«Tatort»-Check: Pumpen Sozialkunde in der Muckibude – garniert mit Wiener Schmäh

tsch

6.9.2020

Der 23. gemeinsame Fall seit 2011 führte Harald Krassnitzer und Adele Neuhauser in ein Fitnesstudio, das sich allerdings weniger als ein Ort der Sixpack-Produktion durch Anabolika-Schlucker erwies, vielmehr als ein Umschlagplatz für Sozialbetrug im grossen Stil.

In ihrem 23. gemeinsamen «Tatort»-Krimi seit 2011 wurden Moritz Eisner (Harald Krassnitzer) und Bibi Fellner (Adele Neuhauser) mit einer wahrhaft unansehnlichen Leiche konfrontiert: Auf dem U-Bahn-Geleise lag ein toter Mann, von den Bahnrädern säuberlich zweigeteilt. Selbstmord sei es nicht gewesen, sagt der Kollege von der Spurensicherung. Auch der aufmerksame Zuschauer stellte eingangs fest: Der offensichtlich benommene Mann hatte sich zuletzt noch von den Schienen wegbewegt. Kein guter Anfang für einen Wiener «Tatort», der bekanntlich zu Recht stolz auf seine Mischung aus Schmäh und Spannung stolz sein darf.



Den Wiener Kieberern wurden ihre Ermittlungen in «Pumpen», dem ersten neuen «Tatort» nach der gefühlt beinahe unendlichen Sommerpause, arg erschwert, denn der Tote hatte keinerlei Papiere oder sonstige Hinweise bei sich. Für Eisner und Bibi Fellner immerhin ein klarer Hinweis darauf, dass der Mann von anderen auf die Schienen gelegt worden war. All das wurde durch einen unverhofften Zeugen später bestätigt, und dann ging es tief hinein in einen ziemlich sperrigen Fall und ins Muckibuden-Milieu, wo Eisner und Fellner zwangsläufig fremdelten.

Worum ging es in diesem ORF-«Tatort»?

Nicht wenig ging es um Eisners Figur und Bibis neue Liebschaft. Beides gehörte jedenfalls zum Unterhaltsamsten in diesem Krimi, in dem sich bei Weitem nicht alles, aber doch viel ums «Pumpen» drehte, also um die (Un-) Sitte, mittels allerlei Kraftmaschinen Muskeln zu erzeugen. Dass die Wiener Kieberer in «Arnis Fitnessstudio» landeten – übrigens Teil einer grösseren Kette – rührte daher, dass sie den Toten als Mitglied des Fitnessstudios identifizierten.



Höchst seltsam allerdings, dass der Tote, wie sich herausstellte, gerne mit dicken Autos fuhr, darunter ein Aston Martin – der Mann mochte James Bond. Allerlei Automodelle und Kennzeichen versammelte der Autonarr auch auf seinem Computer, er funktionierte sie kurzerhand zu E-Mail-Passwörtern um, hinter denen sich ein geschicktes System zum Abgreifen von Sozialhilfeleistungen verbarg. Ziemlich viel Stoff wieder mal für einen Fernsehkrimi.

Gibt es die Kette «Arnis Fitness» wirklich?

Leider nicht. Arnold Schwarzenegger, der Terminator aus Graz, geht aber in seiner Wahlheimat Kalifornien gerne ins Fitnessstudio. Unlängst regte er sich darüber auf, dass in den Krafträumen keine Masken getragen werden und verliess darauf hin sein Lieblingsstudio in Venice erbost. Der Film wurde übrigens bereits im März des vergangenen Jahres gedreht.

Wie kam es zum Mord auf den Schienen?

Lange sah es so aus, als habe der Mann, der aus dem Kosovo stammte und mit seinem Chef mittels Internet die Sozialleistungen von Leiharbeitern abgriff, aussteigen wollen oder den Kompagnon verraten. Ein Vorhaben, das er mit dem Leben bezahlte. Zuletzt stellte sich die Tat jedoch als Racheakt eines durch falsche elektronische Arztinformationen Geschädigten heraus.

