Scharfseher Langstrassen-Reportage auf SRF: «Das sind einfach Zecken!»

Lukas Rüttimann

19.4.2019

In einer zweiteiligen Reportage hat sich das Schweizer Fernsehen der Zürcher Langstrasse angenommen. Mal wieder, könnte man sagen. Doch der Auftakt machte durchaus Lust auf mehr.

Berichte des Schweizer Fernsehens über die Zürcher Langstrasse haben eine lange Tradition. Seit eh und je wurde aus dem Leutschenbach mit Vorliebe über die berühmt-berüchtigte Pulsader des «Chreis Cheib» berichtet; schliesslich hat das Milieu Herr und Frau Schweizer schon immer genauso abgestossen wie fasziniert.

Unvergessen etwa die Mammut-Reportage des heutigen «Happy Day»-Moderators Röbi Koller Mitte der neunziger Jahre, der einen ganzen Tag lang aus dem Mikrokosmos Langstrasse live in die gute Stube sendete. Dagegen backt die zweiteilige Reportage «Schöne neue Stadt – Die Langstrasse im Wandel» deutlich kleinere Brötchen.

Gentrifizierung statt Prostitution

Auch die Herangehensweise ist eine andere. Sieben Bewohnerinnen und Bewohner des Quartiers gewähren einen Einblick in ihren Alltag, diskutieren in der Runde über die aktuellen Probleme und blicken dabei sowohl zurück wie auch voraus. Schnell zeigt sich dabei, dass den Leuten das Thema Gentrifizierung inzwischen weit stärker unter den Nägeln brennt als die üblichen Litaneien über Prostituierte und Drögeler. Obwohl die Einschätzung der Filmemacher, dass sich das Sexgewerbe weitgehend aus der Langstrasse zurückgezogen habe, doch ein wenig gewagt scheint.

Spannender ist ohnehin, was nicht schon seit Jahrzehnten dazugehört. Denn der Wandel der wohl berühmtesten Strasse der Schweiz ist sinnbildlich für eine globale Entwicklung. Dagegen protestieren zu wollen, sei so sinnvoll «wie gegen das Wetter zu protestieren», meinte Szenenkenner Alex Flach gleich zu Beginn.



Auf der anderen Seite gefiel der umtriebige «Werners Head Shop»-Boss Werner Bösch, indem er die Entwicklung seines Umfelds in den letzten 36 Jahren beschrieb und dabei jenen Mix aus Fatalismus und Neugier ausstrahlte, der für die Langstrasse eben auch typisch ist. Mit Architektin Vera Gloor sorgte zudem eine zentrale Figur des Quartiers für den nötigen soziopolitischen Hintergrund, während «Olé Olé»-Chefin Elena Nierlich und Tattoostudio-Managerin Lila Loit vor allem viel Lebenslust verbreiteten.

Lust auf mehr

Klar: Das Rad neu erfunden hat diese Reportage nicht. Doch dass das Schweizer Fernsehen zu einem richtigen Zeitpunkt mal wieder etwas genauer in die Zürcher Kreise 4 und 5 schaut, zeigte die Diskussion. Flach etwa kam beim Thema 24-Stunden-Shops richtig in Rage und warf den Betreibern vor, sich mit ihrem Billigangebot auf Kosten der wirklich kreativen Bars und Clubs eine goldene Nase zu verdienen. «Das sind einfach Zecken», so der Szenenkenner, der diese «Parasiten» als einen Grund dafür sieht, dass die Langstrasse in der heutigen Form nicht mehr allzu lange existieren wird.

Nicht nur deshalb darf man sich auf den zweiten Teil der Reportage freuen. Schliesslich dürfte die Diskussion darüber fortgesetzt werden – und mit den Berichten über das Langstrassenleben ab 19 Uhr dürfte dann wohl auch all jene auf ihre Kosten kommen, die vor allem Klischees über Sex, Suff und Halligalli bestätigt haben wollen.

«Schöne neue Stadt: Die Langstrasse im Wandel» lief am Donnerstag, 18. April, um 21.05 Uhr auf SRF 1. Der zweite Teil läuft am Donnerstag, 25. April, um diesselbe Uhrzeit. Mit Swisscom Replay TV können Sie die Sendung bis zu sieben Tage nach der Ausstrahlung anschauen.

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