Heute ist es 15 Jahre her, dass eine der tödlichsten Naturkatastrophen in der Geschichte fast einer Viertelmillion Menschen das Leben kostete: der Tsunami im Indischen Ozean. Zu seinen Opfern gehörten auch 110 Schweizer, die meisten waren Touristen in Khao Lak.
Einer von ihnen im Süden Thailands war der Luzerner Autor Otto Marchi, der mit «Schweizer Geschichte für Ketzer» 1971 bekannt geworden war. In den Resorts in Khao Lak ging es am zweiten Weihnachtstag gegen zehn Uhr zu. Das Frühstücksbuffet war schon fast leergegessen. Wer nicht schon am Strand lag, sass beim Kaffee und erinnerte sich mit Wohlgefallen an den Vorabend, als Kellner in Samichlaus-Mützen Getränke servierten und ein Kinderchor Weihnachtslieder sang.
Da plötzlich wurde das Meer gleichsam leer. Viele eilten zum wundersam vergrösserten Strand, um sich das Spektakel anzusehen. Der Horizont hatte eine Spitzenborte aus Gischt erhalten, die näherkam. Einige wenige Beobachter waren alarmiert und wussten, dass der Rückzug des Meers der Vorbote einer Monsterwelle, eines Tsunamis, war – vielleicht, weil sie es in einem Dokumentarfilm gesehen hatten.
Der rettende zweite Stock
Wer begriffen hatte, rannte – ins Landesinnere auf Hügel oder die Treppen von solid gebauten Hotels hinauf mindestens in den zweiten Stock. Wer Pech hatte, wurde vom Wasser – es war eine Wand, keine Welle, erinnerten sich viele – zuerst ins Landesinnere geschwemmt und dann aufs Meer hinausgerissen.
Als das Wasser wieder weg war, lagen überall Leichen, erschlagen von Trümmern der Infrastruktur, welche die Welle abrasiert hatte. Überlebende suchten verzweifelt nach Verwandten, Verletzte schlugen sich zu überfüllten Spitälern durch, wo ihre Wunden notdürftig mit Papier und Tesafilm verbunden wurden.
Von den über hundert Schweizer Todesopfern wurden in den nächsten Stunden und Tagen ein Dutzend von Angehörigen vor Ort, die meisten anderen erst im Verlauf des Jahres 2005 per DNA-Abgleich in der Schweiz identifiziert. Fünf wurden ein Jahr nach der Katastrophe noch vermisst.
Grösser, länger, schneller als alles vorher
Was war passiert? Um 07:59 Uhr Ortszeit (01:59 Uhr MEZ) bebte keine hundert Kilometer vor der Westküste der indonesischen Insel Sumatra entfernt, nur dreissig Kilometer unter dem Meeresboden, die Erde. Zwei gewaltige Kontinentalplatten krachten nach jahrelang aufgebauter Spannung plötzlich auf einer Länge von tausend Kilometern Länge auseinander – so viel wie selten bei Beben.
Das Beben dauerte zehn Minuten statt wie die meisten einige Sekunden. Es hatte nach verschiedenen Berechnungen die Stärke 9,1 oder 9,3 und war das zweitstärkste Beben in hundert Jahren. 1960 wurde in Chile ein Beben mit 9,5 registriert. Die durch die Erschütterung ausgelösten Wellenberge vor Sumatra rasten so schnell wie ein Düsenjet auf die Küsten zu.
In Hawaii sah man es kommen
Den Seismologen im Tsunami-Warnzentrum auf Hawaii war schnell klar, dass ein so starkes Beben grosse Zerstörungskraft hat – Stunden, bevor die Flut die Strände erreichte. Aber die Hawaiianer fanden keine Ansprechpartner für Warnungen in der Region.
Seither ist zwischen Indonesien und Thailand ein Tsunami-Warnsystem errichtet worden. Erdbeben, Meeresspiegelveränderungen und Wellen werden in Echtzeit gemessen und automatisch an eine 24 Stunden besetzte Alarmzentrale in Jakarta geschickt.
Danach dauert es noch höchstens zehn Minuten, bis die Warnkette die Küstengemeinden erreicht. Ein Beispiel: 2012 wurde vor Banda Aceh ein Beben der Stärke 8,2 registriert. Acht Minuten später waren die Andamanen und Nikobaren gewarnt.
Eine so verheerende Tsunami-Katastrophe wie 2004 im Indischen Ozean wird es nach Einschätzung von Jörn Lauterjung vom Geoforschungszentrum (GFZ) in Potsdam nie mehr geben – sofern das von ihm mitentwickelte Frühwarnsystem vor Ort korrekt gewartet wird. So starke Erdbeben wie an Weihnachten 2004 sind statistisch gesehen ohnehin sehr selten: Sie kommen laut Lauterjung etwa alle 400 bis 700 Jahre vor.
Noch nie wurde so viel gespendet
In der Schweiz wurde der 5. Januar 2005 zum Nationalen Trauertag erklärt. Gleichzeitig führte die Glückskette einen nationalen Sammeltag durch. Die Anteilnahme war überwältigend, am Ende kamen 227 Millionen Franken zusammen, die grösste Summe in der Geschichte der Glückskette.
Am 7. Januar beschloss der Bundesrat eine Hilfsoperation mit drei Transporthelikoptern und maximal fünfzig Armeeangehörigen in Indonesien, dem von der Katastrophe am stärksten betroffenen Land. 160 Tonnen Hilfsgüter wurden nach Sumatra geflogen.
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