Krieg und Frieden Eine Bauchlandung als Anfang der grossen Liebe

Bruno Bötschi

9.1.2019

Im Zweiten Weltkrieg muss ein US-Bomber im Baselbiet notlanden – Christy Zullo ist eines der Besatzungsmitglieder. Während seiner Internierung in Adelboden lernt er Hilda Schranz kennen. Der Beginn einer grossen Liebe.

Krieg ist schrecklich. Krieg bringt Leid und den Tod. Manchmal passieren im Krieg aber auch Wunder. Nämlich dann, wenn Liebe stärker ist als der Hass. Vor 75 Jahren markiert im Zweiten Weltkrieg eine dramatische Bauchlandung im Baselbiet sowohl das glückliche Ende eines Leidensflugs als auch den Anfang der grossen Liebe zwischen dem US-Amerikaner Christy Zullo und Hilda Schranz aus Adelboden.

Aber fangen wir vorne an: Am 14. Oktober 1943, es ist ein kalter und regnerischer Tag, kommt der Krieg nach Aesch, Baselland. Er fällt sprichwörtlich vom Himmel: Am Nachmittag – gemäss Polizeiprotokoll gegen halb vier Uhr – werden die Dorfbewohner von einem Knall aufgeschreckt.

Ein US-Bomber ist mit eingezogenem Fahrwerk auf einem Kartoffelfeld notgelandet. Der Pilot, Lt. Edward Dienhart, muss dabei sein ganzes fliegerischen Können aufbieten. Die beiden Motoren links und rechts sind getroffen, aus den aufgerissenen Tanks fliesst der Treibstoff. Es herrscht Chaos an Bord, die Situation scheint ausweglos.

186 Notlandungen, 55 Abstürze

Zusammen mit 200 weiteren Bombern und 160 Thunderbolt-Jägern hat die Boeing B-17F-BO «Lazy Baby» am Morgen den Auftrag bekommen, die Kugellagerproduktion in Schweinfurt, Deutschland, zu zerstören. Dort wird zu jener Zeit rund die Hälfte des gesamten deutschen Kriegsbedarfes hergestellt.

Während seiner Internierung in Adelboden lernt Christy Zullo Hilda Schranz kennen – der Beginn einer grossen Liebe. Dieses Bild entstand an Ostern 1946, als das Paar bereits in Hazleton, Pennsylvania, lebte.
Während seiner Internierung in Adelboden lernt Christy Zullo Hilda Schranz kennen – der Beginn einer grossen Liebe. Dieses Bild entstand an Ostern 1946, als das Paar bereits in Hazleton, Pennsylvania, lebte.
Bild: zVg

Doch «Lazy Baby» verpasst den Formationsaufbau und fliegt dem Bomberverband hinterher. Noch vor dem Zielgebiet wird der Bomber von deutschen Maschinen angegriffen. Kurz darauf explodiert eine Flab-Rakete in der Plexiglaskanzel. Die zwei Bordschützen werden schwer verletzt.

Die wundersame Bauchlandung der «Lazy Baby» ist eine von 186 Notlandungen und 55 Abstürzen fremder Flugzeuge während des Zweiten Weltkrieges in der Schweiz. Nicht alle Vorfälle gehen derart glimpflich aus wie das Abenteuer der «Lazy Baby» – alles nachzulesen im Buch « Fremde Flugzeuge in der Schweiz 1939 - 1945» von dem Historiker Dani Egger.

Der fast 300 Seiten dicke Bildband, der dieser Tage erschienen ist, gibt Einblick in einen wenig bekannten Teil der Schweizer Geschichte. Die Erlebnisse der über 1'600 Besatzungsmitglieder aus verschiedenen Nationen sind in Vergessenheit geraten. Egger sammelt und archiviert seit über 20 Jahren alles rund um die Flugzeuge aus dem Ausland, die während des Zweiten Weltkrieges in der Schweizer Luftraum eingedrungen sind und dort  notlandeten oder abstürzten.

Nach Adelboden ins Internierungslager

Zurück zur «Lazy Baby»: In der Befürchtung, man sei im Elsass, also im Feindesland notgelandet, stürmt die Besatzung mit erhobenen Maschinengewehren aus dem Flugzeug. Erst nachdem die herbeigeeilten Bauern die Amerikaner mit den Worten «Switzerland, Switzerland» beschwichtigt haben, legen die Amerikaner ihre Waffen ab und fallen sich in die Arme. In der neutralen Schweiz sind sie in Sicherheit. Bis gegen Abend kommen 30'000 Schaulustige auf das Kartoffelfeld, um den US-Bomber zu bestaunen.

