Carlos Alcaraz ist in vielerlei Hinsicht der legitime Nachfolger von Roger Federer: als Nummer 1 der Welt, als Publikumsliebling und jetzt als Aushängeschild der Swiss Indoors.
Wer soll bloss die riesige Lücke schliessen, die Roger Federer, Rafael Nadal und Novak Djokovic dereinst hinterlassen werden? Was wird bloss aus dem Tennis ohne die Big 3? Seit diesem Jahr ist die Antwort klar. Sie heisst Carlos Alcaraz, und beim Spanier ist der Weltsport in besten Händen.
Auch in Basel mausert sich der 19-Jährige aus Murcia gleich bei der ersten Teilnahme zum Publikumsliebling. Mit seinem Engagement ist Turnierdirektor Roger Brennwald ein kleiner Geniestreich gelungen – umso mehr, als Federer als Aushängeschild etwas unverhofft wegfiel. Alcaraz bringt alles mit, um ein Superstar zu werden. Er vereint die Athletik in der Defensive von Djokovic, die kämpferische Attitüde von Nadal und die spielerische Souplesse von Federer. Er bietet den Zuschauern den Wow-Effekt, für den die Fans ins Stadion strömen.
Auch nach der Meisterprüfung immer noch Lehrling
Dazu besitzt der Spanier die seltene Gabe, gleichzeitig selbstbewusst und demütig aufzutreten. Das zeigt er auch in Basel. «Ich kann mich noch viel verbessern», wiederholt er bei jeder Gelegenheit. «Überall. Mental, physisch und technisch.» Alcaraz sieht sich noch immer als Lehrling, obwohl er mit dem Triumph am US Open und dem Aufstieg zur jüngsten Nummer 1 der Tennisgeschichte längst seine Meisterprüfung abgelegt hat.
Von den ersten drei Partien nach dem US Open hatte der Schützling von Juan Carlos Ferrero zwei verloren. An den erhöhten Erwartungen soll dies nicht liegen. «Die Situation um mich herum hat sich verändert, aber nicht mein Leben», versichert er. «Ich habe immer noch die gleichen Leute um mich. Ich trainiere hart und will mich weiter verbessern.»
Weiter als Nadal im gleichen Alter
Das gilt im Übrigen nicht nur für sein Tennis. Der Real-Madrid-Fan nimmt fleissig Englisch-Stunden und verbessert sich auch in dieser Domäne fast täglich. So ist er eigentlich in jeder Beziehung besser als Nadal im gleichen Alter. Eine Garantie auf 20 weitere Grand-Slam-Titel ist das aber natürlich nicht.
Alcaraz hat noch wenig Erfahrung mit den relativ schnellen Hallenplätzen, auch deshalb sind seine Niederlagen nicht weiter dramatisch. Auch in Basel brauchte er ein wenig, um sich an die Bedingungen zu gewöhnen, die er langsamer als erwartet wahrnimmt. Im Startspiel am Montag gegen den jungen Engländer Jack Draper suchte er zu Beginn viel zu schnell den Punkt und leistete sich eine wahre Fehlerorgie. Es spricht aber für den Teenager, dass er sich nach den Anfangsschwierigkeiten fasste und sich in drei Sätzen zum Sieg kämpfte.
In der 2. Runde lief es gegen den Niederländer Botic van de Zandschulp bereits deutlich besser, im Viertelfinal heute Freitag ist die Hürde mit der Weltnummer 15 Pablo Carreño Busta noch einmal höher. Es wird ein spezielles Spiel. «Pablo ist mein bester Kumpel auf der Tour», sagt Alcaraz über seinen zwölf Jahre älteren Landsmann.
Neues Ziel gefunden
Es darf davon ausgegangen werden, dass er auch diese Herausforderung meistern wird. Eine Folge hatte der kometenhafte Aufstieg in diesem Jahr aber: Alcaraz musste sich ein neues Ziel suchen, denn bis jetzt erklärte er immer, er wolle die Nummer 1 werden. Auch das ist jedoch kein Problem. «Jetzt will ich die Nummer 1 der Welt bleiben», sagt er mit einem Lächeln – und dieser unwiderstehlichen Mischung aus Selbstbewusstsein und Zurückhaltung.