Streit am Gartenzaun «Es gibt keine Zauberformel gegen Nachbarschaftsstreit»

Von Sulamith Ehrensperger

17.4.2020

Lärm, Unfreundlichkeit und Zigarettenrauch: Zwei Drittel der Schweizer sollen laut einer Umfrage von ihren Nachbarn genervt sein. Braucht es im Moment mehr Toleranz?
Lärm, Unfreundlichkeit und Zigarettenrauch: Zwei Drittel der Schweizer sollen laut einer Umfrage von ihren Nachbarn genervt sein. Braucht es im Moment mehr Toleranz?
Bild: Getty Images

Kindergeschrei, laute Musik, blanke Nerven – gerade zu Zeiten von Homeoffice entflammt Nachbarschaftsstreit leichter. Wie mit nervenden Nachbarn umgehen? «Bluewin» hat bei Mieter-Präsident Carlo Sommaruga nachgefragt.

Der eine tanzt lautstark Zumba auf dem Balkon, der andere will Wegzoll von Eltern, weil die Kinder beim Spielen seinen Privatweg überqueren. Ich beobachte, dass die Nerven bei vielen blank liegen. Herr Sommaruga, wie nehmen Sie als Präsident des Mieterinnen- und Mieterverband die Situation wahr?

Im Moment machen sich viele Sorgen um ihre Gesundheit, ihren Arbeitsplatz, vielleicht ihr eigenes Unternehmen und ihre Zukunft. Das bringt grossen zusätzlichen Stress im Alltagsleben – ich denke, dass die Toleranz anderen gegenüber kleiner ist als sonst.

Zwei Drittel der Schweizer sind genervt von ihren Nachbarn laut einer Umfrage. Gerade sind viele Menschen fast den ganzen Tag zu Hause. Kommt es da öfters vor, dass man sich von den Nachbarn gestört fühlt?

Zigarren auf dem Balkon, laute Musik, zu lauter Sex, weinende oder herumrennende Kinder – solche Nachbarschaftsstreitigkeiten gibt auch ohne Corona-Krise zahlreich. Ich denke aber, weil wir alle mehr zu Hause sind, gibt es sicher mehr Stress und Spannungen zwischen Nachbarn. Zahlen kann ich Ihnen keine sagen, weil die meisten Streitigkeiten untereinander verhandelt werden.

Es gibt vereinzelt Verwaltungen, die alle Mietparteien in einem Brief aufgefordert haben, leiser zu sein. Hingegen ist es nicht empfehlenswert, sich wegen Kinderlärm gleich beim Vermieter zu beschweren – das kann kontraproduktiv sein. Schliesslich wohnt man auch noch nebeneinander, wenn die Zeiten von Homeoffice und Lockdown vorbei sind.

Carlo Sommaruga ist Mitglied des Ständerates (SP) und Präsident des Schweizer Mieterinnen und Mieterverband. Er wohnt und arbeitet als Rechtsanwalt in Genf und ist Vater von vier Kindern.
Carlo Sommaruga ist Mitglied des Ständerates (SP) und Präsident des Schweizer Mieterinnen und Mieterverband. Er wohnt und arbeitet als Rechtsanwalt in Genf und ist Vater von vier Kindern.
Bild: zvg

Angenommen, ich arbeite im Homeoffice und muss mich konzentrieren. Das fällt mir aber schwer, weil meine Nachbarn lärmen. Was kann ich tun?

Wir müssen uns zunächst darüber im Klaren sein, dass es beim Zusammenleben immer um unterschiedliche Bedürfnisse geht. Der eine braucht seine Bewegung, der andere hat Kinder, die nicht stillsitzen können, der Dritte will in Ruhe seine Zigarre auf dem Balkon rauchen oder ein Buch lesen. Ich denke, man sollte nicht zu lange warten, bis man die Situation anspricht. Es ist wichtig, die eigenen Bedürfnisse zu kommunizieren – etwa, dass die Kinder ein natürliches Bewegungsbedürfnis haben.

Wenn man gerade kocht vor Wut, lohnt es sich, sein Gemüt mal kurz abzukühlen, bevor man beim Nachbarn seine Bedürfnisse platziert.

Auf jeden Fall. Wenn man schon wütend oder genervt vor der Tür der Nachbarn auftaucht, führt das zu Abwehr und ist keine gute Grundlage für ein Gespräch.



Wie mache ich es besser?

Indem man das Gespräch sucht, wenn die Emotionen nicht gerade überkochen und versucht, verständnisvoll für die Bedürfnisse der anderen zu sein. Wenn Sie vor Wut glühen, lohnt es sich vielleicht erst mal, in ein Kissen zu schreien oder eine Runde Joggen zu gehen. Als Mieterverband können wir nur empfehlen, die Probleme mit Dialogbereitschaft und Toleranz zu lösen – nur gemeinsame Lösungen können auch in Zukunft funktionieren. Eine Zauberformel gegen Nachbarschaftsstreit gibt es aber nicht.

Wie kann ich im Gespräch dafür sorgen, dass auch der Nachbar mein Bedürfnis versteht?

Es lohnt sich, die eigene Situation und seine Bedürfnisse zu beschreiben. Zum Beispiel können Sie fragen, ob derjenige weiss, dass man die Kinder hört, und dass man sich wünscht, dass diese ein bisschen leiser sind, weil man im Homeoffice arbeitet. Vielleicht sind auch Zeitfenster eine Lösung: Angenommen der Nachbar hat morgens wichtige Telefonkonferenzen, dann könnten Sie mit den Kindern ruhigere Tätigkeiten planen, dafür dürfen sich diese dann am Nachmittag austoben.

Wie Sie sich im Nachbarschaftsstreit wehren können und was Ihre Rechte und Pflichten sind erfahren Sie auf den Merkblättern des Schweizer Mieterinnen- und Mieterverband. 

Bilder des Tages

Zurück zur Startseite