Kam da nicht der sprichwörtliche Wiener Schmäh etwas zu kurz?

Für sarkastischen Humor bot die Fitness-Situation ein weites Feld. Vor allem Moritz Eisner war in einem etwas überzogenen Running Gag immer wieder um die eigene Figur besorgt, angesichts der durchgeformten Körper, mit denen er sich konfrontiert sah. Manchmal seufzte Eisner aber auch ins Leere, sozusagen ganz ohne Muskelpaket gegenüber.

Die Sorge um die eigene Figur hatte er sicher auch zu Hause schon gehabt. Trainieren gehen musste ein anderer aus dem Ermittlerteam: Manfred Schimpf (Thomas Stipsits) ermittelte auf eigene Faust im Studio – und bezahlte das beinahe mit dem Leben.

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Und Bibi Fellner?

Sie hatte diesmal sicher den stärkeren Part. Bibi stieg zu beachtlicher Höchstleistung auf, als sie sich nach einer Liebesnacht kurz nackt unter der Dusche und dann vor Polizisten busenblitzend zeigte. Wobei ihr Erschrecken sicherlich mehr den TV-Zuschauern als den Polizisten galt. Aber auch Bibis Zweifel an der Liebe, von Adele Neuhauser zwischen Trübsal und Laissez-faire gespielt, wirkten teuflisch echt. Das tränenreiche Ende nach überstandenen Todeskampf – Drama, Baby! – hätte ihr der Regisseur Andreas Kopriva allerdings getrost ersparen können.

Kam das Thema Sozialbetrug glaubhaft rüber?

Etwas Fantasie brauchte man da schon. Erst mal haben ja die Österreicher ein anderes System, sie sind unserer Grundversorgung um Längen voraus. An Dinge wie «E-Cards», auf denen Sozial- und Krankenversicherung gespeichert sind, musste man sich erst mal gewöhnen. Da hatte Eisner alle Hände voll damit zu tun, den Sozialkunde-Lehrer zu spielen. Der Mord vom Anfang und der Versicherungsbetrug mithilfe von Leiharbeitern aus dem Osten liefen etwas verquält nebeneinander her. Mehr Sozialkunde als Krimi sozusagen.

Was sagt Harald Krassnitzer?

Er freue sich über die Ausstrahlung nach der coronabedingten XXL-Sommerpause, betonte Harald Krassnitzer im Interview mit der Agentur teleschau. «Aber», so ergänzte der Schauspieler, der am 10. September sein 60. Lebensjahr vollendet, «es geht nicht um meine persönliche Erfüllung, es geht auch nicht nur um den ‹Tatort›, sondern es geht um die Schauspielkunst an sich, um das fiktionale Geschichtenerzählen am Theater und im Film – das, was wir vorführen, ist unser Narrativ, das ist unser aller Spiegel.»



Harald Krassnitzer: «Es ist essenziell. Wenn das wegbrechen würde, hätte das gravierende gesellschaftliche Folgen. Insofern ist die ‹Tatort›-Ausstrahlung mit hoffentlich vielen Zuschauern einfach ein starkes Signal, dass wir noch da sind.»

Wie lange noch Fellner und Eisner?

Im selben teleschau-Interview erklärte Krassnitzer, dass ein Ende noch lange nicht in Sicht sei: «Stand heute sage ich: Solange man uns lässt – da bin ich mir mit Adele einig. Wir würden schon gerne weitermachen, und für die nächsten zwei Jahre sind die Produktionen schon geplant. Es gibt noch so viel zu erzählen.»

Krassnitzer gab den Sonderermittler Eisner erstmals im Fall «Nie wieder Oper», der am 17. Januar 1999 ausgestrahlt wurde. In «Vergeltung», seinem 24. Fall vom 6. März 2011, arbeitete Eisner erstmals mit Bibi Fellner zusammen – die beiden gelten seither als kongeniales Duo.

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