Nach dem Psycho-«Tatort» Welcher meiner Freunde ist Narzisst?

tsch

12.4.2021

Der «Tatort» als Psychostudie: Die Kommissarinnen Lena Odenthal und Johanna Stern bekamen es mit einem krankhaften Narzissten zu tun. Diese trifft man im Alltag häufiger, als man denkt.

Er oder sie kann nur sich selbst lieben und lässt keine andere Meinung als die eigene gelten. Man ist unfähig zu jeglicher Selbstkritik und teilt alle Menschen des persönlichen Umfelds in Feinde oder «Freunde» ein – wobei sich letztere komplett «anpassen» müssen, um zu gefallen. Kennen Sie so jemanden? Zwischen 0,4 und ein Prozent der Bevölkerung leidet unter einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung, sagen wissenschaftliche Studien. Gar bis zu sechs Prozent weist zumindest klar narzisstische Züge auf.

Natürlich wird nicht jeder Narzisst zum Mörder, so wie im «Tatort»-Fall «Der böse König». Dennoch ist es wichtig, Merkmale, Ursachen und Therapiemöglichkeiten von krankhaftem Narzissmus zu kennen. Schliesslich ist die Wahrscheinlichkeit, dass man mit einem solchen Menschen im Leben mal enger zu tun hat, relativ gross.



Worum ging es?

Ein Spätkauf-Betreiber wird erschlagen hinter der Ladentheke gefunden. Jemand hat brutal auf den Mann eingedroschen – und ihm zudem noch Münzgeld in die Kehle gestopft. Unter den verdächtigen Kunden befindet sich der smarte, gutaussehende Anton Maler (Christopher Schärf). Er nennt sich selbst Antoine, hat sich eine schillernde Biografie «zugelegt» und zieht die Ermittlungen der Kommissarinnen Lena Odenthal (Ulrike Folkerts) und Johanna Stern (Lisa Bitter) schnell auf eine persönliche Ebene.

Gleichzeitig kümmert sich der Mann rührend um seine Freundin (Lana Cooper), die mit einem seltsamen Leiden an ihre Wohnung gefesselt ist. Immer mehr wird klar: Der Verdächtige ist ein Narzisst, der andere benutzt und manipuliert, um selbst in hellerem Licht zu strahlen.

Wer sind die Narzissten?

Weil es Teil ihrer Persönlichkeit ist, im Mittelpunkt stehen zu wollen und viel Anerkennung zu benötigen, finden sich Narzissten verstärkt in den Bereichen Kunst, Politik, Unterhaltung – und heute – Influencertum wieder. Berufen mit viel Öffentlichkeit. Die charmante Seite des Narzissten – man umschmeichelt die anderen, um selbst gut gefunden zu werden – bringt sie oder ihn neben dem Geltungsdrang bevorzugt in berufliche Führungspersonen.

Studien belegen, dass mehr Männer (7,7 Prozent) als Frauen (4,8 Prozent) narzisstische Persönlichkeitszüge aufweisen. Die Zahlen könnten allerdings täuschen, kritisieren Forscher. Sie merken an, Frauen könnten ihren Narzissmus eventuell besser verstecken, da dominantes Verhalten bei ihnen sozial weniger erwünscht sei.

Wie geht man mit Narzissten um?

Der Umgang mit Narzissten, besonders in engen Beziehungen, ist schwierig. Dem Gegenüber fehlt die Möglichkeit zu echter Empathie und vor allem zur Selbstkritik. Promi-Ehen scheitern wohl oft aus dem Grunde, weil ein oder sogar zwei Narzissten daran beteiligt sind. Da Widerspruch und Kritik meist Wut beim Narzissten auslösen – Ex-US-Präsident Trump ist ein Paradebeispiel –, verbannt der Betroffene seine Kritiker regelmässig und erklärt sie zu Gegnern.



Auch Therapeuten haben es schwer mit Narzissten, weil diese die Therapie oft abbrechen, wenn es ans Eingemachte geht («Der Therapeut war schlecht»). In letzter Zeit betonen Forscher und Therapeuten, man müsse die vulnerable Seite des Narzissten erreichen, um einen Ansatz für die Therapie zu finden. Seelische Verletzungen und eine grosse Selbstunsicherheit stehen im Verdacht, den Kern narzisstischer Störungen zu bilden.

Woher kommt Narzissmus?

Früher dominierten tiefenpsychologische oder zumindest biografisch-psychologische Erklärungen. Entweder vermutete man hinter einer narzisstischen Persönlichkeit Menschen, die in ihrer Kindheit verhätschelt und keine Grenzen aufgezeigt bekamen. Demzufolge seien sie zu Erwachsenen gereift, die kein kritisch realistisches Bild von sich selbst zu zeichnen in der Lage sind. Andere Forscher behaupteten das Gegenteil und fanden traumatische Erlebnisse von Kränkung und Unterwerfung in der Kindheit von Narzissten, die dazu führten, dass sich der Narzissmus wie ein Schutzschild vor Kritik über den Erwachsenen legte.

Mittlerweile geht die Wissenschaft von einem erheblich höheren genetischen Anteil (etwa 50 Prozent) an der Persönlichkeitsstörung Narzissmus aus – was frühkindlich biografische Erklärungen zwar nicht als falsch dastehen lässt, aber sie zumindest ergänzt. Narzissmus kann also – wie andere Krankheiten – ein gutes Stück weit vererbt werden.

Welche Hilfsangebote gibt es in der Schweiz?

Die «Selbsthilfe Schweiz» bietet vor allem für Angehörige von Narzissten ein gut aufgestelltes lokales Netzwerk von Selbsthilfegruppen. Welche Gruppen es wo gibt, kann man auf selbsthilfeschweiz.ch nachlesen.



Wer spielte und erschuf den «Tatort»-Narzissten?

Gespielt wird der Narziss vom österreichischen Schauspieler Christopher Schärf («Einer von uns»), den man von Nebenrollen aus Serien wie «Braunschlag», «Der Pass» oder «Skylines» kennt. Der 42-Jährige wirkt locker zehn Jahre jünger und taucht in der österreichischen Presse gern in Rubriken wie «Die schönsten Männer Wiens» auf.

Tatsächlich ist Schärf ein talentierter Verführer und damit durchaus glaubhaft in einer «Tatort»-Charakterstudie, die ein bisschen an den grandiosen Stuttgarter «Tatort»-Fall «Der Mann, der lügt» von 2018 erinnert. Auch der stammte übrigens wie «Der böse König» von Autor/Regisseur Martin Eigler und setzte sich mit einer Figur auseinander, die chronisch «alternative Wahrheiten» kreieren musste.