Bötschi fragt Bettina Oberli: «Es spielt sich alles im normalen familiären Wahnsinn ab»

Von Bruno Bötschi

5.6.2021

«Ich wollte wissen, was in einer Familie passiert, wenn da plötzlich eine fremde Person 24 Stunden an sieben Tagen in der Woche unter einem Dach lebt und Einblick in teils extrem private Familienangelegenheiten bekommt»: Bettina Oberli.
«Ich wollte wissen, was in einer Familie passiert, wenn da plötzlich eine fremde Person 24 Stunden an sieben Tagen in der Woche unter einem Dach lebt und Einblick in teils extrem private Familienangelegenheiten bekommt»: Bettina Oberli.
Bild: Maurice Haas

«Wanda, mein Wunder» ist der erste grosse Schweizer Film, der nach dem Lockdown in die Kinos kommt. Regisseurin Bettina Oberli spricht über ihr feinfühliges Familiendrama, die nicht unproblematische Arbeitsmigration im Gesundheitswesen und verrät, wann Sie das letzte Mal Angst hatte.

Von Bruno Bötschi

5.6.2021

30 Minuten Interviewzeit im Rieterpark in Zürich. Vielleicht werden es auch 40, was ganz davon abhängt, ob Bettina Oberli die Fragen interessant oder vielleicht sogar amüsant findet. 

Oberli hat sich mit Filmen wie «Die Herbstzeitlosen» in den letzten 15 Jahren weit über die Schweizer Grenzen einen Namen als Regisseurin gemacht. An diesem sonnigen Frühsommer-Nachmittag wollen wir über ihren neuen Film «Wanda, mein Wunder» reden, der heute in den Schweizer Kinos anläuft.

Das Familiendrama wurde fast ausschliesslich an einem Schauplatz gedreht – in einer alten Villa in Stäfa direkt am Zürichsee. Josef, der Vater, ist nach einem Schlaganfall darauf angewiesen, ständig betreut zu werden. Deshalb wird Wanda angestellt, eine Pflegerin aus Polen. Wenig später steht das Leben der Familie kopf.

Am liebsten würde Bettina Oberli nur über ihren neuen Film reden, der wegen der Corona-Pandemie mit einem halben Jahr Verspätung in die Kinos kommt. Den Gefallen tun wir ihr aber nicht. 

Bettina Oberli, wir machen heute ein Frage-Antwort-Spiel: Ich stelle Ihnen in den nächsten 30 Minuten möglichst viele Fragen – und Sie antworten möglichst schnell und spontan. Passt Ihnen eine Frage nicht, sagen Sie einfach «weiter».

Werden die Fragen, die ich mit ‹weiter› beantworte, ebenfalls publiziert?

Manche ja.

Weiter.

Welchen Kinofilm sahen Sie als allerersten?

‹Bernhard und Bianca – die Mäusepolizei›. Ein Rausch an Bildern – noch heute erinnere ich mich fast an jedes einzelne. Unvergessen ist mir zudem ‹101 Dalmatiner›, den ich kurz danach gesehen habe. Ich hatte extrem Angst vor Cruella De Vil.

Zum Autor: Bruno Bötschi
Bild: zVg

«Blue News»-Redaktor Bruno Bötschi spricht für das Frage-Antwort-Spiel «Bötschi fragt» regelmässig mit bekannten Persönlichkeiten. Bötschi hat viel Erfahrung mit Interviews. Für die Zeitschrift «Schweizer Familie» betreute er jahrelang die Serie «Traumfänger». Über 200 Persönlichkeiten stellte er dafür die Frage: Als Kind hat man viele Träume – erinnern Sie sich? Das Buch zur Serie «Traumfänger» ist im Applaus Verlag, Zürich, erschienen. Es ist im Buchhandel erhältlich.

Ihre erste grosse Leinwandliebe?

Atréju aus ‹Die unendliche Geschichte›.

Popcorn oder gebrannte Mandeln?

Keines von beiden.

Wie bringt man im Kinosaal die quatschenden Menschen in der Reihe vor einem zum Schweigen?

Ich würde diesen Menschen nett sagen, dass Sie bitte aufhören sollen zu reden.

Wann sind Sie zum letzten Mal vorzeitig aus dem Kino gelaufen?

Noch nie. Was jedoch schon passiert ist; dass ich im Kino eingeschlafen bin.