Die von den tragischen Ereignissen gezeichneten Besatzungsmitglieder zusammen mit ihren Schweizern Betreuern (von links nach rechts): Raymond C. Baus, Bernard Segal, Robert Cinibulk, Christy Zullo, Arzt Dr. Huber und Dolmetscher Maissen.
Die von den tragischen Ereignissen gezeichneten Besatzungsmitglieder zusammen mit ihren Schweizern Betreuern (von links nach rechts): Raymond C. Baus, Bernard Segal, Robert Cinibulk, Christy Zullo, Arzt Dr. Huber und Dolmetscher Maissen.
Bild: warbird.ch

Nach der Bauchlandung werden drei verletzte Crewmitglieder der «Lazy Baby» ins Kantonsspital Basel gebracht. Einer, der Navigator Donald Rowley, stirbt am Tag darauf. Die restlichen fünf Männer – unter ihnen auch Seitenschütze Zullo – kommen nach Adelboden in ein Internierungslager.

Das ist zwar nicht die Freiheit, aber auch keine Gefangenschaft. Die Männer nächtigen in von der US-Regierung bezahlten Zimmern im Hotel Palace, fahren Ski, spielen Eishockey, geben Konzerte, bringen den Einheimischen bei, wie man Hotdogs zubereitet, und machen auch Bekanntschaften – für Zullo mit liebevollen Folgen.

Heirat und Schwangerschaft

Auf dem Weg zum Hotel läuft er fast täglich an der Milchhandlung Schranz vorbei. Dort hilft Tochter Hilda ihrem Vater Peter im Laden. Die US-Soldaten sollen Frauen, die sie besonders mochten, damals «Hey Baby» hinterhergerufen haben.

Irgendwann muss es passiert sein: Christy Zullo und Hilda Schranz küssen sich zum ersten Mal und werden ein Paar. Monate später hält Christy bei Hildis Vater um ihre Hand an, kurz darauf heiraten sie in der reformierten Kirche in Adelboden.

Nach einem Jahr muss Christy nach Amerika zurückkehren. Weil Hilda schwanger ist, kann sie ihren Mann nicht begleiten. Erst nachdem sie Tochter Mary in der Schweiz zur Welt gebracht hat, folgt sie ihm zwölf Monate später mit dem Schiff in die USA. Ganze drei Wochen dauerte die Überfahrt damals.

Es heisst, Hildas Geschwister seien sehr überrascht gewesen, dass ihre Schwester wirklich in die USA auswanderte, denn als Kind litt sie von allen neun Geschwistern angeblich am meisten unter Heimweh. Gleichzeitig gab es keine Alternative: Ein Leben als alleinerziehende Mutter in Adelboden schien unmöglich.

Rückkehr in die Schweiz

1990 kehrte Christy Zullo, in Begleitung seiner Frau Hilda, nach Aesch zurück. Und erzählt an einem Gedenkanlass, wie er den 14. Oktober 1943 erlebt hat. Auch verrät er, dass er gar nicht hätte fliegen müssen an jenem Tag.

Der damals 22-jährige Seitenschütze war erst kurzfristig für einen anderen Kameraden eingesprungen. Erst nach dem Entschluss mitzufliegen wurde der Crew der Einsatzort bekanntgegeben. «Oh boys, oh boys ...», dies waren angeblich seine letzten Worte vor dem Start. 

Seine einzige Hoffnung beruhte damals darauf, dass ihnen wegen der schlechten Witterung keine Starterlaubnis gegeben würde. Doch um 10 Uhr hob die Maschine ab. Von den 15 fliegenden Festungen der Bombergruppe 305 entkamen nur drei dem Luftkampf – eine davon war die «Lazy Baby».

Die Zullos leben bis an ihre Lebensende in Hazleton, Pennsylvania – Christy starb 2001, Hilda acht Jahre später.

Bibliografie: «Fremde Flugzeuge in der Schweiz 1939 - 1945», Dani Egger, 296 Seiten, Format 23 cm x 33 cm, Preis 59 Fr.; bestellbar unter folgendem Link.

Im Buch werden die Ereignisse in gekürzter Form wiedergegeben. Ausführlichere Berichte über die Notlandungen und Abstürze sind auf der Internetseite von Dani Egger nachzulesen – dort findet sich unter dem Titel «Brennende Motoren, ausfliessender Treibstoff» auch ein Bericht zur Bauchlandung der «Lazy Baby».

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