Sportwissenschaftler«Vielleicht hilft es, wenn ich als Abendtyp morgens joggen gehe»
Von Sulamith Ehrensperger
29.6.2021
Gutes Timing, besseres Training? Nicht unbedingt, sagt Daniel Erlacher, der zu Sport und Schlaf forscht. Er räumt mit Mythen rund um Lerchen, Eulen und die besten Trainingszeiten auf.
Von Sulamith Ehrensperger
29.06.2021, 23:30
30.06.2021, 11:52
Sulamith Ehrensperger
Herr Erlacher, trainieren nach der Pulsuhr oder nach dem eigenen inneren Chronografen?
Die Antwort ist eindeutig: nach der Pulsuhr. Sie können so Ihre Pulswerte im Blick behalten und sehen, ob Sie mit der richtigen Intensität trainieren. Die Chronobiologie kann eine Rolle spielen, ist aber mit Blick auf den Trainingseffekt eher gering.
Viele kennen das: Tagsüber kommst du zu nichts, abends schleppst du dich dann noch zum Aerobic-Kurs oder aufs Laufband. In solchen Fällen doch lieber auf die biologischen Taktgeber hören?
Viele kennen die Unterteilung der sogenannten Chronotypen: Es gibt Menschen, die morgens fit und abends müde sind, und jene, die umgekehrt abends zur Hochform auflaufen, morgens hingegen verschlafen wirken. Kurz gesagt: Lerchen und Eulen. Extremen Chronotypen würde das Training zum richtigen Zeitpunkt sicher in die Hände spielen. Allerdings ist der Alltag oftmals nicht dem Chronotyp angepasst und wir müssen Kompromisse eingehen. Sonst wären wir wohl in der Evolution nicht so weit gekommen. Sie können also nicht alles auf die innere Uhr schieben.
Wer also seinem Biorhythmus folgt, wird nicht mit mehr Trainingserfolg belohnt?
Zur Person: Daniel Erlacher
zVg
Daniel Erlacher ist Psychologe und Sportwissenschaftler an der Universität Bern. Er habilitierte und forscht zum Thema Sport, Schlaf und Traum. Erlacher ist auch Autor des Buches «Sport und Schlaf».
Da gibt es von der Studienlage kaum Untersuchungen, die zeigen, dass ein Morgentyp, der abends trainiert, wirklich einen Leistungseinbruch hat. Die Studienergebnisse sind hier allerdings nicht sehr konsistent, denn Leistung im Sport lässt sich ganz unterschiedlich definieren: Ist es ein gewonnenes Fussballspiel, ein guter VO2-Wert auf dem Ergometer oder viele Gewichte auf der Hantelstange beim Bankdrücken? Wichtiger ist die Erkenntnis, dass für die meisten gilt: Ob morgens oder abends Sport, wird sich von den Trainingseffekten her kaum unterscheiden.
Von der Motivation her gesehen könnte es aber schon eine Rolle spielen?
Es ist schon so, dass sich ein Abendtyp wahrscheinlich weniger leicht zum Sport frühmorgens bewegen lässt. Mit Blick auf den Leistungssport wäre das schon ein Thema, weil wahrscheinlich ein extremer Abendtyp nie eine Schwimm-Meisterin oder ein Schwimm-Meister im Leistungssport werden würde, denn dort ist frühmorgendliches Training die Regel. Ausser, die Verantwortlichen würden die Trainingspläne entsprechend anpassen.
Wie häufig sind extreme Morgen- und Abendtypen in der Bevölkerung?
Die extremen Chronotypen machen schätzungsweise je 5 bis 10 Prozent der Bevölkerung aus. Die Mehrheit der Bevölkerung, schätzungsweise 50 bis 60 Prozent, ist ein Mitteltyp, also weder noch. Wie so häufig lassen sich Menschen nicht in ein Entweder-oder-Schema unterteilen. Daher hat der amerikanische Schlafforscher Michael Breus vier neue Chronotypen entwickelt: Delfin, Bär, Löwe und Wolf, die zwar viele Überschneidungen haben, aber nun auch in die Forschung und Beratung einfliessen.
Dann müssen sich also die wenigsten Freizeitsportler Gedanken über ihre Trainingszeiten machen.
Es wird immer wieder gesagt, dass der Chronotyp genetisch festgelegt ist. Gleichzeitig macht Breus beispielsweise klar, dass sich dies über die Lebensspanne durchaus verändern kann. Was Sie durchaus auch bei Kindern beobachten können: Sie werden in der Pubertät zu Eulen, später im Arbeitsleben müssen sie dann wieder früh aus den Federn. Ich würde sagen, dass ein bisschen Tricksen immer geht. Es gibt noch wenige Studien dazu, aber vielleicht hilft es, wenn ich als Abendtyp morgens joggen gehe, dass ich mit der Zeit leichter in den Tag starte.
Ich lese immer mal wieder: morgens Ausdauer trainieren, abends Krafttraining und Koordination. Stimmt das?
Also da kann ich Sie beruhigen. Es gibt schon Studien, die gewisse chronotypische Schwankungen zeigen, wir reden da aber von minimalen Veränderungen um die 4 bis 10 Prozent. Die Effekte auf die sportliche Leistung sind am Ende dann wahrscheinlich so gering, dass man sie nicht überbewerten sollte. Die meisten Freizeitsportlerinnen und -sportler können also trainieren, wann sie wollen. Gerade bei Fitnessstudios ist das mittlerweile fast zu jeder Tageszeit möglich, beim Fussballtraining gibt es natürlich zeitliche Trainingsvorgaben, die weniger flexibel sind.
Was ist mit dieser oft gehörten Aussage: Wer am Abend den Körper noch fordert, stört das Runterfahren und provoziert eine unruhige Nacht?
Tatsächlich wird häufig gesagt, dass man spätabends nicht mehr trainieren soll, weil man dann schlechter schläft. Grundsätzlich muss ich dazu sagen: Menschen, die regelmässig Sport treiben, haben eine sehr viel bessere Regulation, das heisst sie können ihr System schneller hoch- und runterfahren als Untrainierte: Das hilft auch beim Einschlafen. Metastudien zeigen, dass die Einschlaf-Latenz beim spätabendlichen Sport nahezu gleich ist, wenn nicht manchmal sogar kürzer. Das gilt allerdings nur bei Menschen ohne Schlafprobleme. Bleibt noch anzumerken: Es gibt nicht nur einen Faktor, der für einen guten Schlaf verantwortlich ist, sondern deren viele. Das macht es für uns Forschende ja auch spannend.
Verraten Sie uns mehr über Ihre Trainingsgewohnheiten?
Ich trainiere immer das, was ich aktuell unterrichte. Ich komme aus dem Krafttraining, dann habe ich durch ein Seminar zum Ausdauertraining den Laufsport entdeckt, und vor zwei Semestern wieder zurück in den Kraftmodus gewechselt. Seit ich die Laufschuhe an den Nagel gehängt habe, ist die Gewichtsregulierung schwieriger (lacht). Daher heisst mein Seminar ab nächstem Semester Kraft- und Ausdauertraining.