Wann zuletzt einen schönen Abend im Kino verbracht?

Vor drei Wochen war ich an der Vorpremiere von ‹Das Mädchen und die Spinne› zugegen. Mein erstes Kinoerlebnis seit langer Zeit.

Ihre aktuelle Lieblings-TV-Serie?

‹Mare of Easttown›. Die US-amerikanische Miniserie wird auf HBO ausgestrahlt. Kate Winslet spielt darin eine Polizistin. Einfach grossartig. Und mit meinem jüngeren Sohn schaue ich zurzeit ‹How I Met Your Mother›.

Vermissen Sie die ‹rauchenden Zeiten› im Film?

In meinen Filmen wurde schon immer geraucht, also wenn es dem Charakter einer Rolle dient.

Mein Gefühl sagt mir: Es wird wieder viel mehr geraucht in Kinofilmen und Fernsehserien.

Von den guten oder den bösen Charakteren?

Von allen.

Was mir bei den Netflix-Produktionen aufgefallen ist: Es wird sehr viel Alkohol getrunken. Im Film hat das Rauchen eine dramaturgische Bedeutung. Im richtigen Leben bin ich hingegen die totale Nichtraucherin.

Welchen Bettina-Oberli-Film würden Sie gern nochmals auf grosser Leinwand, also im Kino sehen?

‹Tannöd›.

«Als Filmemacherin bin ich es gewohnt, dass das Wetter ab und an nicht mitspielt. Die viel stressigere Komponente ist, dass man während Dreharbeiten ständig zu wenig Zeit hat»: Bettina Oberli mit Agnieszka Grochowska und André Jung auf dem Filmset von «Wanda, mein Wunder».
«Als Filmemacherin bin ich es gewohnt, dass das Wetter ab und an nicht mitspielt. Die viel stressigere Komponente ist, dass man während Dreharbeiten ständig zu wenig Zeit hat»: Bettina Oberli mit Agnieszka Grochowska und André Jung auf dem Filmset von «Wanda, mein Wunder».
Bild: zVg

Verfolgt Sie Ihre Arbeit in der Nacht?

Ich habe einen wiederkehrenden Traum, dass ich auf dem Filmset bin und wir drehen sollten, aber ich bin überhaupt nicht vorbereitet.

Ich habe gelesen, Sie träumten manchmal, Sie stürben.

Früher war dem so. Ich fiel jeweils irgendwo runter.

Wann wachen Sie morgens auf, wenn Sie keinen Wecker stellen?

Es kommt darauf an, wenn ich ins Bett gehe. Würde ich erst um 4 Uhr morgens ins Bett gehen, täte ich wahrscheinlich erst gegen Mittag aufwachen.

Morgenmuffel?

Ja.

Morgens also lieber nicht reden?

Ich bin Mutter, das geht also nicht.

Mit wem würden Sie gern einmal frühstücken?

Muss es das Frühstück sein? Mir wäre ein Abendessen lieber. Und auch wenn das vielleicht etwas abgelutscht tönt, aber ich würde gern einmal zusammen mit Ex-US-Präsident Barack Obama essen.

Wie würde Ihre erste Frage an ihn lauten?

Das lasse ich offen – und sowieso: Ich finde, er sollte mir zuerst eine Frage stellen.

Welcher typische Schweizer Minderwertigkeitskomplex geht Ihnen auf den Wecker?

Die ständige Angst davor, dass man etwas falsch machen könnte.

Haben Sie ein Problem mit unpünktlichen Menschen?

Nein.

Wann haben Sie sich das letzte Mal verspätet?

Beim heutigen Treffen mit Ihnen.

Drei Minuten zählen nicht als Verspätung.

Das sehe ich auch so.

Hatte eine Verspätung von Ihnen jemals schlimme Folgen?

Nein.



Ihr neuer Film «Wanda, mein Wunder», der heute in die Schweizer Kinos kommt, läuft wegen der Corona-Pandemie mit einem halben Jahr Verspätung an. Wie fühlt sich das an?

Es ist ein seltsames Gefühl. Ich musste in den letzten Monaten die Spannung wachhalten und durfte die Lust nicht verlieren, immer wieder über den Film zu sprechen. Gleichzeitig durfte mich dies nicht davon abhalten, neue Projekte anzugehen.

