, was einem an Freiheit wirklich genommen wird. Ich wohne in Deutschland, da waren die Einschränkungen noch krasser als hier in der Schweiz. Man lernt die Freiheit mehr schätzen, realisiert aber auch, wie schnell sie einem weggenommen werden kann. Freiheit ist ein Privileg.

Zum Schluss noch etwas ganz anderes: Verschiedene Studien untersuchen den Zusammenhang zwischen Namen und Schicksalen. Walter Stürm lebte ein stürmisches Leben. Usain Bolt (eng. Blitz) gehört zu den schnellsten Menschen der Welt.

Denken Sie, Walter Stürm könnte für sein Leben prädestiniert gewesen sein? Oder ist das Schwachsinn?

Ich kenne das Phänomen, dass es gewisse Namen einfacher im Leben haben. Leichter einen Job zu bekommen zum Beispiel. Walter Stürm hatte Geschwister. Die hätten demnach ein ähnlich stürmisches Leben führen müssen. Von Stürm weiss man, dass er schon als Kind schwierig gewesen sein muss. Ich denke, es war schlicht die Kombination seiner Persönlichkeit und seiner Kindheit. Dass es am Nachnamen liegt, bezweifle ich.

«Stürm – Bis wir tot sind oder frei» läuft ab 25. November in allen blue Cinema Kinos.