Sprachpfleger Der zweifache Fall, ein grammatischer Reinfall

Von Mark Salvisberg

29.10.2020

Der Doppelfall – ein sprachlicher Absturz. 
Der Doppelfall – ein sprachlicher Absturz. 
Bild: Getty Images

Wer Folgendes schreibt, hat inhaltlich recht, aber sprachlich nicht: «Meines Wissens nach benötigt das Licht von der Erde bis zum Mond gut eine Sekunde.» – «Ein Fall zu viel», sagt der Sprachpfleger und führt weiter aus.

Es ist ein Unding: Einerseits berechnet der Mensch die Entfernung Erde–Mond zentimetergenau und plant gar schon eine Marsmission – aber Fehler in wissenschaftlichen Texten macht er immer noch.

Meines Wissens – hierbei handelt es sich um eine weit verbreitete, sprachlich richtige Fügung im Genitiv, die bereits alles sagt, nämlich: soviel ich weiss.

Eine «verschmutzte» Wendung

Meines Wissens wird oft aus Versehen mit einer anderen korrekten Fügung vermischt: nach meinem Wissen. Beides bedeutet dasselbe, aber es werden unterschiedliche Fälle verwendet, bei Letzterem gilt der Dativ.

So entsteht dieser sprachliche Unfall, der ein doppelter Fall ist, einer im Genitiv plus einer im Dativ: «meines Wissens nach». In der Fachsprache spricht man von Kontamination, also von einer «Verunreinigung», einer Vermengung zweier Formulierungen. Von «doppelt genäht hält besser» kann hier also keine Rede sein. Viele Kontaminationen sind jedoch gewollt, wie das Vermischen der Wörter schleppen und Laptop: Schlepptop.

Oberflächlicher Einwand

Nun mag jemand argumentieren, es gebe ja eine andere Fügung, die auch einwandfrei sei: meiner Ansicht nach. Somit sei doch auch meines Wissens nach korrekt. Hier würde ich von einem netten Versuch sprechen, denn: Das Substantiv Ansicht ist weiblich, und weiblichen Nomen sieht man nicht an, ob sie im Genitiv oder im Dativ stehen. Damit ist der Einspruch und der ihm zugrunde liegende Fehler zu erklären. Doch da es meiner Ansicht nach heisst, kann es sich einzig um einen Dativ handeln: weil die Präposition nach ausschliesslich den Wem-Fall verlangt.

Hoffentlich greift die «Verunreinigung» nicht um sich

Wie schlimm es wäre, wenn solch falsche Formulierungen Schule machten, lässt sich an ähnlichen Wendungen erkennen: «Gemäss der Einschätzung des Ministers nach» hat Deutschland die Krise bisher gut gemeistert. «Laut Ansicht von Fachleuten gemäss» wird sich unsere Wirtschaft nicht so schnell erholen. «Hinsichtlich des Geldes betreffend» geht es ihr ausgezeichnet.

Da sträuben sich die Haare. Wir Deutschsprachigen leben ohnehin im Überfluss. Lassen wir’s doch bei einem Fall aufs Mal bewenden.

Zur Person: Mark Salvisberg war unter anderem als Werbetexter unterwegs. Der Absolvent der Korrektorenschmiede PBS überarbeitet heute täglich journalistische Texte bei einer Tageszeitung.

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