In den letzten Monaten je darüber nachgedacht, am Film nochmals etwas zu verändern?

Nein.

Wie gestresst waren Sie, als am Anfang der Dreharbeiten zu ‹Wanda, mein Wunder› das Wetter Ihnen einen Strich durch die Rechnung machte?

Als Filmemacherin bin ich es gewohnt, dass das Wetter ab und an nicht mitspielt. Die viel stressigere Komponente ist, dass man während Dreharbeiten ständig zu wenig Zeit hat.

Woran erkennt man auf dem Filmset, dass Sie schlechte Laune haben?

Ich glaube, das würde niemand merken. Und sowieso: Auf dem Set habe ich sehr oft sehr gute Laune, denn das Drehen ist meine Lieblingsbeschäftigung.

Werden Sie laut auf dem Set, wenn mal etwas nicht funktioniert?

Nein, nein, nein.

«Ich musste in den letzten Monaten die Spannung wachhalten und durfte die Lust nicht verlieren, immer wieder über den Film zu sprechen. Gleichzeitig durfte mich dies nicht davon abhalten, neue Projekte anzugehen»: Bettina Oberli mit Marthe Keller auf dem Filmset von «Wanda, mein Wunder».
«Ich musste in den letzten Monaten die Spannung wachhalten und durfte die Lust nicht verlieren, immer wieder über den Film zu sprechen. Gleichzeitig durfte mich dies nicht davon abhalten, neue Projekte anzugehen»: Bettina Oberli mit Marthe Keller auf dem Filmset von «Wanda, mein Wunder».
Bild: zVg

Hat Bettina Oberli keine dunklen Seiten?

Gar nichts, überhaupt nix (lacht).

Schon einmal gestohlen?

Ja, einmal, in einem Kleiderladen als Teenie zusammen mit einer Freundin.

Verraten Sie, was Sie geklaut haben?

Ein Oberteil. Es war das erste und auch das letzte Mal, dass ich gestohlen habe. Ich hatte danach schreckliche Schuldgefühle.

Rote Ampeln überfahren?

Mit dem Velo, ja.

Bei Gesellschaftsspielen beschissen?

Ja, sicher.

Die Zeche geprellt?

Nein.

Schon einmal in einem Interview gelogen?

Sicher.

Auch heute schon?

Ja, klar (lacht).

Ihr Film ‹Wanda, mein Wunder› erzählt die Geschichte von der Polin Wanda. Es geht um die Arbeitsmigration von Pflegekräften aus Osteuropa.

Das Thema wurde in den letzten Jahren immer präsenter in den Medien. Mich interessiert zudem die Frage: Wie geht unsere überalterte Gesellschaft künftig mit älteren Menschen um? Ich wollte zudem wissen, was in einer Familie passiert, wenn da plötzlich eine fremde Person 24 Stunden an sieben Tagen in der Woche unter einem Dach lebt und Einblick in teils extrem private Familienangelegenheiten bekommt.

Was mir beim Anschauen Ihres Films aufgefallen ist: Sie vermeiden es, die Pflegekraft Wanda als Opfer darzustellen.

Während der Recherchen zum Film realisierte ich, dass den Frauen dies sehr wichtig ist. Sie sehen sich nicht als Opfer. Ansonsten können viele von ihnen diesen Job gar nicht machen. Fakt ist jedoch auch: Die Arbeitsbedingungen für die Pflegekräfte aus Osteuropa bleiben sehr oft auf der Strecke. Gleichzeitig ist es aber ein Job, bei dem man sieht, dass er etwas bringt, etwas zurückkommt. Die Frauen gehen Beziehungen mit den zu Pflegenden ein. Allerdings mit dem Preis, dass sie ihre eigene Familie viel weniger sehen können.

Ihr Film gibt zudem Einblick in eine reiche zerrüttete Schweizer Familie.

In der Familie Wegmeister-Gloor stimmt einiges nicht. Mit der Schwangerschaft von Wanda werden zudem weitere Erschütterungen ausgelöst. Pathologisch betrachtet ist die Familie aber nicht total zerrüttet, sondern es spielt sich alles im normalen familiären Wahnsinn ab, den die meisten von uns auch kennen.

‹Wanda, mein Wunder› wurde fast ausschliesslich an einem Schauplatz gedreht. Machte das die Produktion einfacher?

