Mainstream statt Nische Fleischlose Ernährung liegt bei jungen Menschen im Trend

Irena Güttel, dpa/seh

1.10.2020

Burger und vegan? Was für viele noch immer nicht zusammen passt, kann heute an vielen Orten bestellt werden.
Burger und vegan? Was für viele noch immer nicht zusammen passt, kann heute an vielen Orten bestellt werden.
Source: Getty Images

Wer kein Fleisch isst, erntete früher oft mitleidige Blicke. Heute leben viele Menschen vegetarisch oder vegan, zumindest zeitweise. Vor allem Jüngere verzichten zunehmend auf Fleisch.

Früher war in dem Laden eine Metzgerei, wie an der Markise über dem Eingang noch zu erkennen ist. Heute verkauft Ayhan Akbal hinter der einstigen Fleischtheke Burger, Dürüm und Döner. «Vegöner» heisst Akbals Kreation, die neben viel Salat Fleischersatz aus Trockensoja enthält.

Fleischlose Ernährung bei jungen Menschen im Trend

Zur Mittagszeit und abends bilden sich vor seinem veganen Imbiss oft lange Schlangen. An diesem Tag sitzen vor allem junge Leute mit modischen Brillen, hochgekrempelten Jeans und Turnschuhen draussen auf den Bänken. Unter den 15- bis 30-Jährigen sei der Anteil der vegetarisch oder vegan lebenden Menschen am höchsten, sagt Benedikt Jahnke vom Büro für Agrarpolitik und Ernährungskultur.

In dem Alter sei es hip, sich durch das Essen abzugrenzen. «Die ‹Fridays for Future›-Bewegung hat das Ganze noch mal gepusht.» Vegetarier essen kein Fleisch, aber verzichten – anders als Veganer – nicht zwingend auf Eier und Milchprodukte.

Die jüngeren Generationen seien anders sozialisiert, sagt Ulrika Brandt vom Interessenverband ProVeg. «Mitgefühl und Empathie sind eher erlaubt, Tiere werden damit oftmals als wertvolle Wesen und nicht mehr als Sachen oder blosse Fleischlieferanten betrachtet.» Auch die 26-jährige Franziska Bohn ernährt sich deshalb seit einiger Zeit vegan. «Mir fällt es nicht so schwer, weil es inzwischen viele Alternativen gibt», sagt sie.

Mehr Angebote an vegetarischen Gerichten

Als Imbiss-Besitzer Akbal Anfang der 1990er-Jahre zum Vegetarier wurde, war das noch ganz anders. «Da gab es noch nicht so viele schöne Produkte», erinnert er sich. Kein Fleisch zu essen, bedeutete damals vor allem Verzicht. Doch inzwischen haben in vielen Städten Imbisse, Kantinen und Mensen täglich fleischlose Alternativen im Angebot. 

«Spätestens um die Jahrtausendwende hat der Vegetarismus die breite Masse erreicht», sagt Jahnke. Der Gesundheitsstatistik des Bundesamtes für Statistik (BfS) zufolge hat sich der Anteil an Vegetariern zwischen 1992 und 2017 in der Schweiz verdreifacht. Laut einer Umfrage aus dem Jahr 2017 ernähren sich in der Schweiz 11 Prozent der Bevölkerung vegetarisch, 3 Prozent vegan und weitere 17 Prozent bezeichnet sich als Flexitarier, verzichtet also gelegentlich bewusst auf Fleisch. Inzwischen soll sich laut Swissveg sogar rund ein Viertel der Schweizer Bevölkerung überwiegend oder ausschliesslich vegetarisch oder vegan ernähren.

Vegi-Gehacktes, Falafel-Nuggets, vegane Würstli

Die zunehmende Zahl der Teilzeitvegetarier macht sich auch im Supermarkt bemerkbar. Fleischersatzprodukte gibt es inzwischen überall: Vegi-Gehacktes, Falafel-Nuggets oder Vegi-Schnitzel verkauft auch der Discounter um die Ecke. Und es werden immer mehr. Der Umsatz bei Fleischersatzprodukten wie vegetarische oder vegane Würstchen, Schnitzel und Frikadellen wächst im Handumdrehen. Der Jahresumsatz für Fleischersatzprodukte betrug 2017 schätzungsweise 64 Millionen Franken.

«Fleischersatzprodukte haben die Nische verlassen und werden inzwischen von weiten Teilen der Bevölkerung gekauft», sagt GfK-Experte Robert Kecskes. Vor allem Flexitarier kauften diese Produkte. «Es ist für viele immer weniger ein Ersatz, sondern eine Bereicherung des Speiseplans.»

Zu viel Fleisch schadet der Gesundheit

Aus medizinischer Sicht wäre es auf jeden Fall für viele Menschen ratsam, weniger Fleisch zu essen. «Wir haben einen sehr hohen Fleischkonsum», sagt Hans Hauner, der an der Technischen Universität München den Lehrstuhl für Ernährungsmedizin leitet. «Das kann negative Folgen haben, vor allem wenn man viele verarbeitete Fleischprodukte wie Wurst isst.» Obwohl sich diese Behauptung hartnäckig halte, sei Fleisch für eine ausgewogene Ernährung nicht essenziell und Vegetarier hätten nicht per se Eisenmangel.

Auf die Vorzüge der fleischlosen Ernährung weist jedes Jahr der Weltvegetariertag am 1. Oktober hin. Seit dessen Gründung 1977 ist es deutlich einfacher geworden, vegetarisch zu leben. Trotzdem hält nicht jeder durch. «Bei vielen ist es nur eine Lebensabschnittsphase», sagt Ernährungssoziologe Jahnke. «Diese ist aber prägend für die weitere Ernährung.»

Ex-Vegetarier essen meistens weniger und bewusster Fleisch, sprich werden zu Flexitariern. Nach Ansicht von ProVeg-Expertin Brandt wird deren Zahl weiter steigen: «Insofern feiern wir künftig am 1. Oktober wohl eher den Welt-Flexitariertag.»



Zurück zur Startseite