Kolumne am MittagFlieg, Simon Ammann, flieg so lange und so weit du willst!
Von Bruno Bötschi
24.3.2021
Nach schlechten Resultaten von Skispringer Simon Ammann, 39, werden immer öfter Rufe nach seinem Rücktritt laut. Eine Frechheit, findet der Kolumnist.
Von Bruno Bötschi
24.03.2021, 11:21
24.03.2021, 11:58
Bruno Bötschi
Rücktrittsforderungen an die Adresse von Simon Ammann gibt es schon seit einigen Jahren. Warum, ist mir bis heute nicht klar.
Was sollen diese Forderungen?
Der einstige Überflieger und vierfache Olympiasieger springt schon seit einiger Zeit nicht mehr um Ränge und Punkte oder für die Fans, sondern vor allem: für sich.
Ja, es ist die Sehnsucht nach dem perfekten Sprung, die den 39-jährigen Toggenburger Skispringer antreibt.
«2009 hatte ich so einen Sprung und flog 233 Meter. Ich musste die Arme ausfahren, sonst wäre ich immer weitergeflogen», erzählte Ammann vor wenigen Tagen im Interview mit dem «NZZ am Sonntag Magazin».«Ein Professor aus Slowenien hat über meinen Sprung ein Buch geschrieben und berechnet, ich hätte 300 Meter weit springen können, hätte ich nicht abgebrochen.»
Tanz auf der Rasierklinge
Die Sehnsucht nach dem perfekten Flug, die treibt Ammann auch ab heute Mittwoch wieder an. In Planica, Slowenien, findet zum Abschluss der Wintersaison der traditionelle Skiflug-Weltcup statt. Für Aussenstehende ist dieser Wettkampf der komplette Wahnsinn, für die Athleten jedoch das Höchste der Gefühle.
Skifliegen ist so etwas wie der Tanz auf der Rasierklinge. Wie gross die Anspannung dabei ist, zeigte 1998 eine Studie: Als der deutsche Teamarzt bei der Skiflug-WM den Adrenalinspiegel der beiden Springer Martin Schmitt und Sven Hannawald mass, wiesen diese Werte auf, die sonst Menschen in unmittelbarer Todespanik haben.
Ein Kick, der Empfindungen im Suchtbereich gleicht. Manche behaupten deshalb, Skifliegen sei so eine Art sportliches Heroin.
Die erwähnten 233 Meter sprang Simon Ammann ebenfalls in Planica. 2019 ging es im Training sogar noch ein Stück weiter: 243 Meter. Es war der bisher weiteste Sprung seiner Karriere. Als Schweizer Rekord wurde die Weite allerdings nicht anerkannt, weil er bei der Landung mit beiden Händen in den Schnee griff.
Verpatzte Qualifikation als Wendepunkt
Natürlich hat Ammann nach schlechteren Resultaten in den vergangenen Jahren auch einmal ans Aufhören gedacht.
«Der Rücktritt fällt schwer, weil man als Kind vieles intuitiv erlernt und als Erwachsener darauf aufbaut», sagte er im Gespräch mit dem «NZZ am Sonntag Magazin». Aber genau diese Stärken, die für seine Sportlerkarriere förderlich waren, seien für die neue Lebensphase vielleicht nicht mehr gefragt. «Dazu kommt, dass das Springen mit mir verwachsen ist und mein ganzes Leben bestimmt, dass ich es nicht einfach abschneiden kann wie eine Nabelschnur.»
Der tiefste Punkt im vergangenen Winter war für ihn persönlich die verpatzte Qualifikation für das Neujahrsspringen in Garmisch-Partenkirchen. Gleichzeitig war dieser Wettkampf aber auch der Wendepunkt. «Andere hätten vielleicht den Kopf in den Sand gesteckt», so Ammann. Er aber überlegte sich eine neue Strategie.
Und siehe da: Die Resultate wurden besser.
Eine Frechheit sondergleichen
Möglicherweise haben die Forderungen nach dem Rücktritt von Simon Ammann auch damit zu tun, dass er während seiner besten Zeit so dermassen viel besser war als die Konkurrenz, dass einige seiner Fans, wenn er heute an einem Skispringen nicht in die Punkte springt, dies als Affront der persönlichen Art betrachten.
Dabei geht sie das überhaupt nichts an. Momoll, ich finde sogar, solche Forderungen sind eine Frechheit sondergleichen.
Und darum: Flieg, Simi, flieg – und zwar so weit und so lange du willst!
Regelmässig gibt es werktags um 11:30 Uhr und manchmal auch erst um 12 Uhr bei «blue News» die Kolumne am Mittag – sie dreht sich um bekannte Persönlichkeiten, mitunter auch um unbekannte – und manchmal wird sich auch ein Sternchen finden.