Ja, sehr sogar. Das Problem beim Filmdrehen ist ja: Es ist immer alles möglich, es gibt keine Vorgaben, jeder Film ist ein Prototyp. Ich wollte jedoch schon lange einmal einen Film realisieren, dessen Geschichte an einem Ort passiert und gedreht wird.

Die Geschichte spielt in einer Villa an der Goldküste am Zürichsee: Wie findet man so ein Haus?

Das war nicht einfach. Wir suchten in der ganzen Schweiz, denn wir brauchten ein Haus, das uns während mehreren Monaten zur Verfügung stand. Das Haus, in dem wir gedreht haben, ist das Wochenend-Ferienhaus von einer Familie, die sonst in Zürich lebt.

«Pathologisch betrachtet ist die Familie aber nicht total zerrüttet»: Bettina Oberli mit André Jung auf dem Filmset von «Wanda, mein Wunder».
«Pathologisch betrachtet ist die Familie aber nicht total zerrüttet»: Bettina Oberli mit André Jung auf dem Filmset von «Wanda, mein Wunder».
Film: zVg

Die Besetzung von ‹Wanda, mein Wunder› ist beeindruckend. Wie haben Sie das nur hinbekommen?

Weil der Film fast ausschliesslich an einem Ort spielt, wussten wir, dass wir das Kinopublikum nicht ablenken können von der Geschichte, etwa mit spektakulären Stunts. Uns war deshalb klar, dass wir die allerpassendsten Schauspielerinnen und Schauspieler engagieren müssen. Schon während des Drehbuchschreibens zusammen mit Cooky Ziesche war die Besetzung der Rollen deshalb regelmässig ein Thema. Marthe Keller sagte bereits zwei Jahre vor Drehbeginn zu, also zu einem Zeitpunkt, als das Drehbuch noch gar nicht fertig war.

Hat das frühe Engagement von Marthe Keller bei der Besetzung der weiteren Schauspielerinnen und Schauspieler geholfen?

Ja, durchaus. Und weil wir ein Grossteil der Schauspielerinnen und Schauspieler so früh verpflichtet haben, konnten wir beim Fertigstellen des Drehbuchs sogar auf Eigenheiten der jeweiligen Personen eingehen. Das war sehr wertvoll.

Können Sie den Schauspieler Anatole Taubman in einem Satz beschreiben?

A gentleman full of esprit.



Schauspieler Heinz Rühmann soll einmal zu Schauspielerin Senta Berger gesagt haben: ‹Angst ist gut in diesem Beruf. Geht sie verloren, ist das ein schlechtes Zeichen.› Wahr oder nicht?

Angst ist nie gut. Aber Heinz Rühmann stammt aus einer Generation, wo möglicherweise noch oft mit Angst gearbeitet wurde. Das ist jedoch lange vorbei.

Wann hatten Sie das letzte Mal Angst?

Als mein Vater mich gestern von seinem Handy angerufen hat – das tut er nie, ausser er hat eine schlechte Nachricht. Aber glücklicherweise war es nur eine Bagatelle.

Wo haben Sie Kino gelernt?

Ich habe die Hochschule für Gestaltung und Kunst Zürich im Studienbereich Film/Video absolviert. Ausgelernt habe ich allerdings bis heute nicht. Für mich ist jeder Film eine neue Herausforderung.

Haben Sie Vorbilder?

Ich fühle mich dem europäischen Arthouse-Kino verpflichtet. Ich bin beeindruckt von der Arbeit der neuseeländischen Filmemacherin Jane Campion und natürlich auch von den üblichen Verdächtigen wie etwa Susanne Bier und Lars von Trier. Ich schätze die Arbeiten von Pedro Almodóvar, auch wenn meine Filme überhaupt nicht den seinen entsprechen.

Warum drehen Sie Filme?

Damit ich das Leben verstehen kann, risikolos.

Kann Kino die Welt verändern?

Ich weiss nicht, ob das Kino die Welt im Ganzen verändern kann. Aber ich bin davon überzeugt, dass ein Film die Kraft hat, Dinge in uns Menschen zu bewegen und wir deshalb nach einem Kinobesuch eine andere Perspektive auf ein Thema haben, es künftig anders sehen oder bewerten.

