Gewicht Magersucht: Essgestörte brauchen oft Jahre bis sie sich helfen lassen

Christina Bachmann, dpa / mi

22.2.2018

Magersüchtige leiden oft an einer Körperschemastörung: Sie haben ein falsches Bild vom eigenen Körper. 
Magersüchtige leiden oft an einer Körperschemastörung: Sie haben ein falsches Bild vom eigenen Körper. 
Bild: Getty Images

Sich an einen schön gedeckten Tisch zu setzen und etwas Gutes zu essen, macht vielen Menschen Freude. Mass halten ist dabei wichtig, Kalorien zählen manchmal notwendig. Wenn sich aber das ganze Denken nur noch um das Abnehmen dreht, kann eine Essstörung vorliegen.

Die Hälfte der deutschen Frauen macht in ihrem Leben mindestens einmal eine längere und sehr rigide Diät. Sind sie deshalb alle essgestört? Natürlich nicht.

Nur sind die Übergänge zwischen dem Bestreben, ein paar Pfunde loszuwerden, und einem gestörten Verhältnis zum eigenen Körper fliessend. «Am Anfang will man etwas weniger wiegen, dann hat man dieses Weniger erreicht und denkt: "Ich könnte ja noch mehr abnehmen".» So gerät manch eine in einen Strudel, erklärt Professor Stephan Herpertz, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Essstörungen. 

In der Schweiz kommen Esstörungen im Vergleich mit Europa überdurchschnittlich oft vor: 3,5 Prozent der Bevölkerung leiden oder litten daran (in Deutschland liegt dieser Wert zwischen 1 und 2 Prozent). Bei den Frauen ist der Wert mit 5,3 Prozent wesentlich höher als bei den Männern mit 1,5 Prozent. Zu diesem Ergebnis kommt die Studie «Prävalenz von Essstörungen in der Schweiz» aus dem Jahre 2015, in der ein Team der Universität Zürich im Auftrag des Bundesamts für Gesundheit erstmals untersucht hat, wie häufig Essstörungen in der Schweiz vorkommen. 

Anders als bei jemandem, der einfach ein bisschen abnehmen will oder gar muss, beherrscht das Thema Gewicht bei Magersüchtigen den gesamten Alltag. Um immer weiter abzunehmen, stellen sie das Essen weitgehend ein und treiben häufig auch extrem viel Sport. 

Neben Magersucht (Anorexie) gibt es aber noch weitere Essstörungen. Dazu gehören Bulimie und die Binge-Eating-Störung. Bulimiker essen in kurzer Zeit grosse Mengen. Um die Kalorienzufuhr rückgängig zu machen, lösen sie danach selbst Erbrechen aus. Essattacken kennzeichnen auch die Binge-Eating-Störung. Nur werden die Attacken nicht gewissermassen wieder ungeschehen gemacht. Die Betroffenen sind deshalb häufig übergewichtig.

Auch Mischformen sind häufig

Scharf trennen lassen sich die einzelnen Störungen allerdings nicht. «Eine Mischform ist genauso gefährlich und genauso behandlungsbedürftig», sagt Lydia Lamers, Referentin für die Prävention ernährungsbedingter Erkrankungen.

Generell sind Essstörungen eher bei Frauen zu finden. Bei der Binge-Eating-Störung ist dagegen mit rund 40 Prozent der Männeranteil vergleichsweise hoch. Bei Anorexie und Bulimie sind es je nach Studie nur ungefähr 10 Prozent Männer, sagt Silja Vocks, Professorin für Klinische Psychologie und Psychotherapie an der Universität Osnabrück.

Eine typische Zeit für die Entwicklung einer Magersucht ist die Pubertät. Bei den Teenagern steht der Selbstwert ohnehin auf dem Prüfstand und ein geringes Selbstwertgefühl ist genauso wie ein negatives Körperbild ein Risikofaktor für eine Essstörung. Ausgelöst wird die Krankheit zum Beispiel von kritischen Lebensereignissen, Misserfolgen oder Hänseleien.

Extremer Gewichtsverlust ist ein sehr offensichtliches Anzeichen für eine Essstörung. Angehörige sollten aber schon hellhörig werden, wenn sich plötzlich alles nur noch ums Thema Essen dreht. Betroffene ziehen sich manchmal auch zurück, wirken verändert. Um dann reagieren zu können, ist ein gutes Verhältnis Voraussetzung, betont Andreas Schnebel, Diplom-Psychologe und Vorsitzender des Bundesfachverbandes Essstörungen (BFE) in München. Er leitet die Organisation ANAD, die Beratung und Therapie anbietet.

Frühzeitig zu reagieren, kann bestenfalls verhindern, dass sich eine Essstörung manifestiert. Aber: Einen Betroffenen davon zu überzeugen, dass er ein Problem hat, ist alles andere als einfach. Diese Erfahrung macht auch Professor Herpertz. Oft werden Kinder von ihren Eltern geradezu in die Ambulanz der Bochumer Klinik gezerrt. «Das zeichnet essgestörte Menschen aus, dass sie sehr lange Verläufe aufweisen, ehe sie in Therapie gehen.»

Dabei gibt es viele Hilfsangebote: von einer Beratung über ambulante Einzeltermine bis hin zu Wohngruppen oder einem Klinikaufenthalt. Wichtig ist aber auch eine gute Nachsorge. «Wenn man eine Essstörung hatte und erfolgreich therapiert wurde, kann man leicht wieder reinrutschen», sagt Lydia Lamers. Unterschiedlichste Auslöser können dazu führen, dass die Krankheit erneut auftritt. «Essen ist eben jeden Tag allgegenwärtig.»

Hier finden Betroffene und Angehörige Hilfe:

Arbeitsgemeinschaft Ess-Störungen AES
Experten-Netzwerk Essstörungen Schweiz (ENES)    
PEP - Prävention Essstörungen Praxisnah
Selbsthilfegruppen in den verschiedenen Kantonen
Zentrum für Essstörungen des Universitätsspitals Zürich
Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie (KJPP)

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