Die Szene in ‹Wanda, ein Wunder›, in der Elsa, gespielt von Marthe Keller, ihren Mann Josef (André Jung) in den Zürichsee stösst, nachdem er ihr gestanden hat, Wanda geschwängert zu haben: War das Improvisation oder wurde das so bereits im Skript angelegt?

Nein, nein, so etwas kann man nicht vor Ort improvisieren. Als wir diese Szenen drehten, waren Taucher im See und ein Arzt vor Ort. André Jung trug zudem einen dünnen Neopren-Anzug unter den Kleidern.

Wirklich wahr, dass das Wasser damals nur 14 Grad hatte?

Das stimmt.

Wie viel Mal musste die Szene wiederholt werden?

Einmal.

Wann wissen Sie, dass eine Szene gelungen ist?

Beim Schreiben, Drehen oder Schneiden?

Fangen wir mit dem Schreiben an.

Eine Szene ist dann gelungen, wenn ich sie mir während des Schreibens bereits im Kopf vorstellen kann.

Beim Drehen?

Ich schaue fast nie auf den Monitor während den Dreharbeiten, sondern stehe lieber neben der Kamera. Dort passiert es, dort spüre ich sofort grosses Glück, wenn eine Szene funktioniert.

Und während des Schneidens des Films?

Meistens bestätigt sich dort, dass die Einstellung, die ich während der Dreharbeiten am besten gefunden habe, auch wirklich die beste ist.

«Nein, nein, so etwas kann man nicht vor Ort improvisieren. Als wir diese Szenen drehten, waren Taucher im See und ein Arzt vor Ort. André Jung trug zudem einen dünnen Neopren-Anzug unter den Kleidern»: Bettina Oberli.
«Nein, nein, so etwas kann man nicht vor Ort improvisieren. Als wir diese Szenen drehten, waren Taucher im See und ein Arzt vor Ort. André Jung trug zudem einen dünnen Neopren-Anzug unter den Kleidern»: Bettina Oberli.
Bild: zVg

Ich nenne Ihnen vier Bettina-Oberli-Sätze aus den Medien und Sie sagen, was sie bedeuten: ‹Angst ist für mich ein Motor.›

Echt? In welchem Kontext habe ich das gesagt? Kam gerade mein Film ‹Tannöd› ins Kino? Damals beschäftigte ich mich viel mit dem Thema ‹Angst›. Der Satz ist auf jeden Fall eine gute Schlagzeile (lacht).

‹Man geht eine Liebesbeziehung ein mit Schauspielern. Wenn die Liebe nicht erwidert wird, funktioniert es nicht.›

Das stimmt. Während Dreharbeiten lässt man so oft die Hosen runter – die Schauspielerinnen und Schauspieler genauso wie ich als Regisseurin –, dass es ohne Liebesbeziehung nicht funktionieren kann. Das ist toll, aber gleichzeitig auch riskant, vor allem dann, wenn die Liebe nicht auf Gegenseitigkeit beruht. Es gibt ja auch Regisseure, die mit Härte und Dominanz arbeiten. Francis Ford Coppola soll seine Schauspielerinnen und Schauspieler regelmässig zum Nervenzusammenbruch zwingen, weil er glaubt, dass sie dann erst gutes Material sind und er sie danach wieder aufbauen kann. Eine solche Arbeitstechnik ist mir völlig fremd. Konflikt ist für mich keine Schaffensquelle.

‹Ich habe einmal einen riesigen Fehler gemacht bei einer Besetzung. Das hat mir den ganzen Film verdorben. Das passiert mir nicht mehr.›

Dieser Film hat mich gelehrt, dass ich noch stärker auf meinen Instinkt hören muss. Ich spürte damals bereits im Vorfeld, dass es schwierig werden könnte.

‹Kennen Sie einen Schweizer Filmregisseur, der fett und reich mit dem Ferrari rumfährt? Also ich nicht.›

So ist es. Oder kennen Sie so jemanden?



Wie haben Sie sich als Regisseurin seit Ihrem Erfolgsfilm «Herbstzeitlosen»  aus dem Jahr 2006 verändert?

Ich habe mich allein schon deshalb verändert, weil ich älter geworden bin. Aber die Freude und die Neugierde, Dinge zu erforschen, sind bis heute geblieben, nein, sie sind sogar noch viel stärker geworden.

Sind Sie ein mutiger Mensch?

Ja.

Gegen was wehren Sie sich?

Ich wehre mich, wenn jemand gemein mir gegenüber ist.

Für welche Ihrer Charakterschwächen schämen Sie sich?

Für keine. Sie gehören halt auch zu mir.

Das grosse Thema im Filmgeschäft war in den letzten Jahren die Sexismus-Debatte #Metoo. Ihre Meinung dazu?

Die #Metoo-Debatte hat etwas verändert und das war auch absolut richtig und wichtig. Es braucht aber immer noch Zeit, damit die Veränderungen noch tiefergreifend gehen können, sprich: die Position der Frau im Filmgeschäft, aber auch in der Wirtschaft grundsätzlich weiter gestärkt werden kann.

Gibt es im Filmgeschäft mehr Grüselmänner als anderswo?

Das glaube ich nicht.

Wann ist Ihnen zuletzt etwas passiert, was Sie Sexismus nennen würden?

Sexismus ist leider nach wie vor allgegenwärtig. Aber in meiner Bubble, also in meiner Filmwelt-Blase, bin ich gut geschützt davor. Ich kenne jedoch viele solche Geschichten von Schauspielerinnen. Als Regisseurin bin ich von Anfang in einer Art Machtposition. Das heisst, ich bin weniger angreif- oder verletzbar. Natürlich hat es auch mit meinem Alter zu tun. Ich muss mich heute nicht mehr beweisen, weil ich jung oder eine Frau bin. Und das geniesse ich sehr.

«Die #Metoo-Debatte hat etwas verändert und das war auch absolut richtig und wichtig. Es braucht aber immer noch Zeit, damit die Veränderungen noch tiefergreifend gehen können»: Bettina Oberli.
«Die #Metoo-Debatte hat etwas verändert und das war auch absolut richtig und wichtig. Es braucht aber immer noch Zeit, damit die Veränderungen noch tiefergreifend gehen können»: Bettina Oberli.
Bild: Maurice Haas

Sind Sie gut im Entschuldigen?

Ja – also wenn ich meinen Fehler einsehe.

Bei welcher Schauspielerin, bei welchem Schauspieler müssen Sie sich noch entschuldigen?

Ich denke, ich muss mich bei den Statistinnen von ‹Wanda, mein Wunder› entschuldigen.

Warum?

Kürzlich hatten wir eine Vorpremiere in Basel und da waren auch einige von den polnischen Frauen anwesend, die als Betreuerinnen in der Schweiz arbeiten und jeweils im Film «Wanda, mein Wunder» zu sehen sind, wenn die Familie Wanda vom Bus abholt. Die Frauen waren etwas enttäuscht darüber, dass man sie im Film nur so kurz sieht, obwohl sie während drei Tagen auf dem Filmset anwesend waren.

In zwei Jahren werden Sie 50.

So ist es.

Was denken Sie, ist die Midlife-Crisis schon durch?

Die Midlife-Crisis ist ein Mythos. Ich glaube jedoch daran, dass jeder Mensch im Leben immer wieder einmal durch komplexere Phasen geht.

Fürchten Sie sich vor dem Tod?

Sagen wir es so: Ich hoffe, dass ich alt genug werden kann, damit ich den Tod als Teil des Lebens annehme. Zurzeit bin ich noch nicht bereit zu sterben.

Mitglied einer Sterbehilfe-Organisation?

Nein.

Gibt es ein Leben danach?

Nein.

Der Schweizer Regisseur Jean-Luc Godard soll einmal gesagt haben: ‹Im Kino schlafen heisst dem Film vertrauen.› Mögen Sie, wenn das Publikum bei Ihren Filmen einschläft?

Ich bekomme es ja nicht mit, wenn die Leute bei meinen Filmen einschlafen. Aber ich habe es ja erwähnt, dass ich auch hin und wieder im Kino einschlafe. Ich finde das nicht schlimm. Wahrscheinlich hat es damit zu tun, dass ich so viel unterwegs und wach bin, dass der Moment, in dem es im Saal dunkel wird und ich mich nicht mehr mit meinen Dingen beschäftigen muss, ich mich gehen lassen kann und deshalb hin und wieder einnicke.

Dann hat Jean-Luc Godard also recht?

Ich finde ja.

‹Wanda, mein Wunder› läuft ab heute in den Schweizer Kinos


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